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Spitzen der US-Geheimdienste wie Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines und CIA-Chef William Burns im Kongress.

Foto: AFP / Getty Images / Anna Moneymaker

William Burns hat oft mit Wladimir Putin gesprochen. Von 2005 bis 2008 leitete er die Botschaft der Vereinigten Staaten in Moskau, wo er schon in den Neunzigern auf diplomatischem Posten gewesen war. Später begleitete er den Präsidenten Barack Obama oder die Außenministerin Hillary Clinton, wenn sie nach Russland reisten. Wie seine erste Begegnung mit Putin verlief – der Antrittsbesuch des Botschafters Burns im Kreml –, hat er in seinem Memoirenband "The Back Channel" beschrieben. "Ihr Amerikaner müsst besser zuhören", habe ihn der russische Präsident gleich zu Beginn aufgefordert, auf jegliche Höflichkeitsfloskeln verzichtend. "Wir können effiziente Beziehungen haben, aber nicht nur zu Ihren Bedingungen."

Seit gut einem Jahr ist Burns Direktor der CIA, der erste Karrierediplomat in diesem Amt. Doch im US-Kongress war er am Dienstag bei einer Anhörung zum Krieg in der Ukraine vor allem eines: der Russland-Versteher, der Putin-Kenner.

"Verhärtete Ansichten"

Wie er Putins Psyche einschätze, wird er während einer öffentlichen Sitzung des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses gefragt. Ob er die Meinung vieler Amerikaner teile, dass Putin entweder verrückt sei oder aber den Irren spiele. "Seine Ansichten zur Ukraine haben sich im Laufe der Jahre verhärtet", antwortet Burns. Er sei isolierter als früher, lasse Leute, die seine Ansichten infrage stellen, nicht an sich heran. "Das macht ihn nicht zu einem Verrückten. Aber es erschwert den Umgang mit ihm." In der Ukraine die Vorherrschaft zu erlangen, das sei für Putin eine Sache tiefer persönlicher Überzeugungen. "Seit vielen Jahren schmort in ihm eine feuergefährliche Mischung aus Groll und Ehrgeiz."

Die US-Geheimdienste erleben gerade eine Art Glaubwürdigkeitshoch, in scharfem Kontrast zu früheren Blamagen, beispielsweise zu vermeintlich gesicherten Erkenntnissen über irakische Massenvernichtungswaffen, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen. Dass sie bereits vor Wochen in aller Öffentlichkeit vor einer groß angelegten russischen Invasion warnten, während viele in Europa solche Warnungen für unklug hielten, lässt Politiker beider großer Parteien in Washington von einem hochprofessionellen Job sprechen. Ergo: Was die klandestinen Analytiker an Prognosen für die nähere Zukunft anstellen, wird so ernst genommen wie in jüngerer Vergangenheit kaum etwas.

Gute gefüllte Kriegskassen

Vier Prämissen, vier Annahmen, vier Thesen, listet Burns auf, hätten Putins Denken bestimmt, bevor er den Angriffsbefehl gab. Erstens: Die Ukraine sei schwach und daher leicht einzuschüchtern. Zweitens: Frankreich und Deutschland würden außenpolitische Risiken scheuen. Drittens: Russlands Kriegskasse sei gut gefüllt mit Devisenreserven. Viertens: Die russischen Streitkräfte, modern ausgerüstet, würden schnelle Erfolge erringen und Kiew binnen zwei Tagen einnehmen. In keinem Punkt, zieht Burns eine Zwischenbilanz, sei Putins Rechnung aufgegangen.

Heftiger ukrainischer Widerstand, die Einheit des Westens, die Entschlossenheit auch der Deutschen, dazu Sanktionen, die einen Großteil des Devisenschatzes unbrauchbar machten, schließlich Probleme mit Logistik und Moral in der eigenen Armee: Das alles habe Putin überrascht und verunsichert. Nur bedeute es nicht, dass er jetzt einen Rückzieher mache. Wütend und frustriert werde er eher noch eins draufsetzen und versuchen, das ukrainische Militär zu zermalmen, ohne Rücksicht auf zivile Opfer zu nehmen. "Die nächsten Wochen werden hässlich werden."

Sorge um belagertes Kiew

Wie es endet? Er sehe kein "endgame" in Putins Sinn, sagt der CIA-Direktor voraus. Er sehe nicht, dass der Kreml eine Marionettenregierung in Kiew nicht nur installieren, sondern auch stabil an der Macht halten könne.

Bereits die Annexion der Krim habe in weiten Teilen der Ukraine ein Nationalgefühl geschaffen, das Putin nun – unfreiwillig – erst recht gestärkt habe. Zur nüchternen Analyse gehört indes auch die Prognose der Defense Intelligence Agency, des US-Militärgeheimdiensts. Kiew, glaubt deren Chef Scott Berrier, könne sich wohl nur bis zu einem gewissen Limit halten, wenn es eingekesselt sei und die Lebensmittelvorräte zur Neige gingen. In zehn Tagen, spätestens in zwei Wochen, fürchtet Berrier, werde die Lage der belagerten Stadt eine verzweifelte sein. (Frank Herrmann, 9.3.2022)