Was könnte ein realistisches Ende dieses Krieges sein?

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Der russische Angriff auf die Ukraine wirft viele Fragen auf. Das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gefüge ist mit diesem Krieg ins Wanken geraten. Um die derzeitige Lage und auch die Folgen besser einordnen zu können, haben sich Expertinnen und Experten von der Universität Innsbruck bereiterklärt, Fragen der STANDARD-Community zu beantworten.

Im ersten Teil wurde auf die Themen Inflation, die Position des Patriarchen Kyrill und die Auswirkungen der Internetdienstsperren eingegangen. Hier beantworten die Politikwissenschafter Gerhard Mangott und Martin Senn Fragen zu gesichtswahrenden Lösungen, dem Einsatz von Nuklearwaffen und dem Zudrehen des Gashahns.

Gerhard Mangott: Die Sprecherin des russischen Außenministeriums deutete gestern an, dass die Regierung Selenskyjs im Amt bleiben könne. Russland strebe keinen Regimewechsel in der Ukraine an. Gleichzeitig erklärte der Sprecher des russischen Präsidenten, Russland beharre auf einem neutralen Status der Ukraine, der Anerkennung der Zugehörigkeit der Krim zu Russland durch die Ukraine und die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Diese zwei Position sind nur vereinbar, wenn die Regierung Selenskyjs bereit ist, diese Forderungen zu erfüllen. Selenskyj bewegt sich langsam in diese Richtung. Offen bleibt aber, ob Selenskyj diese drei Bedingungen tatsächlich akzeptieren wird und auch in Kiew durchsetzen kann. Wenn dem nicht so ist, kann Russland aus seiner Sicht nur am Sturz Selenskyjs weiterarbeiten. Ohne die Erfüllung der drei russischen Kernforderungen sehe ich kein Ende des Krieges.

Die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes

Gerhard Mangott: Wir haben nur Vermutungen über die Kommandokette für den Einsatz russischer Nuklearwaffen. Es wird angenommen, dass Putin nicht völlig allein deren Einsatz anordnen kann, sondern zumindest der Verteidigungsminister, wenn nicht auch der Oberkommandierende der Strategischen Raketenstreitkräfte, eingebunden ist. Ich denke, die USA sind nicht bereit, China ausreichende Anreize anzubieten, damit es die russische Regierung drängt, den Krieg zu beenden. In den USA ist die Anti-China-Koalition festgezurrt. Zugeständnisse kann Biden nur sehr begrenzt machen. Die westlichen Sanktionen schlagen schon voll auf die Alltagswirklichkeit der russischen Bevölkerung durch. Es ist aber eher wahrscheinlich, dass kurzfristig die Sanktionen eher einen Schulterschluss zwischen der Mehrheit der Bevölkerung und der russischen Regierung bewirken werden.

Martin Senn: Vorab möchte ich betonen, dass ein tatsächlicher Einsatz von Nuklearwaffen seit der Ukraine-Invasion zwar wahrscheinlicher geworden ist, aber insgesamt immer noch sehr unwahrscheinlich ist. Ihre Frage beinhaltet eigentlich zwei Fragen. Erstens: wie ein Befehl zum Einsatz von Nuklearwaffen gegeben werden würde und zweitens: unter welchen Bedingungen ein Befehl zum Einsatz von Nuklearwaffen gegeben werden würde.

Was nun einen möglichen Einsatzbefehl anbelangt: Die Entscheidung über den Einsatz von Nuklearwaffen liegt beim Präsidenten, aber es scheint so zu sein, dass ein Einsatzbefehl vom Verteidigungsminister und dem Chef des Generalstabs authentifiziert werden muss. Falls dieser Ablauf tatsächlich und immer noch in dieser Form existiert (es gib nur wenige Quellen dazu), wäre eine Form von Checks and Balances gewahrt. Aber es stellt sich klarerweise die Frage, was passieren würde, wenn eine der beiden anderen Personen das Authentifizieren verweigern würde.

Zu den Bedingungen, unter denen ein Einsatz von Nuklearwaffen erfolgen könnte: Was ich hier zunächst ausschließen würde, ist ein Ersteinsatz von strategischen Nuklearwaffen (Waffen mit größeren Reichweiten und größerer Zerstörungskraft) gegen Ziele im Westen. Dies würde einen nuklearen Vergeltungsschlag zur Folge haben, der Russland als funktionierendem Staat ein Ende setzen würde und damit auch Wladimir Putins Ambition eines Groß-Russlands. Das größere Risiko scheint in einer lokalen Eskalation zu liegen, die zu einem Einsatz von taktischen Nuklearwaffen (Waffen mit kleineren Reichweiten und geringerer Zerstörungskraft) führen könnte. Wenn sich der Krieg hinzieht und Erfolge ausbleiben, wenn immer mehr Rüstungsgüter (etwa auch Kampfflugzeuge, wie von Polen angedacht) von Nato-Staaten in die Ukraine kommen, könnte sich Putin gezwungen sehen, dem mit einem Einsatz von taktischen Nuklearwaffen zu entgegnen, um externe Einmischung abzuschrecken und den Krieg zu wenden. Es könnte aber auch zu einer Verkettung von Fehlwahrnehmungen und Fehlentscheidungen kommen, die zu einer Eskalation zwischen Russland und der Nato führen, bei der Russland den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen erwägen könnte.

Gerhard Mangott: Erst kürzlich wurde angekündigt, dass die russische Regierung Import- und Exportbeschränkungen für Rohstoffe bekanntgeben wird. Bislang warten wir noch darauf. Die Reduzierung oder gar das Kappen von russischen Gaslieferungen an die EU ist nicht auszuschließen, auch wenn das für Russland hohe finanzielle Kosten hätte.

Ihre Fragen zur Ukraine und zu Russland

Welche Fragen haben Sie an die Expertinnen und Experten der Uni Innsbruck? Was beschäftigt Sie rund um den Krieg in Europa? Posten Sie im Forum! Ausgewählte Fragen aus dem Forum werden beantwortet. (Judith Wohlgemuth, 11.3.2022)