Von der Porträtwand im Vorraum lächelt der Vorgänger, auf dem Türschild steht bereits der Name des neuen Ministers. Viel Zeit fürs Ankommen im neuen Job und in der neuen Stadt blieb Johannes Rauch nicht. Am Tag der Angelobung stand die erste Nationalratssitzung an, an Tag zwei mit Corona-Rekordzahl die erste Pressekonferenz, in der die Aussetzung der Impfpflicht verkündet wurde. Immerhin: Sein Team hat der Vorarlberger schon großteils beisammen.

Der neue Minister am neuen Arbeitsplatz: Seit Dienstag ist Johannes Rauch Gesundheits- und Sozialminister.
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STANDARD: Wie oft haben Sie schon bereut, dass Sie Werner Kogler zugesagt haben?

Rauch: Keine einzige Sekunde. Ab dem Zeitpunkt, da die Entscheidung gefallen ist, gibt es für mich nur eines: volle Kraft voraus. Natürlich sind die ersten Tage herausfordernd. Aber ich habe ein gutes Team, und das hilft. Den letzten Ausschlag für meine Entscheidung hat gegeben, Verantwortung zu übernehmen. Da hat der Krieg in der Ukraine schon einen wesentlichen Beitrag. Zweitens möchte ich, dass nicht immer nur vom Gesundheitsministerium geredet wird, sondern vom Gesundheits- und Sozialministerium.

STANDARD: Wären Sie unter einem Kanzler Kurz auch nach Wien gewechselt?

Rauch: Nein. Unter Kurz hätte ich den Job nicht angenommen.

STANDARD: Bisher haben Sie immer darauf hingewiesen, dass die ÖVP in Vorarlberg eine andere sei als im Bund. Gilt das nicht mehr?

Rauch: Den ersten Eindruck, den ich von meinem politischen Gegenüber hatte, war sehr fair, sehr freundlich und sehr wohlwollend. Und auch die Bereitschaft bekundend, auf Augenhöhe zu arbeiten.

STANDARD: Wir erleben die höchsten Infektionszahlen seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Ist das für Sie besorgniserregend?

Rauch: Je höher die Zahlen sind, desto mehr Gedanken muss sich ein Gesundheitsminister machen. Ich bin der Letzte, der unterschätzt, was auch sogenannte leichte Verläufe mit sich bringen können. Ich versuche jetzt einen Überblick zu bekommen, wo wir stehen und welche Maßnahmen notwendig sind, damit wir beim Aufkommen einer neuen Welle im Herbst keine Fehler wiederholen. Da gehört die weitere Vorgehensweise mit den Impfungen, den Testungen, dem Contact-Tracing, den Absonderungen und Ähnlichem mehr dazu. Mein größtes Anliegen ist es dabei, Maßnahmen so zu gestalten, dass sie wissenschaftlich basiert sind und verständlich sind.

STANDARD: Ist es eine klare Botschaft, an dem Tag die Impfpflicht abzuschaffen, an dem es die höchsten Zahlen gibt?

Rauch: Ein paar Dinge habe ich geerbt, das muss man schon so sagen. Weil so viele Leute geimpft sind oder Covid schon hatten, ist die Immunität derzeit hoch, wird aber sinken. Das wird möglicherweise mit einer wieder anlaufenden Welle zusammenlaufen.

DER STANDARD: Sollte es eine partielle Impfpflicht geben?

Rauch: Was es jetzt braucht, sind Klarheit und nachvollziehbare Entscheidungen. Während der ganzen Pandemie gab es Abgrenzungsschwierigkeiten: Wer ist entschädigungsberechtigt, ist diese Berufsgruppe drinnen – ja oder nein. Muss ich in dem Geschäft eine Maske tragen und in dem Geschäft nicht? Das geht sich nicht aus. Da zu versuchen, die Dinge zu ordnen und dann in einen Maßnahmenplan hineinzukommen, der für die Leute nachvollziehbar ist, das ist für mich das Allerwichtigste.

STANDARD: Braucht es bald neue Maßnahmen?

