Ex-Wissenschaftsminister Erhard Busek plädiert nachdrücklich für ein Beibehalten der Gesprächskontakte mit russischen Hochschuleinrichtungen.

Foto: Robert Newald

Wien – Kontaktabbruch mit allen russischen Partnerinstitutionen in der Wissenschaft und Forschung, weil der Präsident des Landes die Ukraine militärisch angegriffen und in einen Krieg gestürzt hat? "Auf keinen Fall", meint der ehemalige Wissenschaftsminister, Vizekanzler und ÖVP-Chef Erhard Busek, der damit das Gegenteil von dem fordert, was der jetzige Chef im Ressort für Bildung, Wissenschaft und Forschung empfohlen hat.

Martin Polaschek (parteifrei für die ÖVP) hatte Mitte der Woche die russische Invasion in die Ukraine aufs Schärfste verurteilt und den österreichischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen geraten, "die bisherige Zusammenarbeit mit russischen Einrichtungen im Bereich der Forschung sowie der Hochschulbildung bis auf Weiteres einzufrieren bzw. individuelle Kontakte kritisch zu überprüfen".

EU-Sanktionen auch im Wissenschaftsbereich

Dies auch mit Verweis auf die "strikten Sanktionen" der Europäischen Kommission im Bereich der Wissenschaft und Forschung. So wurde etwa das Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe mit der Russischen Föderation suspendiert, Auszahlungen an russische Einrichtungen im Rahmen bestehender Verträge wurden gestoppt.

Gleichzeitig hat Polaschek als erste Hilfsmaßnahme für die rund 2.300 ukrainischen Studierenden an öffentlichen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen in Österreich die Studienbeiträge für das Sommersemester 2022 erlassen.

Busek findet Polascheks Strategie falsch und fordert im STANDARD-Gespräch: "Die Universitäten sollen die Kontakte zu Russland auf jeden Fall beibehalten!" Ein Kontaktabbruch auf dieser Ebene "ist das Gegenteil von dem, was wir heute brauchen. Wissenschaftliche Kooperation und persönliche Kontakte sind eine notwendige Brücke nach Russland und überhaupt in alle Richtungen. Diese Kontakte sind eine Chance, Meinungen im akademischen Bereich in Russland und anderswo zu beeinflussen und Diskussionen darüber zu führen, was in der schrecklichen Situation geschehen muss."

Keine "Kriegseinheiten" im akademischen Bereich

Der ehemalige Wissenschaftspolitiker sieht in derartigen Verbindungen "eine Brücke und auch eine Chance, mehr Kenntnis von der Ansicht der anderen zu erhalten". Die Universitäten seien "zum Glück autonom, sodass ich hoffe, dass sie auch weiter Verbindungen halten, denn das akademische Personal besteht nicht aus Kriegseinheiten, sondern aus Menschen, die mit Wissenschaft und Forschung versuchen, das Leben positiv zu gestalten. Dort, wo das nicht der Fall ist, haben die Universitäten die Gabe der Unterscheidung der Geister, die auch sicher an den österreichischen Universitäten vertreten ist."

Darum plädiert Busek dringend dafür, dass "die Academia alles tun soll, um im Austausch zu bleiben und Wege zum Frieden zu beeinflussen. Vom Hass können wir nicht leben und die Zukunft gestalten."

Auch Claudia Schmied für Kontaktpflege

Auch die ehemalige Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) lehnt Kontaktabbruchsappelle ab. Nicht nur in der jetzigen Situation, sondern prinzipiell. Ihre "Grundhaltung" sei, sagte sie im STANDARD-Gespräch: "Kontakte auf persönlicher Ebene pflegen. Unbedingt im Gespräch bleiben. Gerade auch in Bildungskooperationen." Weiters solle man die Situation bewusst beobachten und "erst nach gemeinsamer Wahrnehmung Aktionen setzen". Dabei sei "Perspektivenwechsel" grundsätzlich immer hilfreich, sagt Schmied.

