War Gustav Klimt erst der Anfang? Mittlerweile werden nicht nur Kunstwerke alter Meister, sondern sogar Standbilder aus Filmklassikern als NFTs gehandelt. Die Energiebilanz digitaler "Originale" ist desaströs.

Ouriel Morgensztern, Belvedere

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Am Kunstmarkt gilt dennoch das ungeschriebene Gesetz, dass sich selbst das, was nur so scheint, als ob, wie warme Semmeln verkauft. Auch im Digitalen.

Das Wiener Belvedere dürfte das beherzigt haben und versucht seit Anfang des Jahres, Gustav Klimts Kuss als NFT (Non-Fungible Token) zu Geld zu machen. Grundlage ist ein hochaufgelöstes digitales Abbild des Werks, das man in 10.000 quadratische Einzelteile zerteilt hat und nun zum Stückpreis von 1850 Euro verkauft. 18,5 Millionen Euro sind dadurch für das Museum erzielbar, fast doppelt so viel, wie man jährlich an Subventionsmitteln erhält. Gut vier Millionen hat das Haus bereits erreicht. Tendenz steigend.

Wer ein solches Schnipsel vom Kuss ersteht, erhält ein digitales Echtheitszertifikat und kann damit tun, was er will, außer es verändern: T-Shirts drucken zum Beispiel oder – so die Nachfrage nicht nachlässt – auf Wertsteigerung spekulieren und gewinnbringend weiterverkaufen.

Großer Run auf Meister-NFTs

Möglich gemacht hat das das Wiener Investment-Start-up artèQ. Es will schon bald mit weiteren Kunstwerken nachlegen, u. a. mit einem Salvador Dalí, diesmal nur nicht in zerstückelter Form, sondern in einer limitierten Edition.

Auch international ist der Run auf die Meister-NFTs längst eröffnet. Bis 19. März läuft aktuell eine Londoner Auktion, in der ikonische Werke von Leonardo, Caravaggio und Modigliani mit freundlicher Unterstützung italienischer Museen, darunter der Uffizien, gehandelt werden.

Kritik daran kommt von zwei Seiten: Analog-Puristen rümpfen die Nase ob der Entwürdigung, die mit dem Handel solcher "Originalkopien" einhergehe. Aber auch jene, die der NFT-Technologie prinzipiell freundlich gesinnt sind, stoßen sich daran, dass nun kunsthistorische Meisterwerke unter den Hammer kommen. Sie orten einen Missbrauch der Technologie, denn ursprünglich waren NFTs dazu gedacht, zeitgenössischen Digitalkünstlern ein Instrument in die Hand zu geben, um kopiergeschützte Originale herstellen und damit am Markt partizipieren zu können – im Ukraine-Krieg werden damit etwa auch auf unkomplizierte Art Charity-Verkäufe abgewickelt.

Pandemie befeuert den Boom

International liebäugeln die durch die Pandemie finanziell in Bedrängnis gekommenen Großmuseen mit einer neuen Einnahmequelle. Und auch an anderer Stelle des Kulturbetriebs wurde zuletzt u. a. pandemisch bedingt mit alten Ressourcen frisches Geld gemacht: Anfang des Jahres überschlugen sich die Meldungen über weitere Songrechte-Verkäufe in der Musikindustrie. In einer langen Reihe von David Bowie über Sting, Tina Turner, Shakira bis hin zu Bob Dylan, die in den letzten Jahren ihre Songrechte an die großen Unterhaltungskonzerne wie Universal, Sony und BMG verkauften, nimmt aktuell Bruce Springsteen den ersten Platz ein. Kolportierte 500 Millionen Dollar zahlte Sony für seine Songs.

Neil Young verkaufte an den britischen Investmentfonds Hipgnosis, der ebenfalls mitmischt und etwa damit lockt, die Songs nicht für Werbespots zu verramschen. Die Musikkonzerne kompensieren mit den eingekauften Tantiemenzahlungen ihre schrumpfenden Erlöse aus dem Tonträgerverkauf. Anstatt darauf zu drängen, Streaming teurer zu machen, was Musikschaffenden direkt helfen würde, wird mit Evergreen-Ressourcen aus der Vergangenheit Kasse gemacht.

Mythos und Marketing

Zusammengenommen sind NFT- und Songrechtehandel die aktuellsten Belege für eine neue Form des Kulturkapitalismus, die die Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre in ihrem 2018 erschienenen Buch Bereicherung (Suhrkamp) mit Blick auf die analoge Welt beschrieben: eine Ökonomie, die "sich nicht in erster Linie auf die Produktion von neuen Objekten, sondern vor allem auf die Aufwertung bereits vorhandener Objekte" stützt. Die Ausbeutung der Ressource Vergangenheit machen sie paradigmatisch an den Luxusartikel-Konzernen fest, wo die richtige Marketingerzählung, der Mythos um das Objekt, mehr zählt als der bloße Nutzwert.

Gut möglich auch, dass in der Welt der NFTs bald weitere Dämme brechen: So werden bereits einzelne Standbilder aus Filmklassikern als Investment gehandelt. Problematisch wäre all das nicht, wenn es nicht auch Verlierer gäbe: Bei der nie versiegenden "Ölquelle" Songrechte sind es junge und weniger etablierte Musikschaffende, NFTs von Meisterwerken hingegen ähneln tatsächlich fossilen Rohstoffen: Ihre Energiebilanz ist desaströs. (Stefan Weiss, 11.3.2022)