Lässt sich auf die Behandlung mit einem Wundermedikament ein: Ptolemy Grey (Samuel L. Jackson, links) mit seiner neuen Wohnungsgenossin (Dominique Fishback) bei Dr. Rubin (Walter Goggins).

Foto: Apple TV+

Dominique Fishback und Samuel L. Jackson in "The Last Days of Ptolemy Grey".

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Die erste Begegnung verläuft nicht gerade vielversprechend. Als die 17-jährige Robyn für ihren "Onkel" Ptolemy Grey bei einer Trauerfeier Essen fassen soll, fällt es ihr sichtlich schwer, sich vom Handy zu lösen. Nicht ohne klarzustellen, dass es sich bei dem alten, verwahrlost wirkenden Mann keineswegs um einen Verwandten handelt, verhilft sie ihm schließlich zu einer Tellerladung, die prompt auf dem Boden landet.

Teenager als Helferin

Und doch wird sie den sicher nicht gut riechenden Ptolemy wenig später umarmen und nach Hause bringen. Dazwischen hat der an Demenz leidende Mann in dem Toten im offenen Sarg seinen Großneffen und einzigen Vertrauten Reggie wiedererkannt und beweint. Dass Robyn als Vertraute bald dessen Stelle einnehmen wird, deutet sich in der vom iranisch-amerikanischen Regisseur Ramin Bahrani (Man Push Cart), einem ausgewiesenen Spezialisten für das "Real America", inszenierten Auftaktfolge der sechsteiligen Serie The Last Days of Ptolemy Grey, zu sehen ab Freitag auf Apple TV+, bereits an. So findet die verwaiste, von Dominque Fishback mit viel Charme verkörperte Robyn bei dem von Hollywood-Superstar Samuel L. Jackson gespielten alten Mann nicht nur Zuflucht. Sie lässt ihm auch zunehmend selbstlose Hilfe zuteilwerden. Die Chemie des Duos ist derart magnetisierend, dass sie eine verästelte Krimihandlung über weite Strecken in den Hintergrund treten lässt.

Das ist umso bemerkenswerter, als es sich bei The Last Days of Ptolemy Grey um die Verfilmung eines Romans des für die Easy-Rawlins-Krimis bekannten US-Autors Walter Mosley handelt, den dieser selbst als Drehbuch adaptiert hat. Die Prämisse ist pure Science-Fiction: Ein neues Medikament bringt Demenzkranken nicht nur ihre Erinnerungen zurück, es erlaubt nahezu eine Gesamtschau der eigenen Vergangenheit. Der Haken dabei: Der Gedächtnisbooster wirkt nur einige Wochen, danach wütet das Vergessen schlimmer als je zuvor.

Pakt mit dem Wunderarzt

Dass sich Ptolemy auf das Experiment einlässt, liegt einerseits daran, dass er so den Mord an seinem gutmütigen Beschützer Reggie (Omar Benson Miller) aufzuklären hofft. Daneben gibt es noch viel Verdrängtes aufzuarbeiten, einen waschechten Schatz zu finden und vor allem das eigene Leben in Ordnung zu bringen. Die Ironie, dass er dafür als Schwarzer einen faustischen Pakt mit einem über die Maßen wohlhabenden weißen Arzt (Walter Goggins) schließen muss, entgeht dem wieder kultivierten Ptolemy nicht. So spricht er den Mediziner, dem er seinen Körper, aber tunlichst nicht seine Seele verkauft, fortan nur mehr als "Satan" an.

Wie die Kriminalromane Mosleys erzählt die Serie nicht zuletzt von der langen Geschichte des Rassismus in den USA. Im Falle Ptolemy Greys sind es Erinnerungen an seine von Gewalt, aber auch von einem beschützenden Onkel geprägte Kindheit in Mississippi, die in Form von Träumen immer wieder auftaucht. Als dritte Erzählebene werden die Erinnerungen an eine nicht einfache Beziehung mit der Ehefrau Sensia (Cynthia Kaye McWilliams) in den 1970er-Jahren eingezogen, in denen Ptolemy mit Schnauzer in der Blüte seiner Jahre erscheint.

Trailer zu "The Last Days of Ptolemy Grey".
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Und doch bleibt in der Flut der wiedergewonnenen Erinnerungen vieles rätselhaft, mäandert die Serie bisweilen in dramaturgischer Hinsicht vor sich hin, gleitet in Bilderbuchszenarios ab. Dass dies kaum auffällt, liegt an dem Duo, das glaubwürdig eine von tiefer gegenseitiger Empathie getragene Freundschaft entwickelt. Es spricht einiges dafür, dass Samuel L. Jackson, der auch als Co-Produzent fungiert und in seinem familiären Umfeld mehrfach mit Demenz konfrontiert wurde, mit Ptolemy Grey die Rolle seines Lebens gefunden hat. Im Zusammenspiel mit der nicht weniger großartigen Dominique Fishback zeigt er, wie sich zwei Außenseiter als das wiedererkennen, was sie zweifellos sind: Menschen, die Zuneigung und Respekt verdienen. (Karl Gedlicka, 10.3.2022)