Rauch: Mir ist schon die Frage gestellt worden, ob ich irgendwas ausschließen kann – etwa einen Lockdown. Den Fehler mache ich ganz sicher nicht. Die Entscheidungen werden getroffen entlang von zwei Leitplanken: so viel wie notwendig, so wenig wie möglich. Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher ist zu gewinnen für nachvollziehbare, transparente Maßnahmen. Aber sie müssen verstanden werden. Ich werde sehr viel Zeit und Energie darauf verwenden, Übersetzungsarbeit zu leisten. Wir sprechen beispielsweise immer etwas abstrakt über "vulnerable Gruppen" – ich möchte lieber klarmachen, dass es dabei etwa um meine Oma geht, um Leute mit Krebsbehandlung. Das muss man so benennen.

STANDARD: Die Zahl der Erstimpfungen stagniert. Wie bringen Sie da Bewegung hinein?

Rauch: Ich werde sehr viel Energie aufwenden zu sagen, Leute, wartet nicht, nur weil die Impfpflicht jetzt ausgesetzt ist. Es schützt euch und eure Angehörigen davor, im Spital zu landen. Und ja, es braucht Verbesserungen bei der Impfkampagne. Die Impflotterie habe ich Gott sei Dank nicht geerbt.

DER STANDARD: Ein gewisser Prozentsatz an Menschen wird nicht erreicht bzw. will scheinbar auch nicht erreicht werden – Stichwort Impfgegner und Impfgegnerinnen. Ihr Vorgänger und seine Familie wurden von diesen Menschen bedroht. Wie wollen Sie das aushalten?

Rauch: Ich bin der Letzte, der das unterschätzt. Das macht schon etwas mit einem. Aber es war in meinem vorigen Job schon so, dass ich bis zu 50 Mails pro Tag mit wüsten Beschimpfungen bekommen habe. Das wird natürlich zunehmen. Aber irgendwann stumpft man da ab. Ich würde unterscheiden: Es gibt einen fließenden Übergang zwischen komplett radikalisierten, staatsfeindlichen Menschen, die wirklich militant am rechten Rand angesiedelt sind, zu einer Gruppe von Menschen, wo ich schon versuche, Kontakt zu halten und zu argumentieren. Weil ich nicht verstehe, wie Leute, die eine gute Ausbildung haben, völlig normal sozialisiert wurden, sich plötzlich ausklinken und diesen abgeschotteten Weltbildern und Verschwörungstheorien folgen. Ich habe gemerkt, dass es einen Teil von Leuten gibt, die ich damit zumindest so weit erreichen kann, dass sie nicht noch weiter abdriften. Und ich denke schon, dass es Aufgabe von Politik ist, darum zu ringen, nicht eine immer größer werdende Gruppe zu verlieren. Weil die verlieren wir nicht nur, was das Impfthema anbelangt. Die verlieren wir, was das Commitment zu Demokratie und Verfassung und Gewaltenteilung angeht. Das kann man nicht kampflos hinnehmen.

Die von Arbeitsminister Martin Kocher in Aussicht gestellten Senkungen bei längerem Bezug von Arbeitslosengeld will Rauch – ausgebildeter Sozialarbeiter – nicht so einfach hinnehmen.
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STANDARD: Apropos Menschen verlieren: Verstehen Sie, dass besonders gefährdete Menschen, vor allem auch jene mit Kindern, der Meinung sind, man beachte sie nicht mehr? In der Schule herrscht ja jetzt Anwesenheitspflicht, aber keine Maskenpflicht.

Rauch: Ich verstehe jede einzelne Gruppe in ihrem Anliegen und ihrer Sorge. Ich kann aber nicht allen im selben Ausmaß gerecht werden. Ich weiß das. Zu versuchen, einen Ausgleich zu schaffen und Verständnis zwischen den einzelnen Gruppen zu befördern, das ist eine Herausforderung. Aber es wird ein Mindestmaß an wechselseitigem Verständnis brauchen. Und Sie können sich sicher sein, ich werde extrem bemüht sein, den Schutz besonders schützenswerter Bevölkerungsgruppen sicherzustellen.

STANDARD: Sie waren selbst Krebspatient, hatten damals Töchter im schulpflichtigen Alter. Wenn es Corona gegeben hätte, was hätten Sie gedacht, wenn alle Maßnahmen gefallen wären?

