"Sich aus der fossilen Abhängigkeit zu befreien wird nicht leicht, ist aber alternativlos", schreibt Sigrid Stagl vom Kompetenzzentrum Sustainability Transformation and Responsibility an der WU Wien. Im Gastkommentar sieht viele Versäumnisse der Entscheidungsträgerinnen und -träger.
Wenn es um Energiesysteme geht, sind rasche Änderungen schwierig und teuer. Aufgrund der langen Nutzungsdauer von Infrastrukturen beeinflussen Entscheidungen aus der Vergangenheit die gegenwärtigen und zukünftigen Optionen in besonderem Ausmaß. Eine derartige Pfadabhängigkeit bringt Österreich und einige andere europäische Länder in die Dilemmasituation, täglich und anhaltend mit Überweisungen für Gas- und Ölrechnungen den Angriffskrieg in der Ukraine mitzufinanzieren, aber auf diesem Pfad gefangen zu sein. Aufgrund dieser Pfadabhängigkeit erfordert Energiepolitik besondere Weitsicht und vorausschauendes Handeln. Stattdessen wurde in Österreich die Energiewende lange verzögert.
Eine unheilige Allianz aus dem Ausruhen auf Erfolgen der Vergangenheit und in Teilsektoren wie dem hohen Anteil von Strom aus Erneuerbaren, einer Politik, die wissenschaftliche Erkenntnisse über Jahrzehnte weitgehend ignorierte, und einer Bereitschaft der Bevölkerung, auf jene zu setzen, die im Angesicht der Klimakrise Weiterwursteln statt Angehen der Probleme propagierten, brachte Österreich in die jetzige missliche Situation. Sich aus der fossilen Abhängigkeit zu befreien wird nicht leicht, ist aber alternativlos.
Die vor einigen Wochen beschlossene Einstufung von Gas als grüne Technologie in der EU-Taxonomie verzögert die Energiewende. Ebenso schädlich wirkt die bis vor zwei Jahren noch offiziell gepflegte Rhetorik des Umweltmusterlands, die sich aus den Erfolgen im Gewässerschutz, einem hohen Anteil der Erneuerbaren in der Stromgenerierung und Recycling speiste. Die Energiewende voranzutreiben erfordert, nicht zukunftsfähige Infrastrukturen frühzeitig abzuschreiben und eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle Teil der Lösung werden wollen.
Wir können uns mit voller Kraft und neuer Geschwindigkeit aus der Energieabhängigkeit von Despoten und Autokraten befreien, indem wir konsequent wie nie auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und eine Verkehrswende setzen. Ein konsequentes Vorgehen führt wahrscheinlich zu zeitweisen Einschränkungen, zunächst bei Industrie und später auch bei Privathaushalten. Die Energiepreise werden weiter steigen, weshalb der Ausgleich für einkommensschwache Haushalte wichtig ist. Sie sollten nicht die Hauptbürde der Folgen der Energiewende tragen müssen.
Steigende Rohstoffpreise
Die Turbulenzen auf den Rohstoffmärkten, die der Krieg in der Ukraine auslöst, hat erhebliche Auswirkungen auf die Energiewende. Russland ist nicht nur Lieferant fossiler Energie, sondern auch von mehreren Mineralien, die für den erneuerbaren Energiesektor entscheidend sind. Bei hochwertigem Nickel beispielsweise, einem wichtigen Bestandteil von Elektroautobatterien, produziert Russland etwa ein Zehntel des weltweiten Angebots. Ein Preisanstieg aufgrund der daraus resultierenden Angebotsverknappung ist wahrscheinlich. Die Kosten für Batterien für Elektrofahrzeuge könnten um fast ein Viertel und die gesamten Materialkosten für Elektrofahrzeuge um fast ein Zehntel steigen, wenn sich die Nickelpreise auf dem aktuell hohen Niveau einpendeln.
Russland gehört auch zu den großen Produzenten von Kupfer (mit seinen unzähligen Anwendungen für erneuerbare Energie) und Aluminium (wichtig für die Produktion von Windturbinen); beide erreichten diese Woche Rekordpreise. Das stellt eine Herausforderung für Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien dar, die aufgrund der steigenden Rohstoffpreise bereits seit letztem Jahr unter geringen Gewinnspannen leiden. Doch einige Produzenten erneuerbarer Energie konnten kürzlich Kursgewinne verzeichnen, als die Europäischen Kommission ankündigte, die Abhängigkeit der EU von russischem Gas bis 2030 durch einen beschleunigten Einsatz von erneuerbarem Strom und erneuerbarem Wasserstoff zu beenden. Koordiniertes Vorgehen in Europa erleichtert die Energiewende.
Verzögerungstaktiken benennen
Während wir nun auf die Zukunft fokussieren und alle Kraft auf mögliche Lösungen bündeln müssen, ist es dennoch nötig, Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen. Vor fünf oder sechs Jahren wurde ich wie 40 oder 50 Stakeholder und Wissenschafter:innen von den zuständigen Ministerien zu einem Workshop in Vorbereitung auf die Klima- und Energiestrategie Österreichs eingeladen. Es herrschte eine produktive Arbeitsatmosphäre. Unter den vielen Maßnahmen, die besprochen wurden, war der Ausstieg aus Ölheizungen. Ich erinnere mich an den Moment, als klar wurde, dass alle im Raum Anwesenden den sofortigen Ausstieg aus Ölheizungen forderten, außer dem Vertreter der WKÖ. Ich war überrascht, wie stark diese Einzelmeinung das Dokument der Klima- und Energiestrategie zu beeinflussen vermochte. Die Bremskraft der WKÖ in der Energietransition schützte einzelne wirtschaftliche Interessen, schadete aber der österreichischen Wirtschaft. Nebenbei, die Arbeiterkammer hat auch lange bei der Energiepolitik gebremst, entschied sich aber vor ein paar Jahren, sich aktiv für die sozial-ökologische Transformation einzusetzen, und zählt jetzt meist zu den treibenden Kräften für Klimaschutz.
Unterschiedliche Interessen und deren Bekundung sind Teil einer funktionierenden Demokratie, aber es geht auch um Interessensausgleich, der geeignet ist, Krisen zu bewältigen. Daher ist es wichtig, Verzögerungstaktiken zu benennen, um die nötige Dynamik zu ermöglichen. (Sigrid Stagl, 12.3.2022)