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Emmanuel Macron sprach noch am Dienstag mit Deutschlands Kanzler Scholz und Chinas Präsident Xi. Jetzt ist er Gastgeber des EU-Gipfels.

Foto: Reuters / Benoit Tessier

Das Königsschloss von Versailles im Westen von Paris war seit Jahrhunderten immer wieder Schauplatz der Weltpolitik, der Machtdemonstration. Dort wurde Krieg und Frieden auf dem Kontinent abgehandelt.

Sein Erbauer, Ludwig XIV., der die riesige Palastanlage im 17. Jahrhundert errichten ließ, sah sich als "Sonnenkönig". Frankreich führte ständig Kriege in ganz Europa, förderte zugleich Fortschritt und Wissenschaft. In Versailles ließ sich der preußische König Friedrich I. 1871 nach dem Deutsch-Französischen Krieg zum deutschen Kaiser krönen. 1919 wurde dort der Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg ausgehandelt, der nicht lange hielt.

Es folgten Faschismus, Hitlers Machtübernahme, der Zweite Weltkrieg, die Verbrechen der Nazis, der Holocaust. Seit 1945 dient das Schloss als Kulisse für Jubiläen der seit 1945 friedlich miteinander lebenden 27 EU-Staaten. Einen symbolisch besseren Platz hätte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron also kaum auswählen können, um seine Kollegen zu einem informellen Gipfeltreffen zur Zukunft der EU einzuladen. Es hätte – vor den Präsidentenwahlen im April – im Rahmen seines EU-Vorsitzes ein Höhepunkt seiner Ambition für eine gestärkte EU werden sollen, wie im Jänner angekündigt.

Ziel einer EU-Militärunion

Ein "gemeinsames souveränes Europa, das global eine führende Rolle einnimmt, als innovative Kraft" müsse bis zum Jahr 2030 geschaffen werden. So hat Macron sein Ziel genannt, eine EU, die sich nicht nur zur "Militärunion" mit einer eigenen EU-Armee entwickelt. Sie soll eine von den USA emanzipierte Säule in der Nato darstellen.

Es soll auch eine EU-Beistandsverpflichtung geben, mit einem Schlupfloch für Neutrale wie Österreich. Die 27 EU-Staaten müssten durch enorme Investments auch beim Kampf gegen den Klimawandel, bei der Entwicklung neuer Energieformen bzw. der Abkehr von fossilen Brennstoffen vorne dabei sein, beim digitalen Wandel.

Der russische Angriff auf die Ukraine, der seit zwei Wochen dauernde Krieg im EU-assoziierten Land, dessen Präsident Wolodymyr Selenskyj einen raschen Beitritt fordert, hat Macrons Gipfelpläne nicht umgeworfen. Sie stehen nach wie vor im Zentrum des Treffens bis Freitag. Aber es ist nun vollkommen vom Krisenmanagement auf den höchsten Ebenen rund um die Welt überschattet.

Große Staaten dominieren

Es dominieren Weltmächte, die großen Staaten. Die EU auf Ratsebene, die Kommission in Brüssel und deren Präsidentin Ursula von der Leyen spielen eine Nebenrolle. Sie liefern Input und das Budget, die ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Hilfe für die Ukraine und zur Bestrafung Russlands erfordern.

In Versailles wird eine empfindliche Ausweitung der Sanktionen gegen das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin beschlossen werden. Mehr als 500 Personen stehen auf einer schwarzen Liste unerwünschter Personen, deren Vermögen in Europa eingezogen wird. Der Boykott von Banken wird auch auf Belarus ausgeweitet. Schifffahrtsausrüstung darf nicht mehr exportiert werden.

Dem von US-Präsident Joe Biden verkündeten US-Boykott zu russischem Öl werden die EU-Staaten nicht folgen, auch beim Gas nicht. Laut dem niederländischen Premier Marc Rutte könnte man sich eine totale Unterbrechung nicht leisten, die Industrie brauche den Brennstoff, was auch Olaf Scholz bestätigte.

Gemeinsame Sprache mit Peking

Der deutsche Bundeskanzler spielt im Duett mit Macron im Moment eine Hauptrolle im globalen Krisenmanagement, das weiter auf Diplomatie setzt. Die beiden verhandeln quasi stellvertretend für die Europäische Union. Am Dienstag gelang es Macron mit Scholz in einer Videokonferenz, den chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu einer gemeinsamen Sprache zu bewegen. Dieser nannte die Lage in der Ukraine "besorgniserregend", forderte "maximale Zurückhaltung".

Die Außenminister der drei Länder sollen zwischen Moskau und Kiew ein direktes Gespräch erleichtern. Hoffnung auf erste Schritte zum Frieden wird auf ein Treffen des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit seinem ukrainischen Gegenüber Dmytro Kuleba gesetzt.

Der EU-Gipfel setzt also auf eine diplomatische Lösung trotz immer härter werdender Wirtschaftssanktionen gegen Russland. So wie in der Nato auch, wird von EU-Staaten ein direktes militärisches Eingreifen ausgeschlossen. Inwieweit eine EU-Beitrittsperspektive dabei eine Rolle spielt, sollte die Ukraine den Weg zur Neutralität gehen, wie Putin fordert, ist völlig offen. (Thomas Mayer aus Paris, 10.3.2022)