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Der Gemeine Krake (Octopus vulgaris) ist ein sehr erfolgreiches Weichtier: Er kommt rund um den Globus in den Meeren sowohl der tropischen als auch der gemäßigten Zone vor. Sein Urahne Syllipsimopodi lebte vor über 330 Millionen Jahren und besaß noch zehn Arme.

Foto: Getty Images

Die evolutionären Wurzeln der modernen Tintenfische reichen bis fast zum Beginn des komplexen Lebens zurück. Ihre ersten Vorfahren tummelten sich vielleicht schon vor über 500 Millionen Jahren in den urzeitlichen Meeren. Gegen Ende des Kambriums gut 30 Millionen Jahre später hatte sich diese Weichtiergruppe jedenfalls einen fixen Platz im damaligen Tierreich erkämpft. Das lässt sich aus überraschend variantenreichen fossilen Schalen ablesen, die Nautilus-ähnliche Vielarmer zum Beispiel in Gesteinsformationen im Nordosten Chinas hinterlassen haben.

Der Anfang aller modernen Tintenfische

Die meisten dieser frühen Kopffüßer schafften es jedoch nicht durch das kambro-ordovizische Massenaussterben vor 488 Millionen Jahren. Nach bisherigem Forschungsstand überlebte nur eine einzige Familie der Tentakelwesen den Übergang zum nächsten Erdzeitalter. Diese Gruppe mit dem wissenschaftlichen Namen Ellesmeroceratidae dürfte am Anfang aller späteren Kopffüßer stehen, einschließlich moderner Tintenfische, Perlboote und Kraken.

Letztere traten in ihrer heute bekannten achtarmigen Form erstmals während des Jura (vor 150 Millionen Jahren) in Erscheinung. Von der Hauptlinie des Kopffüßerstammbaums emanzipierten sich die Oktopusse jedoch schon deutlich früher, das hat nun ein außergewöhnlicher Fund ergeben. Zur Verblüffung des Teams um Christopher Whalen und Neil Landman vom American Museum of Natural History (New York) und von der Yale University besaßen die Urmütter und -väter der Achtarmigen Tintenfische (Vampyropoda) noch zehn Arme und glichen auf den ersten Blick den heutigen Sepien.

Dass sich der Abdruck eines seit 330 Millionen Jahren toten Kopffüßers bis heute erhalten hat, kommt nur selten vor. Meistens zerfallen die Weichtiere, ohne Spuren zu hinterlassen.
Foto: Christopher Whalen/AMNH

Seltener Abdruck

Dass es das Fossil überhaupt gibt, ist an sich schon ein Wunder, denn Weichtiere wie dieses gelten nicht gerade als besonders haltbar. Meist zerfallen ihre Körper unmittelbar nach dem Tod und hinterlassen dabei kaum Spuren. Dieses konkrete Wesen jedoch schuf nach seinem Ableben vor 330 Millionen Jahren im Sand einer tropischen Meeresbucht einen detailreichen Abdruck seiner Anatomie, der sich im Kalkstein bis heute erhalten hat. Gefunden wurde die Versteinerung im US-Bundesstaat Montana bereits 1988, ehe sie in die Sammlung des kanadischen Royal Ontario Museum gelangte. Die wahre Bedeutung erschloss sich den Forschenden jedoch erst kürzlich.

"Dies ist der erste und einzige bekannte Vertreter dieser Gruppe, der zehn funktionelle Anhängsel besitzt", sagte Whalen, Hauptautor der im Fachjournal "Nature Communications" erschienenen Studie. Whalen und Landman identifizierten das fossile rund 12 Zentimeter lange Exemplar als eine bisher unbekannte Gattung und Art und datierten es auf 328 Millionen Jahre. Das macht es zum ältesten bekannten Oktopusahnen. Außerdem untermauert es frühere Theorien, wonach der gemeinsame Vorfahre der Vampyropoden ebenfalls zehn Arme hatte.

Syllipsimopodi bideni glich mit seinen zehn Armenmit Saugnäpfen und dem länglichen Körper modernen Tintenfischen. Tatsächlich aber war er wahrscheinlich der Urahn der späteren Oktopusse.
Illustr.: Christopher Whalen

Verkümmerte Arme

"Die Anzahl der Arme ist eines der bestimmenden Merkmale, das die Linie der zehnarmigen Tintenfische von der Linie der achtarmigen Kopffüßer unterscheidet", sagt Whalen. "Zwar vermuten wir schon seit langem, dass die Achtarmer aus Tintenfischen hervorgingen, bei denen zwei Tentakel im Laufe der Jahrmillionen verkümmert sind. Mit diesem Fossil halten wir nun endlich auch einen Beweis dafür in Händen."

Die Rekonstruktion des lebenden Tieres aus dem Fossil zeigt, dass zwei der saugnapfbewehrten Arme des Kopffüßers signifikant länger waren als die übrigen acht. Die Tentakel waren rund um das Maul angeordnet, das sich am Ende eines torpedoförmiger Körpers befindet, und den Schwanz säumte eine vermutlich runde Flosse.

Kopffüßer-Präsident

Die Forschenden tauften ihre Entdeckung auf den Namen Syllipsimopodi bideni – zu Ehren von Joe Biden, der zum Zeitpunkt der Paper-Einreichung zum 46. US-Präsidenten vereidigt wurde. Die Entscheidung ist durchaus wissenschafts-politisch zu interpretieren: "Die Pläne, die Biden zur Bekämpfung des Klimawandels präsentiert hat, sowie seine Einstellung, dass Politiker auf die Wissenschafter hören sollten, haben mich zu dieser Namensgebung inspiriert", sagt Whalen. (Thomas Bergmayr, 11.3.2022)