Als Nikolaus II., Russlands letzter Zar, in den Wirren des Ersten Weltkrieges nicht mehr weiterwusste, rief er nicht etwa seine Generäle, die Großfürsten seines Reichs oder andere Honoratioren an seinen Hof, um sie um Rat zu bitten, sondern einen obskuren Wanderprediger und Geistheiler. Sein Name: Rasputin.

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Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine wird meist als Werk eines einzigen Mannes beschrieben, der seine Entscheidungen im stillen Kämmerlein trifft: Wladimir Putin.
Foto: AP / Mikhail Klimentyev

Zum Missfallen der damaligen Elite war er es, auf den der Monarch zu hören schien, obwohl – oder gerade weil – er zu Beginn des Krieges gänzlich anders entschied, als es ihm Rasputin dem Vernehmen nach geraten hatte: Nikolaus zog in den Krieg, obwohl sein Land nicht darauf vorbereitet war.

Mehr als ein Jahrhundert später teilt Russlands heutiger Kriegsherr Wladimir Putin seine Gedanken ebenfalls höchstens mit einer handverlesenen Clique – durch die Bank Männer, alle um die 70, meist gestählt im Sowjetgeheimdienst KGB und zufällig mehrheitlich aus jener Stadt gebürtig, in der einst Rasputin wirkte: Sankt Petersburg, das frühere Leningrad.

Während im Westen bekannte Spitzenpolitiker wie Außenminister Sergej Lawrow, Ministerpräsident Michail Mischustin oder Ex-Präsident Dmitri Medwedew zwar nach außen hin Putins Sicht auf die Welt wiedergeben (Nazis in der Ukraine, Atomwaffen als Drohung gegen den Westen), sind es vor allem die alten Kameraden aus Geheimdienstzeiten, denen Putin Gehör schenkt. Ihr wichtigstes Ass im Ärmel: unbedingte Loyalität.

Wie rasch es nämlich gehen kann, beim Kremlherrn in Ungnade zu fallen, musste jüngst Sergej Naryschkin am eigenen Leib erfahren. Bei der im Fernsehen übertragenen Sitzung des russischen Sicherheitsrats im Prolog des Angriffs auf die Ukraine wand sich der Chef des Auslandsgeheimdienstes SVR so nervös in Putins Mangel, dass er zitterte und zu stottern begann, als ihn der Präsident um seine Meinung zur Lage in der Ostukraine fragte. Zur innersten Riege rund um Putin gehört der solcherart blamierte Chefspion heute nicht mehr.

Kein Aufstand in Sicht

Die im Westen dieser Tage immer wieder geäußerte Hoffnung, eine Palastrevolte könnte das System Putin und damit dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine beenden, teilt Russland-Kenner Gerhard Mangott nicht. "Diese Leute wissen, dass sie auch fallen, sobald Putin fällt." Als Einflüsterer hätten sie selbst viel zu viel zu verlieren, als dass sie sich gegen ihren Präsidenten auflehnten.

Auch deshalb, weil sich die durchwegs geschichtsbeflissene Altherrenriege wohl auch des Schicksals ihres Vorgängers Rasputin bewusst sein dürfte. "Solange ich lebe, wird auch die Dynastie leben", hatte der Chefberater des Zaren einst prophezeit. Er sollte recht behalten. Als Russland 1916 tiefer und tiefer im Kriegschaos zu versinken drohte, war erst Rasputin ermordet worden, bevor wenige Monate später die Revolution auch die Zarenherrschaft hinwegfegte. Ein Szenario, das Putins Clique mit allen Mitteln wird verhindern wollen.

Nikolaj Patruschew: Der Mann fürs Grobe

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Nikolaj Patruschew
Foto: Reuters / Pool / Aexander Zemlianichenko

Als Sekretär des Sicherheitsrats gilt Nikolaj Patruschew als graue Eminenz unter den "Silowiki", wie der allmächtige Sicherheits- und Geheimdienstapparat im postsowjetischen Russland genannt wird. Keinem anderen sagen Fachleute einen so engen Draht zu Putin nach, niemand sonst soll so großen Einfluss auf dessen Denken und Tun haben wie der 70-Jährige.

1975 kreuzten sich die Wege der beiden damals jungen Männer zum ersten Mal: beim KGB, dem sowjetischen Geheimdienst. Seite an Seite traten sie von dort aus ihren Marsch durch die Institutionen an. Gemeinsam drückten sie auch die Schulbank in der KGB-Hochschule Feliks Dzierżyński – benannt nach dem Gründer der Geheimpolizei Tscheka, die im Auftrag Lenins die echten und vermeintlichen Gegner der Revolution verfolgte.

