Wer sich derzeit nach einem Haus, einer Wohnung oder einem Grundstück zum Kaufen umsieht, muss wohl öfter kräftig schlucken. Denn die Immobilienpreise sind auf einem Rekordhoch, für viele bleibt der Traum vom eigenen Zuhause vorerst unerreichbar – selbst mit hohen Krediten.

Das liegt auch daran, dass Immobilien derzeit in der Regel stückweise verkauft werden: Wer sich eine Wohnung anschafft, zahlt den gesamten Preis und steht dafür als alleiniger Eigentümer im Grundbuch – Käufe mit dem Partner oder Partnerin mal ausgenommen.

In Zukunft könnte man sich aber auch ein Hundertstel, Tausendstel oder Millionstel einer Wohnung kaufen. Tokenisierung nennt man es, wenn eine Immobilie in beliebig viele Stücke zerschlagen wird – natürlich nur auf dem Papier. Jeder Token repräsentiert dann einen kleinen Teil der Wohnung, inklusive aller Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz einhergehen.

Ein Hauskauf ist für die meisten Menschen die größte Ausgabe ihres Lebens. Mit Tokenisierung werden Vermögenswerte in handlichere Stücke gebrochen.
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Ein bisschen Wohnung

So könnten etwa die Mieteinnahmen automatisiert an alle Token-Holder ausgezahlt werden. Auch wäre es möglich, die selbst bewohnte Wohnung nach und nach aufzukaufen – etwa jeden Monat ein paar Tausendstel. Im Unterschied zur Finanzierung via Kredit, der jeden Monat ohne Wenn und Aber abbezahlt werden will, wäre der Nachkauf dann aber optional. Denn vielleicht reicht manchem Mietenden auch nur eine 51-Prozent-Mehrheit an den eigenen vier Wänden. Wohneigentum wird durch die Tokenisierung zwar nicht per se leistbarer, aber vielleicht "kaufbarer" – weil die Schwelle zur kleinsten handelbaren Einheit geringer ist. Auch gelten Immobilien als besonders illiquide, lassen sich also nur langsam und teuer handeln.

Das könnte sich ändern, wenn die Blockchain ins Spiel kommt. Diese kann man sich als eine Art dezentrales Register vorstellen, in dem Daten eindeutig und fälschungssicher gespeichert werden können. Bisher fiel der Begriff vor allem im Zusammenhang mit Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum.

Doch auf der Blockchain lässt sich eben nicht nur speichern, wer wie viele Bitcoins besitzt, sondern der Kontostand von jedem beliebigen Token. In den vergangenen Monaten boomten etwa vor allem sogenannte Non-Fungible Token, die den Besitz an Kunstwerken dokumentieren. Grundsätzlich kann ein Token aber jeden beliebigen Wert repräsentieren – wie eben Immobilien.

Das Start-up Brickwise mit Sitz in Wien macht bereits erste Gehversuche mit der "Zerstückelung" von Wohnungen und bietet Anteile von Immobilien bereits ab 100 Euro an. Richtig durchgesetzt hat sich das Konzept bisher aber noch nicht.

Auch lassen sich nicht nur Immobilien, sondern grundsätzlich alles zerhacken. Das Wiener Carsharing-Start-up Eloop tokenisiert etwa seit einigen Jahren die Elektroautos, mit denen die User des Dienstes durch Wien fahren. Für etwas mehr als einen Euro bekommt man aktuell einen Eloop One, ein Token, der wiederum einen klitzekleinen Anteil an einem Tesla repräsentiert.

Immer wenn jemand ein Auto aus dem Pool der tokenisierten Autos benützt, erhalten sämtliche Besitzer der Token eine anteilsmäßige Vergütung aus den Mieteinnahmen. Diese kann entweder direkt ausbezahlt werden oder – mit einem vorteilhafteren Umrechnungsfaktor – wieder für eigene Autofahrten ausgegeben werden.

Flotte der vielen

Laut eigenen Angaben sei man das einzige Carsharing-Unternehmen weltweit, das seine Autos auf diese Weise tokenisiert habe. Leicht sei das nicht gewesen, sagt Gründer Leroy Hofer zum STANDARD. Für Eloop ist das Projekt vor allem eine Form, um an Kapital zu kommen – aber auch ein Kundenbindungsprojekt.

"Wir wollten einfach echtes Carsharing machen", sagt Hofer. "Die meisten Carsharing-Unternehmen hingegen sind im Wesentlichen nur Autovermieter." Bei Eloop gehört die Flotte den Nutzern idealerweise selbst – sie fahren also ihre eigenen Fahrzeuge, zumindest im übertragenen Sinn.

Denn in der Praxis ist es mit der Tokenisierung oft noch schwierig. In Österreich müssten etwa alle Eigentümer eines Fahrzeuges im Zulassungsschein eingetragen sein, was viel zu umständlich sei, erklärt Hofer. Rein rechtlich gehören die Autos also weiterhin der Firma. Im Falle einer Insolvenz könnten die Token-Besitzer deshalb auch nicht "ihr" Auto abholen, sondern nur Forderungen gegen das Unternehmen stellen.

Ein Millionstel von einem Zinshaus? Könnten Sie womöglich bald auf der Blockchain kaufen.
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Rechtliches Neuland

Bei Immobilien-Token ist es ähnlich. "Ein Recht muss in Österreich immer an einen Menschen anknüpfen", erklärt der Rechtsanwalt Oliver Völkel, der sich mit seiner Kanzlei auf Kryptowährungen und Blockchain spezialisiert hat. Weil eine anonyme Gruppe von Token-Besitzern keine Rechtspersönlichkeit habe, müsse man den Umweg über ein Unternehmen oder einen Treuhänder gehen, der die Beteiligungen verwaltet. Sogenannte Smart Contracts, die vollkommen ohne menschliches Eingreifen dezentral Eigentum verwalten, wären zwar technisch möglich – doch das gebe die hiesige Rechtsordnung derzeit nicht her.

Das gilt auch für Wertpapiere, wo Völkel große Potenziale für die Tokenisierung sieht. Denn auch wenn der Aktienhandel schon seit langem elektronisch funktioniert – irgendwo muss immer noch ein ausgedrucktes Stück Papier in einem Schließfach liegen. Mit der Blockchain könnte die Zettelwirtschaft in Zukunft überflüssig werden.

Die Krypto-Community prophezeit immer wieder, dass irgendwann alle Token-Transaktionen – von Wohnungs- bis Unternehmensanteilen – einmal komplett dezentral ohne staatliche Stellen ablaufen. Völkel hält das für unrealistisch – aktuelle Vorstöße der EU würden in die entgegengesetzte Richtung gehen.

Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine würden außerdem zeigen, dass zentrale Verwaltung von Vermögen auch Vorteile haben kann: Denn Sanktionsmaßnahmen, wie sie derzeit gegen Russland verhängt wurden, wären in einer komplett dezentral organisierten Finanzwelt nicht möglich. (Philip Pramer, 10.3.2022)