So fanden Jäger den verletzten und vergifteten Seeadler vor. Er konnte nicht gerettet werden.

Foto: M. Schmidt / BirdLife

Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Seeadler war ein vom Pech verfolgter Unglücksrabe: mit Blei vergiftet, angeschossen und gegen den Flügel eines Windrades gekracht. In diesem Zustand wurde der Adler jedenfalls vor wenigen Wochen bei einem Windpark im burgenländischen Nickelsdorf von einem Jäger gefunden und geborgen. Trotz Pflege in der Eulen- und Greifvogelstation Haringsee sei das verletzte Tier nun verendet, teilten die Tierschutzorganisationen WWF und Birdlife am Donnerstag mit.

Streng geschützt

Auf den zweiten Blick hatte das streng geschützte Seeadlerweibchen aber nicht einfach Pech, sondern keine Chance gegen menschengemachte Ursachen. Die Schrotschussverletzung hätte es überleben können – der oder die Wilderer konnten übrigens nicht ausgeforscht werden. Auch die schweren Knochenbrüche, die bei der Untersuchung des Seeadlers in der Klinik der Veterinärmedizinischen Universität Wien festgestellt wurden, wären wahrscheinlich verheilt.

Doch gestorben ist das Tier letztlich an einer Bleivergiftung, die sein Verhalten schon stark beeinträchtigt hatte. Vermutlich ist es auch deswegen zu der Kollision mit dem Windrad gekommen.

Blei von Jagdmunition

Das extrem giftige Blei stammt von Jagdmunition. Seit Jahren fordern Tierschutzorganisationen ein generelles Verbot von bleihaltiger Munition. Doch obwohl es längst Alternativen zum Blei gibt, ist diese Munition innerhalb der EU nur in Feuchtgebieten beziehungsweise in Nationalparks verboten. Außerhalb dieser Schutzzonen dürfen Jäger mit Blei ballern. Teilmantelgeschosse zerlegen sich in getroffenen Tieren, feinste Bleisplitter verteilen sich sehr weit im Fleisch. Erlegte Tiere, die von Jagdgesellschaften übersehen werden, sind ein gefundenes Fressen auch für Seeadler, die sich vor allem im Winter von Aas ernähren. Außerdem wird nach Abschüssen auch häufig illegalerweise der vom Schuss zerfetzte Teil der Beute, der hochgradig mit Blei vergiftet ist, zurückgelassen.

Bleikügelchen aus Schrotpatronen wiederum sind ein Problem für viele Wasservögel und andere Tiere, die zur Zerkleinerung der Nahrung sogenannte Gritsteine aufnehmen. In diesem groben Sand befindet sich immer öfter auch tödlicher Bleischrot. Laut WWF verenden dadurch jährlich bereits eine Million Wasservögel in Europa.

Vergiftete Tiere wirken wie benebelt

"Der Magen von Raubvögeln arbeitet ziemlich schnell, Blei gelang in die Blutbahn, schädigt innere Organe und Nerven", erklärt Fachtierärztin Alexandra Scope von der Klinische Abteilung für Interne Medizin Kleintiere an der Vetmed-Uni im Gespräch mit dem STANDARD. Darüber hinaus werde das Gift in Knochen und Federn eingelagert. Geschädigte Tiere zeigten oft zentralnervöse Symptome: "Sie können sich nicht mehr gerade halten, haben eine eingeschränkte Reaktionsfähigkeit, wirken wie benebelt." Auch andere Aasfresser wie Geier seien ständig von Bleivergiftungen bedroht. "Es ist höchste Zeit für eine Umstellung auf bleifreie Munition in allen Jagdgebieten", fordert Matthias Schmidt, Greifvogelexperte von BirdLife Österreich.

40 bis 50 Brutpaare in Österreich

Der WWF bedauert den Tod des Seeadlerweibchens auch deshalb besonders, weil die Wiederansiedlung dieser Vögel erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen ist. Obwohl der Seeadler Österreichs Wappentier ist, galten die Tiere bis vor 20 Jahren hier als ausgestorben. Heute leben laut WWF-Seeadler-Bericht wieder zwischen 40 und 50 Brutpaare in Österreich – eine stabile, aber immer noch kleine Population. "Die Rückkehr der Seeadler ist eine absolute Erfolgsgeschichte im heimischen Naturschutz. Sie darf weder durch illegale noch legale menschliche Eingriffe gefährdet werden", sagt Christina Wolf-Petre, Artenschutzexpertin des WWF Österreich. Zu den wichtigsten Brutgebieten zählen das Waldviertel, der Nationalpark Donau-Auen, die Tullnerfelder Donau-Auen, die March-Thaya-Auen sowie das Nordburgenland. (Michael Simoner, 10.3.2022)