Warteschlange vor einem Bankomaten in Moskau. Die Sanktionen sind deutlich spürbar.

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Galina ist verzweifelt, ihr Sohn Wjatscheslaw ist weg. "Wir sind nach Dubai übersiedelt", schrieb er am Donnerstagmorgen per Whatsapp. Mit seiner Frau Swetlana und dem fünfjährigen Sohn Danil haben sie das Land verlassen. Swetlana arbeitet bei einem westlichen Konzern, der seine Geschäfte in Russland geschlossen hat. Den Mitarbeitern versprach das Unternehmen Hilfe beim Finden neuer Jobs. "Aber erst einmal warten wir hier", sagt Wjatscheslaw. Seine Stimme am Telefon klingt heiser. "Ich habe mich wohl bei Danil angesteckt, aber vielleicht hängt es auch mit den Nerven zusammen", sagt der 36-Jährige.

Er steht nun vor einem Neuanfang. In Moskau leitete er eine Online-Werbeagentur. Die Geschäfte liefen gut, zusammen mit dem hohen Einkommen Swetlanas haben sich beide eine Wohnung auf Kredit gekauft.

Nur die Chinesen buchen weiter

Doch der Ausbruch der Kriegshandlungen in der Ukraine hat sein Business schwer beschädigt. Die europäischen Klienten seien fast alle abgesprungen, auch die meisten russischen Kunden hätten neue Werbeaufträge gestoppt. "Nur die Chinesen, die buchen weiter", berichtet er. Von Dubai aus versucht er, vorerst das Geschäft weiterzuleiten. "Ich kann nicht gleich alles beenden", sagt er und verweist auf seine Verantwortung gegenüber Mitarbeitenden. In der Agentur waren mehr als ein Dutzend Spezialisten beschäftigt.

Wie es weitergeht, weiß Wjatscheslaw nicht. Er sucht schon eine neue Arbeit. "Wenn ich keine finde, müssen wir vielleicht in einem Monat zurück." Dubai ohne Einkommen sei auf Dauer zu teuer, bekennt er.

Nicht ziellos ausreisen

"Es ist wichtig, einen sicheren Hafen zu haben, in den du einlaufen kannst", bestätigt Irina. Die Mittvierzigerin ist noch in Moskau, aber auch sie sitzt schon auf gepackten Koffern. Japan ist das Ziel. "Die Tickets sind schon gekauft, ich warte aber noch auf das Visum", sagt Irina. Ob die Ausreise endgültig oder nur befristet ist, weiß sie noch nicht. Zunächst einmal wolle sie für drei Monate fort, um sich "die weitere Entwicklung hier aus der Ferne anzusehen".

Immerhin reist sie nicht aufs Geratewohl. Sie hat bereits in der Vergangenheit als Vertreterin eines japanischen Konzerns in Großbritannien gelebt. Dort hat sie auch den Vater ihres Kindes kennengelernt. Der erwartet sie in Tokio. "Ich fand, es ist Zeit, dass Yota seinen Vater wiedersieht", sagt sie. Bis zur Covid-Pandemie hat sie in diesem Rhythmus gelebt: ein paar Monate in Russland, dann wieder ein paar Monate in Japan. Die Reisebeschränkungen machten dem ein Ende. Nun fährt sie wieder. Die Ereignisse rund um die Ukraine hätten sie in dem Entschluss bestärkt, gibt sie zu. In Moskau arbeitete sie als selbstständige Designerin. Zudem nahm sie vor kurzem einen Job als Marketingchefin eines Start-ups an. Beides könne sie zur Not online aus der Ferne erledigen, ist sie überzeugt.

Teure Auslandsflüge

Irina und Wjatscheslaw sind keine Einzelfälle. Gerade gut gebildete Städter kehren Russland massenhaft den Rücken. Laut dem Service Google Trends wurde das Schlagwort "Emigration" nach der russischen Invasion in der Ukraine zehnmal so oft wie gewöhnlich aufgerufen. Die Auslandsflüge im März haben sich wegen der hohen Buchungszahlen im Preis vervielfacht. Ein One-Way-Ticket nach Eriwan kostet im März 700 Euro, Ende April hingegen nur noch 100 Euro. Das liegt natürlich auch daran, dass nur noch wenige Airlines fliegen. Doch zugleich ist klar, dass es sich bei den meisten Passagieren nun nicht mehr um Touristen handelt. Gebucht wird in der Regel nur in eine Richtung. (red, 10.3.2022)