Im Sommer bildeten sich noch Schlangen im Austria Center. Inzwischen ist die Impfbereitschaft zurückgegangen.

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Die Impfpflicht wurde trotz Infektionsrekords auf Eis gelegt.

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Die neuen Höchstzahlen verkraftet offenbar auch das Meldesystem nicht mehr. Nach dem bisherigen Allzeithoch mit 47.795 Neuinfektionen am Mittwoch waren am Donnerstag vorerst nur die unbereinigten Daten des Epidemiologischen Meldesystems (EMS) verfügbar. Erst am Nachmittag trudelten die aktuellen Zahlen ein – mit einem neuerlichen Höchstwert: 49.432 neue Fälle.

Frage: Kommt es angesichts der steigenden Infektionszahlen zu einer Rücknahme der Lockerungen?

Antwort: Die Corona-Kommission gibt sich angesichts der extrem hohen Fallzahlen alarmiert. Nicht nur wurden nach Informationen der APA in der Sitzung des Gremiums am Donnerstag wieder alle Bundesländer auf höchstes Risiko gestellt, es wurde auch die Wiedereinführung geeigneter Präventionsmaßnahmen eingefordert. Einzig die Vertretung des Bundeskanzleramts enthielt sich bei dieser Empfehlung. Begründet wurde der Wunsch auch mit der steigenden Belastung im Bereich der Normalstationen in den Spitälern. Daher werde die bundeseinheitliche Wiedereinführung von Präventionsmaßnahmen empfohlen. Mit 5. März ist der Großteil der Maßnahmen gefallen. Im Interview mit dem STANDARD sagt Gesundheitsminister Johannes Rauch dazu nur Folgendes: "Mir ist schon die Frage gestellt worden, ob ich irgendetwas ausschließen kann – etwa einen neuen Lockdown. Den Fehler mache ich ganz sicher nicht"

Am Abend hieß es dann jedoch aus dem Gesundheitsministerium: "Eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen wenige Tage nach der weitgehenden Öffnung wäre der Bevölkerung nicht vermittelbar." Sie sei nach den Prognosen, die die Corona-Kommission selbst veröffentlicht habe, auch nicht nötig. Eine Überlastung des Gesundheitssystems sei in keinem einzigen Bundesland absehbar. Interessant dabei: In der Kommission hatte sich die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit und Gecko-Leiterin Katharina Reich zuvor für die Wiedereinführung von Maßnahmen ausgesprochen, wie der APA Sitzungsbeteiligte berichteten.

Frage: Wie ist derzeit die Lage in den Spitälern?

Antwort: Auf den Intensivstationen ist die Lage seit Mitte Jänner stabil und bewegt sich noch im grünen Bereich. In den letzten beiden Tagen wurde sogar ein relativ deutliches Minus verzeichnet: Am Donnerstag lagen 179 Patientinnen und Patienten auf Corona-Intensivstationen. Die Belastung auf den Normalstationen steigt hingegen im Wochenschnitt weiterhin: Am Donnerstag waren fast 2500 Normalbetten belegt. In Wien sind es fast 600: Weil neben der Auslastung auch noch zahlreiche Quarantänefälle beim medizinischen Personal dazukommen, mussten zuletzt wieder Operationen verschoben werden.

Frage: Gibt es aktuell eine Übersterblichkeit in Österreich?

Antwort: Am Donnerstag kamen weitere 23 Covid-Todesfälle dazu, insgesamt sind 15.136 Personen an oder mit Covid verstorben. Trotz der hohen Neuinfektionszahlen wird seit Jahresbeginn laut vorläufigen Daten der Statistik Austria aber keine Übersterblichkeit – über alle Sterbefälle hinweg – verzeichnet. Die Todesfälle pro Woche bewegen sich in der erwarteten Bandbreite.

Frage: Wie steht es nun um die Impfpflicht?

Antwort: Sie wurde am Mittwoch auf Eis gelegt. Ursprünglich war vorgesehen, dass ab Mitte März Strafen verhängt werden können, wenn eine Corona-Schutzimpfung ohne entsprechenden Grund verweigert wird. Laut Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wird nun allerdings der gesamte Plan, die Impfpflicht einzuführen, auf unbestimmte Zeit verschoben. Edtstadler verwies zudem darauf, dass angesichts der Omikron-Variante derzeit eine Impfpflicht nicht verhältnismäßig sei. Die Regierung begründet die Auf-Eis-Legung mit dem aktuellen Bericht der Impfpflichtkommission. In ihrem aktuellsten Bericht hatte diese Zweifel am Zeitpunkt geäußert.

Frage: Ist die Impfpflicht also passé?