1999 löste Patruschew seinen einstigen Klassenkameraden an der Spitze des KGB-Nachfolgers FSB ab und blieb dort bis 2008. Die britischen Behörden gehen davon aus, dass Patruschew die Vergiftung des FSB-Überläufers Alexander Litwinenko in London 2006 ebenso wie Putin selbst gebilligt hat.

Ideologisch fühlt sich Patruschew weniger der Sowjetunion verpflichtet als dem Zarenreich. In seinem Hass auf den Westen, den er als zutiefst dekadent verachtet, dürfte Patruschew seinen Chef sogar noch übertreffen. Die Ukrainer, die er im vergangenen Herbst als "Nichtmenschen" abwertete, wiegte er am 30. Jänner noch in Sicherheit: "Wir wollen keinen Krieg, wir brauchen ihn nicht." Etwas mehr als drei Wochen später wollte er ihn doch.


Sergej Schoigu: Der "General" muss jetzt liefern

Sergej Schoigu
Foto: Imago / ITAR-TASS / Belarusian Defence Ministry

Als Wladimir Putin vor einigen Jahren jene berühmten Bilder inszenierte, die ihn mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitend in den sibirischen Weiten zeigten, war ein Mann nicht weit, der wie kein anderer fast seit Beginn an die Geschicke des postsowjetischen Russland mitprägt. Sergej Schoigu, seit 1994 erst als Zivilschutz- und seit zehn Jahren als Verteidigungsminister in Diensten Boris Jelzins und Wladimir Putins, hatte den um sein viriles Image besorgten Präsidenten auf dessen Fototrip in seine Heimat Tuwa an der Grenze zur Mongolei begleitet.

Und auch sonst ist der zwar wenig eloquente, dafür aber durchaus populäre 66-Jährige – lange galt er trotz seiner indigenen Abstammung als möglicher Nachfolger Putins – stets bedacht, seinem Präsidenten treu zu dienen. Anders als die meisten anderen Kader im engsten Kreis rund um Putin verfügt Schoigu weder über KGB-Erfahrung, noch hat er sich als Soldat Meriten erworben.

Dass Schoigu in den vergangenen zehn Jahren mit ganzer Kraft die Modernisierung der Streitkräfte vorantrieb, gilt als wichtigster Grund für seinen engen Draht zu Putin. Als Chef des Militärnachrichtendienstes GRU zeichnet Schoigu den britischen Behörden zufolge für Mordanschläge im Ausland wie auch im Inland verantwortlich: Die Vergiftung des Putin-Gegners Alexej Nawalny 2020 soll ebenso auf sein Konto gehen wie der Giftanschlag in Salisbury 2018. Im Ukraine-Krieg muss der "Diener des Zaren und Vater der Soldaten", wie Schoigu in russischen Medien bisweilen genannt wird, jetzt aber liefern.


Alexander Bortnikow: Der Agent mit einer Schwäche für Stalin

Alexander Bortnikow
Foto: Imago / ITAR-TASS / Alexei Druzhinin

Welche Informationen über den Fortgang der "Spezialoperation" in der Ukraine auch immer Putin zu Ohren kommen – die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie vorher über Alexander Bortnikows Schreibtisch gewandert sind. Seit Jahren munkeln Kreml-Kenner, dass der Präsident so gut wie ausschließlich den Dossiers Glauben schenkt, die ihm sein Adlatus vorlegt.

Als Direktor des Inlandsgeheimdienstes ist der 70-Jährige Putins Nachnachfolger in der Lubjanka, dem Moskauer FSB-Hauptquartier. So wie Putin selbst hat sich auch Bortnikow im Leningrad der Siebzigerjahre seine ersten Sporen beim KGB verdient. Seit damals verliefen die Karrieren der beiden Männer weitgehend parallel – freilich auf unterschiedlichen Ebenen. Kurzzeitpräsident Dmitri Medwedew war es, der den Wirtschaftsspezialisten Bortnikow 2008 in den Chefsessel beim FSB hievte.

Was die Unterdrückung von Widerspruch betrifft, nimmt sich der studierte Eisenbahningenieur kein Blatt vor den Mund: 2017 preiste er öffentlich die mörderischen Säuberungen unter Stalin.

