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Noch immer gehört das Schweinsschnitzel zu den beliebtesten österreichischen Nationalgerichten. Kann es künftig durch ein Sojaschnitzel oder Laborfleisch ersetzt werden?
Claudia Ringl hat wenig Zeit für Pausen. Ein Kunde hat gerade zwei Leberkässemmeln aus der "Leberkäsbar" bestellt, mit geübten Handgriffen schneidet Ringl zwei Scheiben ab. Eine ältere Dame fragt nach den getrockneten Rinderlungen und -lebern, ein anderer Herr bestellt eineinhalb Kilo Schweinsschulter. "Darf’s noch was sein?", fragt Ringl. Meistens darf es das.
In der Fleischerei Ringl in Wien ist die Welt noch wie vor 50 Jahren. Die Theke, die Wände, ja sogar die Decke sind bis auf den letzten Quadratmeter mit Burenwürsten, Käsekrainer, Salami, Blutwürsten, Steaks oder Schweinsrippen behängt. Es kommen viele Stammgäste, teilweise auch aus Klosterneuburg und Baden, sagt Claudia Ringl, die die Fleischerei gemeinsam mit ihrer Schwester führt. Vor allem Schweine- und Rindfleisch seien beliebt.
Das Ringl bietet einen Blick in die Vergangenheit, aber auch – zumindest wenn es nach den Betreiberinnen geht – in die Zukunft des Fleischlands Österreich: in die Vergangenheit, weil Fleischereien seit Jahren immer weniger werden, der Großteil der Österreicherinnen und Österreicher sein Fleisch im Supermarkt kauft und der Fleischkonsum langsam aber stetig zurückgeht. In die Zukunft, weil Ringl glaubt, dass Konsumenten eher weniger Fleisch, dafür bewusster einkaufen werden.
Gipfel des Fleischkonsums
"Wir haben seit einigen Jahren den Peak Meat, also die Spitze des Fleischkonsums, überschritten", sagt die Ernährungswissenschafterin und Foodtrend-Forscherin Hanni Rützler im STANDARD-Gespräch. Themen wie Tierleid, schlechte Haltebedingungen und die Auswirkungen übermäßigen Fleischkonsums auf den Klimawandel und die Nachhaltigkeit seien mittlerweile im Mainstream angekommen. Zugleich werde das Thema Fleisch immer politischer und moralischer. Ob man Fleisch esse oder nicht, habe durchaus Potenzial für Grabenkämpfe. "Vor allem in Österreich ist das Thema Fleisch auch eine Frage kultureller Identität", sagt Rützler.
Im europäischen Vergleich liegt Österreich beim Fleischkonsum nach wie vor im Spitzenfeld. 93 Kilogramm Fleisch verbraucht jede Österreicherin und jeder Österreicher laut der Umweltorganisation Global 2000 durchschnittlich im Jahr. Das Schweinsschnitzel steht an der Beliebtheitsskala noch immer ganz weit oben – und damit auch das Schweinefleisch. Erst in den vergangenen fünf Jahren sei ein leichter Rückgang beim Fleischkonsum zu beobachten. Für Umweltschützer geht das nicht schnell genug: Bis 2030 müsste der Fleischverzehr in der EU um 70 Prozent zurückgehen, um mit den Klimazielen schrittzuhalten, heißt es bei Greenpeace.
Vegane Schnitzel
Doch Essgewohnheiten und -kulturen ändern sich nur langsam, wovon die Wiener Schnitzel-Institution Figlmüller seit langem profitiert. "80 Prozent der Gerichte, die wir im Restaurant verkaufen, sind das klassische Wiener Schnitzel", sagt Thomas Figlmüller, der gemeinsam mit seinem Bruder den Traditionsbetrieb leitet und an einem Tisch im zum Figlmüller-Komplex gehörenden Restaurant Joma Platz genommen hat. Umso größer waren für einige der Schock und die Entrüstung, als der Betrieb im vergangenen Jahr beschloss, auch ein veganes Schnitzel anzubieten. Figlmüller zeigt auf einige private Nachrichten auf seinem Handy, die er als Reaktion darauf bekommen habe: "Vollidiot" und "scheiß veganes Schnitzel" heißt es dort.