Antwort: Nein. Die Kommission, die aus Juristen und Medizinerinnen besteht, hielt in ihrem 25-seitigen Report fest, dass in erster Linie der Zeitpunkt für eine Impfpflicht entscheidend sei: Auf die aktuelle Welle hätte der Schritt keinen Effekt. Sie hielt aber auch fest, dass er zu einem späteren Zeitpunkt wirksam sein könnte. Die Kommission geht nämlich davon aus, dass im Herbst mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine neue, möglicherweise massive Welle an Corona-Infektionen zu erwarten sei. Diese treffe dann aber auf eine Bevölkerung, deren Schutz durch bisherige Impfungen oder eine Genesung drastisch reduziert sein könnte. Daher kam das Gremium zum Schluss, dass es im Spätsommer oder Herbst Auffrischungsimpfungen brauche. In drei Monaten steht der nächste Bericht an: Bis dahin soll die Kommission die Situation neu evaluieren. Allerdings hätte die Regierung aktuell durchaus mehr Spielraum gehabt. 600.000 Personen gelten derzeit als weder genesen noch geimpft. Schon jetzt eine Impfpflicht für diese Gruppe durchzusetzen sei "verfassungsrechtlich möglich und medizinisch auch durchaus sinnvoll", hielt Karl Stöger, Medizinrechtsexperte und Kommissionsvorsitzender, am Donnerstag in einem Ö1-Gespräch fest. Das habe man im Bericht als Möglichkeit auch so festgehalten.

Frage: Wie beurteilen Expertinnen und Experten die Entscheidung?

Antwort: Auch abseits der Kommission sind sich Expertinnen und Experten einig, dass eine Impfpflicht in der aktuellen Welle kaum Effekt hätte. So sieht es auch der Komplexitätsforscher Peter Klimek. Dennoch hätte der Schritt als Vorbereitung für eine mögliche Herbstwelle dienen können, merkte Klimek in einem ORF-Gespräch an. Dass nun selbst im Gesundheits- und Pflegebereich keine Impfpflicht gilt, kritisierte etwa der Epidemiologe Gerald Gartlehner in der ZiB2 als "etwas problematisch". Die Impfkommission hat sich nicht mit einer solchen berufsgruppenspezifischen Unterscheidung beschäftigt. Das ist laut Stöger auch nicht so vorgesehen. Man habe die Aufgabe, die allgemeine Impfpflicht zu durchleuchten. Die Epidemiologin Eva Schernhammer, ebenfalls Kommissionsmitglied, sprach sich indes in der "Wiener Zeitung" für eine Impfpflicht im medizinischen Bereich und in der Altenpflege aus.

Frage: Wie sind die Verläufe bei BA.2 im Gegensatz zu BA.1?

Antwort: Erste Labordaten gingen davon aus, dass der Krankheitsverlauf bei BA.2 schwerer ist als bei BA.1. Das zeigte sich an Hamstermodellen, an denen die Viruslast bei BA.2 wieder verstärkt auf die Lunge ging. Diese Studienergebnisse sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Daten von ungeimpften Hamstern lassen sich – anders als zu früheren Zeitpunkten der Pandemie – nicht auf Menschen mit Grundimmunisierung übertragen. Nichtsdestoweniger steigen in einigen Ländern wieder die Hospitalisierungen. "Diese sind aber wohl eher auf die steigenden Inzidenzen, insbesondere jene bei der älteren Generation, zurückzuführen und nicht auf die Unterschiede zwischen BA.1 und BA.2", analysiert der Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Frage: Erhalten Risikopatientinnen und -patienten eine vierte Impfung?

Antwort: Es ist noch unklar, ob und wann eine vierte Impfung für alle kommen wird. Das Nationale Impfgremium (NIG) empfiehlt ihn derzeit nur Menschen mit einem schwachen Immunsystem, Älteren und Personen in Gesundheitsberufen. Der Mikrobiologe Ulrich Elling rät: "Wenn der Drittstich schon mehr als vier Monate zurückliegt, können über 60-Jährige über einen Off-label-Viertstich nachdenken." Menschen mit einem intakten Immunsystem hingegen wird der vierte Stich derzeit nicht empfohlen.

Frage: Für wann wird mit einem angepassten Impfstoff gerechnet?

Antwort: Darüber gibt es im Moment nur Spekulationen. Erste Studien wurden bereits im Jänner durchgeführt, die Ergebnisse werden für Ende März erwartet. Markus Zeitlinger, Pharmakologe an der Med-Uni Wien, ist zuversichtlich, dass die an Omikron angepassten Vakzine noch im Frühling verfügbar sein werden. "Die Impfstoffe werden schon produziert, und es ist möglich, dass sie bereits Anfang Mai verimpft werden können." Ein Abwarten auf den angepassten Impfstoff, empfiehlt der Experte allerdings nicht: "Es wird nicht sofort unbegrenzt viel Impfstoff zur Verfügung stehen." Im ersten Schritt werden voraussichtlich die vulnerablen Gruppen wie Ältere oder immunsupprimierte Personen sowie medizinisches Personal ihren vierten Stich mit dem angepassten Impfstoff bekommen. (Jasmin Altrock, Anna Giulia Fink, David Krutzler, Walter Müller, Magdalena Pötsch, 11.3.2022)