Rauch: Vermutlich genau dasselbe, was diese Leute sich jetzt denken. In so einer lebensbedrohlichen Situation, wo sich alles auf das eigene Überleben verengt, hast du null Verständnis für alles, was außerhalb stattfindet. Trotzdem kann ich die Maßnahmenplanung nicht ausschließlich daran ausrichten, was für die am meisten gefährdete Gruppe gerade notwendig ist. Ich bin schon jemand, der darauf schaut, auch Vorsicht walten zu lassen. Aber Gesundheit in meiner Welt ist nicht nur die Abwesenheit von Covid.

STANDARD: Nach zwei Jahren Pandemie kämpfen viele Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen. Was werden Sie nun tun?

Rauch: Zuallererst einmal ein Bewusstsein dafür schaffen. Ganz viel an Zusammenhalt und Gemeinsinn sind in der Pandemie verlorengegangen, es sind Ängste da, was Corona, was die Kriegssituation oder die Teuerung betrifft. Ich finde, Politik hat auch die Verantwortung, den Leuten das Gefühl zu geben: Wir nehmen das wahr. Wir finden eine Lösung.

STANDARD: Es mangelt sehr an Kinder- und Jugendpsychiatern. Wie lässt sich das ändern?

Rauch: Ich habe mich schon als Landesrat damit beschäftigt: Wir haben in ganz vielen Bereichen einen Fachkräftemangel. Das gilt in einem besonderen Maß für die Pflege. Zugleich haben wir uns als Land Österreich leider den Ruf erworben, nicht aufnahmefreundlich zu sein. Wir werden jede einzelne Person brauchen und müssen Angebote schaffen, die es attraktiv machen, zu uns zu kommen.

STANDARD: Dafür braucht es viel Geld.

Rauch: An allen Ecken und Enden braucht es mehr Geld. Mein Zugang ist: Jetzt ist es gelungen, in zwei Jahren Pandemie 37 Milliarden Euro für Hilfsmaßnahmen aufzustellen. Dann wäre mein Anspruch, auch die Folgen der Pandemie, die nicht auf Gesundheit beschränkt sind, abzufedern.

STANDARD: Arbeitsminister Kocher schlägt ein stärkeres Absinken des Arbeitslosengeldes bei längerer Dauer des Bezugs vor. Sie haben lange mit Arbeitslosen gearbeitet. Der richtige Weg?

Rauch: Da gibt es die Vorurteile von der sozialen Hängematte. Es geht darum, den Leuten Perspektiven zu geben, die Grundabsicherung sicherzustellen, weil sie am Rande des Existenzminimums leben. Ich halte es für den falschen Weg, da hineinzuschneiden. Die Diskussion ist noch lange nicht ausgestanden.

STANDARD: Die Teuerung ist für viele derzeit ein großes Problem, es gibt den Energiekostenzuschuss in der Höhe von 150 Euro – das wird in vielen Fällen zu wenig sein, oder?

Rauch: Ich kann nicht alle Teuerungen, die stattfinden, abfedern. Gleichzeitig weiß ich, dass es die existenzielle Abfederung braucht. Es wurde einiges auf den Weg gebracht, aber das Thema wird uns massiv noch beschäftigen. Österreichs Sozialstaatlichkeit ist ein Garant dafür, dass in diesem Land sozialer Frieden herrscht. Davon abzurücken wäre das Falscheste, was man tun kann. Daher werde ich für diese sozialen Errungenschaften kämpfen.

STANDARD: Was sagen Sie als Gesundheitsminister jenen, die jetzt Angst haben vor Radioaktivität aus einem der AKWs in der Ukraine?

Rauch: Ich war einmal in Tschernobyl, bei Leuten, die abgesiedelt wurden. Ich kann verstehen, dass es große Sorgen gibt. Es gibt natürlich Krisenpläne, die man dann aktiviert.

STANDARD: Hatten Sie mit dem Ukraine-Krieg in Ihrer Rolle als Minister schon konkret zu tun?

Rauch: Ich werde morgen dem Hauptausschuss eine Verordnung vorlegen, durch die Ukraine-Flüchtlinge in die Krankenversicherung einbezogen werden. (Lara Hagen, Gudrun Springer, 10.3.2022)