Fast 50.000 Neuinfektionen – das ist ein weiterer Negativrekord für Österreich. Noch nie wurden hierzulande innerhalb von 24 Stunden so viele positive Testergebnisse gemeldet wie am Donnerstag. Diese Zahlen bedeuten auch: Etwa 5000 weitere Menschen könnten künftig chronisch krank sein. Sie gelten zwar nach einer Corona-Infektion in der Statistik offiziell als genesen, sind aber nicht wieder gesund geworden. Diagnose: Long Covid.

Die WHO schätzt, dass rund zehn Prozent aller Infizierten unter Spätfolgen leiden. Genau wissen wir das aber nicht: Nach über zwei Jahren Pandemie werden in Österreich bis heute zu Long Covid keine Zahlen erhoben.

Eine differenzierte Datenerhebung wäre aber wichtig, denn das Krankheitsbild ist komplex: Long Covid bedeutet nicht "nur" eine längere Genesungsphase und Langzeitfolgen nach einem schweren Verlauf. Covid-19 kann auch bei jungen Menschen nach leichten Verläufen zu anhaltenden Problemen führen.

Betroffene sind noch Monate nach einer Corona-Erkrankung so erschöpft, dass sie ihren Alltag kaum bewältigen können.
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Der Vergleich mit einer leichten Erkältung war im Lauf dieser Pandemie noch nie angebracht – egal bei welcher Virusvariante. Ähnlich unzulänglich ist es, Long Covid mit ein bisschen Energielosigkeit und Müdigkeit gleichzusetzen. Die Symptome ähneln jenen des Chronischen Fatigue-Syndroms. Betroffene sind noch Monate nach einer Corona-Erkrankung so erschöpft, dass sie ihren Alltag kaum bewältigen können. Ehemals ambitionierte Sportler müssen in den ersten Stock den Lift nehmen. Für junge, einst fitte Menschen wird das Einräumen des Geschirrspülers zu einer nahezu unbewältigbaren Aufgabe.

Man sei sich der Problematik durchaus bewusst, heißt es von den Regierungsparteien. Ausstehende Therapieprogramme vermitteln das Gegenteil. Wer nach über zwei Jahren Pandemie keinerlei Daten, geschweige denn Versorgungskonzepte für die Folgen einer Corona-Infektion hat, muss schon fast bewusst wegschauen. Keine Daten, kein Handlungsbedarf – so scheint es.

Handeln der Politik ist überfällig

Dabei wäre entsprechendes Handeln der Politik längst überfällig. Schon im Februar 2021 forderte die WHO politische Entscheidungsträger und -trägerinnen in einem Hintergrundpapier zur Umsetzung von "multidisziplinären, fachübergreifenden Ansätzen für die Bewertung und Behandlung sowie Rehabilitationsangebote" zu Long Covid auf. Aber bis jetzt fehlt von einem breiten Versorgungsnetz jede Spur – trotz der von der Regierung vielbetonten Bemühungen.

Stattdessen lässt man mitten im Anstieg der bisher größten Welle einen Großteil der Maßnahmen fallen – obwohl schon weit mehr als 200.000 Menschen mit Long Covid chronisch krank sind. Bei manchen Betroffenen bessere sich der Zustand nach einigen Monaten zwar von selbst wieder, aber längst nicht bei allen, berichten Fachleute.

Das Hoffen auf das Beste ist auf individueller Ebene natürlich verständlich, aber wohl kaum eine zureichende gesundheitspolitische Maßnahme. Die Regierung darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, die Folgen der breiten Lockerungen zu tragen. Mit den Öffnungsschritten nimmt sie unweigerlich viele weitere chronisch Kranke in Kauf.

Es gilt, Long Covid endlich in politischen Entscheidungsfindungen zu berücksichtigen. Bisher ist das zu wenig passiert. Das ist nicht nur den Betroffenen gegenüber inakzeptabel, sondern auch gesundheitspolitisch fahrlässig. (Magdalena Pötsch, 11.3.2022)