Viel spricht dafür, dass der FSB-Chef zu den wenigen Menschen gehört, mit denen der Angriff auf die Ukraine vorab abgesprochen war. Nur Stunden vor dem ersten Schuss war es Bortnikow, der Putin öffentlich auf die "verschlechterte Sicherheitslage" hinwies. Die Gerüchte, wonach FSB-Agenten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor Attentatsplänen gewarnt haben sollen, dürften ihn nun aber unter Druck setzen.


Juri Kowaltschuk: Putins Lebensmensch und Bankomat

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Juri Kowaltschuk
Foto: Picturedesk.com / AP / Alexander Zemlianichenko

In den endlosen Monaten des Corona-Sommers 2020, den Putin streng isoliert in seiner Datscha am Waldaisee – auf halbem Wege zwischen Moskau und Sankt Petersburg – zubrachte, wurde es einsam um Russlands Präsidenten. Seine Gedanken, so erzählen es Kreml-Insider, sollen in dieser Zeit weniger um die Gegenwart gekreist sein, um die Pandemie etwa, die Wirtschaftslage oder die Wahl in den USA, als vielmehr um die Vergangenheit: Wie könnte es gelingen, Russland wieder groß zu machen?

Als mehr oder weniger einzige ständige Kontaktperson an seiner Seite soll Putin just jenen Mann auserkoren haben, der dazu selbst einiges zu sagen hat: Juri Kowaltschuk, ein promovierter Physiker und so etwas wie Putins Chefideologe und Geldbeschaffer in Personalunion. Wie der Präsident glaubt auch der 70-Jährige fest an jenes Amalgam aus orthodoxer Spiritualität und antiwestlicher Verschwörungstheorie, das heute als Triebfeder des Ukraine-Krieges dient.

Ihren Ausgang nahm die Männerfreundschaft 1990, als Putin gerade im (damals noch sogenannten) Leningrader Rathaus angeheuert hatte und Kowaltschuk in einem renommierten Labor arbeitete.

Dreißig Jahre später ist der passionierte Sammler von Weingütern Vorsitzender des Aktionärsbeirats der Bank Rossija, die die Geschäfte Putins und der seinen abwickelt. Über die Jahre hat er zudem ein Medienimperium mit zehn TV-Sendern, vier Nachrichtenagenturen und sozialen Netzwerken aufgebaut. Um Putin zu erreichen, ist er darauf freilich nicht angewiesen.


Igor Setschin: Der "Darth Vader" unter den Oligarchen

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Igor Setschin
Foto: Reuters / Maxim Shemetov

Vergangene Woche war es im romantischen Hafen von La Ciotat an der Côte d’Azur aus mit der wahren Liebe im Leben des Igor Setschin: Die französische Polizei beschlagnahmte die Amore Vero, eine 88 Meter lange Luxusyacht, die dem Chef des größten russischen Ölkonzerns Rosneft und Putin-Intimus gehören soll.

Jetzt, da die halbe Welt über einen Importstopp für seine sonst so begehrte Ware diskutiert, gerät der 61-Jährige gleich an zwei Fronten unter Druck: einerseits wegen der Sanktionen, die ihn schon sein liebstes Spielzeug gekostet haben, andererseits wegen seines legendär engen Verhältnisses zum Kriegsherrn. Wenn Putin auf einen hört, dann auf Setschin, heißt es.

Die Frage ist, ob dieser das will. Der gelernte Militärdolmetscher hat es sich schließlich blendend gerichtet. Erst ließ er als Putins Sekretär Oligarchen wie Yukos-Chef und Regimekritiker Michail Chodorkowski verfolgen, dann brachte er deren Konzerne wieder in den Schoß des Kreml zurück. Als Vorstandsvorsitzender von Rosneft, wo er einem gewissen Gerhard Schröder gegenübersitzt, ist er heute der mächtigste Manager Russlands. Setschin, wie so viele in Putins Dunstkreis in Leningrad (heute Sankt Petersburg) geboren und im KGB sozialisiert, kontrolliert damit jene Branche, ohne die Putins Krieg nicht zu finanzieren ist: die Energie.

An der zweiten großen Front von Putins Angriffskrieg, der Wirtschaft, führt ein Mann das Kommando, der in Russland ob seiner mitunter grimmigen Miene "Darth Vader" genannt wird. Viel zu lachen hatte er zuletzt tatsächlich nicht. (Florian Niederndorfer, 12.3.2022)