Mangelnde Hygiene der Ärzte kostete einst unzählige Gebärende das Leben.

Barbara Palffy

Wer gilt als "Retter der Mütter"? – Natürlich Ignaz Semmelweis (1818–1865). Der k. u. k. Chirurg mit Tätigkeitsfeld in Budapest und Wien hat 1847 als Ursache des sogenannten Kindbettfiebers die damals mangelnde Hygiene auf den Geburtenstationen identifiziert und viele Leben gerettet. Das Bernhard Ensemble befasst sich in seinem neuen Stück Der.Semmelweis.Reflex in Koproduktion mit dem Off-Theater Wien mit diversen Aspekten dieses medizinischen Durchbruchs: Männermedizin, gesellschaftliche Minderstellung der Frauen, wissenschaftlicher Ehrgeiz und Konkurrenz.

Semmelweis’ Entdeckung ist ein Musterbeispiel evidenzbasierter Medizin, die seit Pandemiebeginn wieder vermehrt diskutiert wird. Und auch sonst macht die Inszenierung von Ernst Kurt Weigel keine Anstalten, ein rein historischer Abriss zu sein. Weigel blendet die Misere des zu Lebzeiten für seine Erkenntnis leider belächelten Doktor Semmelweis (Gerald Walsberger) umstandslos ins Heute.

Tanz am Seziertisch

Das im Ensemble gemeinsam erarbeitete Stück verflechtet die aus heutiger Sicht abstrusen Thesen damaliger Mediziner (Kajetan Dick als Semmelweis’ Lehrer Dr. Klein) mit nicht weniger haarsträubenden Fake News des Tiktok-Zeitalters: Steigt die Muttermilch ins Gehirn, wenn ich in der Schwangerschaft zu viel spazieren gehe?

Besonders an diesem auf Seziertischen arrangierten Spiel ist eine tänzerische Ausdrucksweise, die punktuell zwar allzu gymnastisch wirkt, mittels derer sich aber gynäkologische Untersuchungen oder Geburtsschmerzen gut abbilden lassen. Ein Höhepunkt dabei ist die marionettenhafte Wiederauferstehung frisch verstorbener Wöchnerinnen (Yvonne Brandstetter, Sophie Resch, Leonie Wahl) und ihre Post-mortem-Wortmeldungen. (Margarete Affenzeller, 10.3.2022)