"Wir sind eben immer noch ein Fleischland", sagt Figlmüller. Trotzdem sei es nur eine Frage der Zeit, bis Fleischersatzprodukte zu Selbstläufern werden. Schon in den vergangenen Jahren sei Fleisch immer teurer und Ersatzprodukte geschmacklich immer besser und günstiger geworden. Der Grund? Der asiatische Markt habe sich immer mehr Fleisch und Futtermittel gesichert, in Europa sei es gerade in der Pandemie zu Engpässen gekommen. Die Produktion pflanzlicher Ersatzprodukte sei hingegen immer mehr angezogen.
Dabei sei Fleisch die letzten Jahre ohnehin viel zu günstig gewesen, sagt Figlmüller. Dass etwa Kalbfleisch in Österreich nach wie vor im großen Stil aus Deutschland und den Niederlanden importiert werde und eine Hühnerbrust billiger sei als ein Salat, könne nicht die Zukunft sein. Stattdessen rechnet er damit, dass die Fleischportionen künftig kleiner und das vegane Schnitzel und die veganen Hühnerstreifen immer mehr an Popularität gewinnen werden.
Aufstieg der Flexitarier
"Das Problem ist, dass wir Fleisch in den vergangenen Jahrzehnten immer schneller, billiger und Standardisierter produziert haben", sagt Rützler. Doch nun allein darauf zu vertrauen, dass die Mehrheit komplett auf Fleisch verzichte, sei nicht die Lösung. Denn seit Jahren bleibe der Anteil der Veganer Umfragen zufolge mit ein bis zwei Prozent und jener der Vegetarier mit rund vier Prozent an der österreichischen Bevölkerung relativ stabil.
Es sei die Gruppe der sogenannten Flexitarier, also jener Menschen, die bewusst seltener oder weniger Fleisch essen, die in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen werde, sagt Rützler. Gerade für diese Menschen, denen oft noch die Fantasie fehle, ohne Fleisch zu kochen, böten pflanzliche Fleischersatzprodukte und in weiterer Zukunft auch Cultured Meat, also aus tierischen Zellen gezüchtetes Fleisch, auch geschmacklich eine immer bessere Alternative.
Von veganen Ersatzprodukten hält Claudia Ringl in ihrer Fleischerei wenig. "Eine Knackwurst, in der kein Fleisch drin ist, ist keine Knackwurst und sollte auch nicht so heißen", sagt sie. Eine Fleischerei verkaufe Fleisch, und die Kunden seien eben Fleischesser. Doch ganz so ist es nicht, denn zu ihren Besuchern zählen ab und zu auch Vegetarier, wie Ringl sagt. "Die kaufen dann Fleisch für ihre Haustiere."
Masse aus dem Supermarkt
Doch die größte Konkurrenz sieht Ringl ohnehin nicht im Sojaschnitzel, sondern in den großen Supermarktketten, in denen Fleisch im "Einheitsgeschmack" und in immer größeren Mengen angeboten werde. Die Tiere, die für ihren Betrieb geschlachtet werden und die aus kleinstrukturierten Betrieben in Oberösterreich kommen, hätten hingegen noch "die Sonne gesehen" und "wachsen dürfen". Jedes Stück, das an der Theke lande, gehe vorher durch ihre Hände, sagt Ringl.
Weniger, dafür qualitativ besseres und regionales Fleisch – darin sieht auch Rützler die größte Chance, die Klimabilanz des Fleischkonsums in Zukunft zu verbessern. Dazu gehöre auch, die "Entfremdung" vieler Menschen zum Produkt zu reduzieren und mehr Informationen über die Produktion und Herkunft zu vermitteln. Eine extensivere Viehhaltung, bei der weniger Tiere und Futtermittel verwendet werden, fördere die Biodiversität auf den Weiden und verbessere die Bodenqualität. "Wenn der Konsum weniger und die Qualität besser ist, kann man auch Fleisch mit gutem Gewissen genießen", sagt Rützler.
Vegane Fleischersatzgerichte und Fleisch aus dem Labor böten darüber hinaus die Chance, viele Probleme der Lebensmittelindustrie wie lange Transportwege oder schlechte Halte- oder Arbeitsbedingungen zu lösen, sagt Rützler. Bei Fleischalternativen aus Hülsenfrüchten, Pilzen und Getreide habe es bereits einen deutlichen Qualitätsschub gegeben. Bis diese Alternativen und Cultured Meat aber tatsächlich auch Teil der Essenskultur des Landes werden, wird es wohl noch etwas dauern. (Jakob Pallinger, 13.3.2022)