Am Donnerstagvormittag um Schlag 11.45 Uhr läutet mein – Spiegel. Nachdem ich am Touchscreen des im Wohnzimmer aufgestellten Geräts den Anruf angenommen habe, sehe ich darin nicht mehr nur mich im Sport-Outfit – sondern auch meine Trainerin Janine Hanrath, berufsbedingt sportlich mit Pferdeschwanz und Crop-Top. Ich sitze in Wien-Meidling, sie in Deutschland. Wir sind fast 1000 Kilometer voneinander entfernt – und heute zum Training verabredet.

Spieglein, Spieglein an der Wand: Bei diesem Trainingsgerät hat man immer ein Gegenüber, ob man will oder nicht.
Foto: Regine Hendrich

Mein Spiegel ist ein smarter Fitnessspiegel des deutschen Start-ups Vaha, den es mir zuletzt hartnäckig in meine Instagram-Timeline gespült hat. Dahinter steht Unternehmerin und Informatikerin Valerie Bures, die vor einigen Jahren die Frauenfitnesskette Mrs. Sporty mitbegründet hat. Für ihr neuestes Produkt hat sie unter anderem Porsche Ventures als Geldgeber an Bord holen können.

Der Vaha Mirror schaut aus wie ein Smartphone auf Steroiden. Er ist größer als ich und so schwer, dass die zwei Männer von der Spedition schnaufen, als sie ihn aus der Schachtel heben. In meiner 80-Quadratmeter-Wohnung stößt die Ankunft des Testobjekts nicht nur auf Freude. Einerseits haben wir nun zwar endlich einen schicken Ganzkörperspiegel im Eingangsbereich. Andererseits kommt niemand mehr ins WC, wenn ich meine Sportmatte ausrolle.

Und ich rolle sie oft aus und klicke mich durch die rund 750 vorproduzierten Workouts, die von Barre über Hula-Hoop-Trainings und HIITs bis hin zu Meditation und Yoga reichen, Live-Trainings gibt es auch. Der Trainer oder die Trainerin erscheint im Spiegelbild und wirkt zu jeder Tages- und Nachtzeit bestens gelaunt: "Die nächsten 30 Minuten werden spicy, sie werden spaßig, und sie werden ... mwah ... knackig", kündigt Trainer Nikolai vor einem Barre-Workout an. Okay.

Wer ist die Fitteste im ganzen Land?

Der Vorteil eines Fitnessspiegels: Man sieht sich beim Herumturnen – und sieht sofort, ob das, was sich wie ein Liegestütz anfühlt, auch wie ein Liegestütz aussieht (Antwort: Das tut es nicht immer). Man kann so kontrollieren, ob der Rücken beim Plank gerade bleibt und ob die Kniebeugen symmetrisch ausschauen. Der Nachteil eines Fitnessspiegels: Man sieht sich beim Herumturnen. Dabei will ich gar nicht so genau wissen, wie ich beim Cardio-Box-Workout ausschaue. Mit den schönen Menschen, die für das Produkt werben, hat mein verzerrter Gesichtsausdruck nach einer Minute Hampelmännern nicht mehr viel gemeinsam.

Überhaupt: Beschäftigen wir uns als Gesellschaft nicht ohnehin schon viel zu viel mit uns und unserem Aussehen? Und ruft ein sprechender Spiegel eigentlich nur bei mir Assoziationen mit Schneewittchen und der bösen Königin hervor? Auf meine Frage, wer denn die Fitteste im ganzen Land sei, gab mir mein Spiegel keine Antwort. Ich bin’s nicht.

Mehr als 750 vorproduzierte Workouts stehen zur Verfügung, außerdem gibt es Live-Workouts, bei denen man gemeinsam schwitzt, und Einheiten mit Personal Trainer.
Foto: Regine Hendrich

Dafür kann mein Spiegel Motion-Tracking – theoretisch: Vor Trainings mit einem Avatar muss ich ruhig vor meinem Spiegel stehen und werde vermessen. Später bekomme ich Hinweise, wenn ich Übungen falsch ausführe. Bei mir fiel die Technik aber meist aus, weil mein Internet zu langsam war. Manchmal funktionierte es doch: 92 Prozent richtig, lautete das Urteil bei meinen Ausfallschritten. Ich sollte aber versuchen, mich im gleichen Tempo wie die Trainerin zu bewegen.

