Foto: Facebook

Der Krieg in der Ukraine befeuert Fehlinformationen, die stark in sozialen Medien kursieren. Aktuell verbreiten User angeblich neue Fotos, die ukrainische Kindersoldaten des "Asow-Bataillons" zeigen sollen, die nach dem Vorbild des "IS" ausgebildet werden würden. Bei dem Bataillon handle es sich um "eine Gruppe von Nazis", die von den letzten Regierungen in Kiew finanziert worden sei. Das sehen die User als Legitimation für den Einmarsch Russlands. Die Nachrichtenagentur APA ist diesen sich schnell verbreitenden Social-Media-Beiträgen nachgegangen und hat herausgefunden, dass viele Fotos nicht während des aktuellen Krieges entstanden sind, sondern wesentlich älter sind.

Paramilitärisches Ferienlager

Die vor allem auf Facebook derzeit verbreiteten Fotos sind alt und haben nichts mit dem aktuellen Einmarsch Russlands in die Ukraine zu tun, so die APA. Sie zeigen ein paramilitärisches Ferienlager, das von der "Asow"-Gruppe organisiert wird und sich an Kinder und Jugendliche richtet. Mehreren Quellen zufolge weisen zumindest Teile der Gruppe stark extremistische und nationalistische Züge auf. Der Anteil von Rechtsextremen beziehungsweise Neonazis im ukrainischen Militär ist nicht feststellbar. Ihn als Legitimation eines Einmarschs zu sehen entspricht einem vom Kreml verbreiteten Narrativ.

Überprüfung: In den oft geteilten Postings sind neun Bilder enthalten, die allesamt Kinder zeigen, die militärisches Gewand tragen, mit Waffen oder Waffenattrappen hantieren und patriotisch posieren. Einige der Kinder tragen ein gelbes Leiberl, auf dem "???????" ("Asowez") steht. Zudem ist eine gespiegelte Version des neonazistischen "Wolfsangel"- Symbol ("Idea of the Nation"-Symbol) zu sehen. Keines der Fotos ist aktuell oder steht in Zusammenhang mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022.

Das erste Bild stammt von der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und wurde am 8. Juli 2017 außerhalb von Kiew in einem "paramilitärischen Camp für Kinder" aufgenommen. Der Ursprung des zweiten Fotos ist unklar, es taucht aber bereits in einem russischen Artikel von August 2015 auf. Das dritte Bild ist auch von der AP und stammt von 14. Juli 2017. Das vierte Bild muss zwischen den Jahren 2016 und 2017 entstanden sein, wie die Foto-Datenbank des Dokumentarfotografen Alex Masi zeigt. Der Ursprung des fünften Bildes bleibt ebenfalls unklar, die Bildrückwärtssuche TinEye datiert den frühesten Treffer aber auf August 2015.

Ungenannte Quellen

Das sechste Bild findet sich auf der Webseite der European Pressphoto Agency (EPA) und entstand am 12. August 2015 am Stadtrand von Kiew. Der Bildbeschreibung zufolge ist das militärisch-patriotische Sommerlager "Asowez" zu sehen, das von dem freiwilligen Bataillon "Asow" für Kinder organisiert wurde, deren Eltern in der ostukrainischen Konfliktzone wohnen sowie für andere Kinder aus Kiew. Die Kinder würden dort über das Militär lernen, Selbstverteidigung und Überlebensfertigkeiten üben sowie Sport machen.

Das siebente Foto wurde im April 2016 im Sozialen Netzwerk VK, das stark in Russland genutzt wird, gepostet. Die Userin arbeitet eigenen Angaben zufolge für das Bataillon "Asow". Wie sich deren VK-Seite entnehmen lässt, soll den Kindern von Ausbildern des Bataillons unter anderem beigebracht werden mit Waffen umzugehen und Erste Hilfe zu leisten. Vorträge und Filmvorführungen zu historischen und patriotischen Themen sollen ihnen zudem die Bedeutung ihres Heimatlandes näher bringen.

Das vorletzte Bild wurde am 14. August 2015 von einem Fotografen der französischen Nachrichtenagentur AFP gemacht und wird ebenfalls einem Sommercamp des "Asow"-Bataillons zugeschrieben. Es findet sich auch in einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Das letzte Foto taucht bereits im März 2014 in der Bilder-Suchmaschine TinEye auf. Es ist unklar, ob es im Zusammenhang mit den Sommercamps steht.

Nationalistische Züge

Über die Sommerlager und das Bataillon "Asow" gibt es mehrere Medienberichte, etwa vom britischen Guardian, der Nachrichtenagentur Reuters, dem Sender Radio Free Europe/Radio Liberty und dem Recherchekollektiv Bellingcat. Einigen Berichten zufolge weisen Teile der Gruppierung, etwa der "Nationalkorps", starke extremistische und nationalistische Züge auf. Davon ist auch in einem Bericht des US-Außenministeriums aus dem Jahr 2019 sowie in einem Bericht der US-amerikanischen NGO Freedom House von 2018 die Rede.

Nach Angaben von Bellingcat erhielten mehrere ukrainische rechtsaußen-Gruppierungen, darunter der "Nationalkorps", finanzielle Unterstützung von der Regierung für "national-patriotische Bildungsprojekte". Inwieweit auch Geld davon in die paramilitärischen Sommercamps geflossen ist, lässt sich nicht sagen. Auch die Nachrichtenagentur AP berichtete im Jahr 2018, dass das ukrainische Ministerium für Jugend und Sport "junge und patriotische Erziehung" finanziell unterstützte, darunter auch Jugendcamps.

Aus einem Video der "New York Times" geht hervor, dass die Sommercamps im Jahr 2015 gegründet wurden, also ein Jahr nachdem Russland die Krim annektiert hatte. Der russische Präsident Wladimir Putin hat seinen Einmarsch im Februar 2022 mehrmals mit der "Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine" erklärt. Wenngleich es in der Ukraine mehrere rechtsextreme Gruppen gibt, ist das Narrativ höchst umstritten. Medienberichten zufolge formierte sich das "Asow"-Bataillon erst bei den Euromaidan-Protesten 2013 und 2014. Laut Experten würde es das extremistische Bataillon ohne den Angriff Russlands nicht geben.

Mehr Asow-Postings

Die britische BBC berichtete, dass es laut dem Technologieunternehmen Logically seit November einen starken Anstieg von Social-Media-Postings gibt, die die Ukraine mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringen. Ein Grund für das aktuelle Interesse an "Asow" könnte zudem die Tatsache sein, dass das Bataillon trotz der Charkiwer Herkunft führender Vertreter in der Stadt Mariupol am Asowschen Meer entstanden ist und die Gruppierung in der derzeit heftig umkämpften Stadt eine wichtige Rolle in der Verteidigung spielt. (APA, 11.3.2022)