Benefizkonzert für ukrainische Flüchtlinge

Fragt man zum Beispiel den Informatik-Professor Peter Reichl von der Universität Wien, was er von den ministeriellen Abbruchempfehlungen für Brücken zwischen österreichischen und russischen Hochschuleinrichtungen hält, so ist seine Position eindeutig: "Es ist nicht Russlands Krieg, es ist Putins Krieg." Der Leiter der Forschungsgruppe Cooperative Systems (COSY) sieht in der gegenwärtigen Lage auch die akademische Community gefordert und darum machen die Informatikerinnen und Informatiker an der Uni Wien eine ganz besondere Aktion.

Koordiniert von Reichl haben COSY-Mitarbeitende, Kolleginnen und Kollegen aus der Fakultät sowie Studierende innerhalb weniger Tage ein Benefizkonzert zugunsten ukrainischer Flüchtlinge auf die Beine gestellt. Es findet am Freitag (11. März, 18 Uhr, Boltzmanngasse 1, 1090 Wien) im Carl-Auer-von-Welsbach-Hörsaal statt. (Es gibt auch einen Livestream)

Dabei werden Lehrende, Studierende sowie Freundinnen und Freunde der Informatikfakultät singen und musizieren. Die freiwilligen Spenden werden an die Verantwortlichen der Kirche St. Barbara im ersten Bezirk, das Zentrum der ukrainischen Community in Wien, übergeben. Bis Donnerstagmittag hatte das Team um Reichl bereits Sponsorenzusagen aus der Digitalbranche in der Höhe von 4.000 Euro, darunter von der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG), dem Austrian Institute of Technology (AIT), SBA Research, dem Forschungszentrum für Informationssicherheit in Österreich und dem Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis).

Was gibt es zu sehen und hören? Die Palette reicht von Pop-Balladen bis zu Jazz-Klassikern, von Musical bis Oper. Die Sopranistin Marena Balinova wird neben anderen Stücken die berühmte Arie "Casta Diva" aus Vincenco Bellinis Oper "Norma" singen. Darin heißt es (in der Übersetzung von Lothar Quandt): "Mäßige du die feurigen Herzen, mäßige wieder den verwegenen Eifer, verbreite auf Erden jenen Frieden, den du im Himmel herrschen lässt."

Politik hat nichts im Hörsaal verloren, Menschlichkeit schon

Organisator Peter Reichl gibt den Klavierbegleiter. Im STANDARD-Gespräch sagte Reichl, der vergangene Woche einem befreundeten Forscher geholfen hat, dessen Familie von der ukrainisch-moldawischen Grenze nach Wien in Sicherheit zu bringen: "Die Eindrücke während dieser Reise haben mich zutiefst traurig und betroffen gemacht, und als mir immer mehr Studierende sowie Kolleginnen und Kollegen signalisierten, sie möchten in dieser Situation wenigstens irgendetwas tun, war klar, dass wir gemeinsam der Hässlichkeit des Krieges ein Zeichen entgegensetzen können. Denn zwar hat Politik im Hörsaal nichts verloren, Menschlichkeit aber sehr wohl."

Er weiß dabei nicht nur den Rektor der Uni Wien, Heinz Engl, der ein Grußwort senden wird, hinter sich. Neben der Informatikfakultät unterstützen auch die Fakultät für Chemie samt den jeweiligen Studierendenvertretungen die Benefizveranstaltung.

Es soll aber nicht nur bei dem einen Konzert bleiben. Weitere Initiativen sind bereits geplant. So wird es zum Beispiel eine gemeinsam von den Forschungsgruppen Cosy und Mis (Multimedia Information Systems) betreute Bachelorarbeit zum Thema "Refugee Coding" geben, in deren Rahmen eine ukrainische Studentin einen Computer-Einführungskurs für ukrainische Flüchtlinge entwickelt und abhält, unter anderem auch in Zusammenarbeit mit der OCG. (Lisa Nimmervoll, 11.3.2021)