Für meinen Nachbar einen Stock tiefer ist mein Herumgehüpfe zu Hause nichts Neues mehr. Durch die geschlossenen Fitnessstudios hat das Schwitzen zu Hause in den vergangenen zwei Jahren Auftrieb bekommen, davon haben Unternehmen wie etwa Peloton, das Fahrrad-Ergometer mit digitaler Community anbietet, sehr profitiert. Mittlerweile ist die Nachfrage aber zurückgegangen. Vaha startete erst während der Pandemie durch. Und jetzt? Die Nachfrage sei immer noch "riesig", heißt es auf Nachfrage: "Generell wird dem ,Connected Home Fitness‘-Markt ein Riesen-Wachstumspotenzial zugemessen."

"Wir sind ein Team"

Und so connecte ich am Donnerstag um 11.45 Uhr mit meiner Trainerin Janine Hanrath. "Die erste Einheit läuft nicht so sportlich ab", sagt sie nach der Begrüßung und greift zu ihrem Tablet, auf dem sie sich während unseres Kennenlernens Notizen machen wird. Ich oute mich als Journalistin, klappe meinen Block auf und mache auch Notizen. Ein Training mit Personal Trainerin ist pro Monat im stolzen Preis für den Spiegel (auf Raten) und die Monatsmitgliedschaft inkludiert. Die günstigste Variante kommt auf 78 Euro pro Monat.

Dafür bekommt man einen personalisierten Trainingsplan. Damit das funktioniert, muss ich Hanrath nun von mir erzählen. Etwa, wie oft ich Sport mache, was meine sportlichen Ziele sind und welche Trainingsgeräte mir zur Verfügung stehen ("Nein, ich hab leider kein Trampolin."). Meine Trainerin kündigt auch gleich an, dass sie checken wird, ob ich die Workouts tatsächlich mache. "Mit dem Spiegel wird es verbindlich", sagt sie. "Wir zwei sind jetzt ein Team." Der Gedanke hält den Schweinehund in Schach.

Nun möchte sie sehen, was ich kann. Ich verrücke meine Matte, damit ich gut im Bild bin. Wir starten mit Liegestütz, kein Problem! Ich begebe mich in Position und lege los. Nach fünf Wiederholungen stoppt mich Hanrath bereits. "Kann es sein, dass du nicht atmest?" Ich schnappe nach Luft. Die Trainerin macht sich Notizen. Ich auch.

Dehnen und rollen

Drei Baustellen gibt es im Körper, erklärt sie mir: die Muskulatur, die Ausdauer – und die Mobilität. Bei den meisten hapere es an einem der drei Aspekte. Mir schwant Böses. Jetzt kommt nämlich die Mobilität. Ich soll meine Hände hinter meinem Rücken zusammenführen, indem ich mit der einen von oben über meine Schulter greife und mit der anderen von unten. Ich ziehe und zerre, bemühe mich wirklich. Aber sagen wir so: Zwischen meinen Händen hätte noch ein Kleinstaat Platz. "Dass du das nicht kannst, hat in mir jetzt ein Feuer entfacht", sagt Hanrath und wirkt ein bisschen schockiert. Sie macht sich Notizen, ich nicht, immerhin sind meine Arme hinter meinem Rücken verknotet.

Auf diese Schwäche wird mein Trainingsplan nun abgestimmt. So mache ich nun Workouts, die ich mir nie selbst ausgesucht hätte. Ich dehne, knete meine Oberschenkel mit meiner Faszienrolle durch und versuche, meine starren Schultern zu mobilisieren.

"Am Rand der Komfortzone passiert die Veränderung", hat Janine Hanrath zu mir gesagt. Wer hätte gedacht, dass die schon hinter meinem Rücken aufhört. (Franziska Zoidl, 13.3.2022)