Lange waren Emotionen im Arbeitsleben tabu. Dann entdeckten sie findige Berater als "Ressource". In der Folge kreierten Unternehmen den Slogan "Wir wollen den ganzen Menschen". Und erschraken, dass sie den ganzen Menschen auch erhalten hatten mit all seinen Vorzügen, Talenten, Unzulänglichkeiten und eben: Emotionen, die nun zumindest teilweise salonfähig waren.

In weiterer Folge wurde auch in Firmen (wie in der Schule) fein säuberlich unterschieden zwischen erwünschten und nicht erwünschten Emotionen. Erwünscht etwa: Leidenschaft (für den Job), die Suche nach Zugehörigkeit (in der Firma) oder Solidarität (Arbeit von Kollegen übernehmen). Unerwünscht etwa: Kränkung (nach mieser Behandlung), Aggression (nach Benachteiligung) oder innere Kündigung (nach Frustrationserlebnissen).

Das hat mithilfe von Beratern und Coaches halbwegs funktioniert im Management der Belegschaft und in Aufrechterhaltung der Produktivität. Sogar noch in Pandemiemonaten.

Jetzt muss das Anhören, das Mitfühlen stattfinden. Dafür muss jede Zeit vorhanden sein.
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Über Ängste sprechen

Jetzt ist allerdings die Emotionsbüchse aufgesprungen. Krieg haben die meisten in der Belegschaft noch nie erlebt. Bomben kennen die meisten Kolleginnen und Kollegen nur aus Filmen. Die Möglichkeit atomarer Zerstörung war bis jetzt weit weg und/oder gut zu verdrängen. Jetzt ist alles da. Auch bei den Mitarbeitenden, die keine Verwandten oder Freunde in der Ukraine haben, die keine Kollegen in Werken vor Ort im Krieg haben, deren Firmen nicht verstrickt sind.

Das ist eine neue Kategorie für Führung. Da kann der Chef nicht sagen: "Dir geht’s eh gut hier, ich muss mich um unsere Lieferkette kümmern." Jetzt geht es um das Besprechbarmachen aller existenziellen Ängste, die Menschen haben können. Jetzt muss das Anhören, das Mitfühlen stattfinden. Dafür muss jede Zeit vorhanden sein. (Karin Bauer, 14.3.2022)