"Wir haben vorigen Samstag aufgehört zu senden", berichtet L., ein Fernsehkorrespondent aus Osteuropa von einer gemeinsamen Entscheidung einer Reihe von TV-Sendern aus der EU. Es sei auch eine Art Boykott gegen die Verschärfung der Medienzensur. "Nach dem Gesetz über Fakes ist es riskant geworden, Interviews auf der Straße zu machen. Man weiß nie, wie einem das dann ausgelegt wird", fügt er hinzu.

Das vor einer Woche in Kraft getretene Gesetz droht mit hohen Geldstrafen und bis zu 15 Jahren Haft für die Veröffentlichung von Falschnachrichten über die russischen Streitkräfte. Was Fake News sind, bestimmt das russische Verteidigungsministerium. Was es darunter versteht, zeigt das Verbot von Bezeichnungen wie "Krieg" oder "Angriff" für den militärischen Einmarsch Russlands in die Ukraine.

CNN, die US-Nachrichtenagentur Bloomberg und die britische BBC stellten den Sendebetrieb als Reaktion auf das Mediengesetz zunächst ein. Das Gesetz scheine darauf abzuzielen, jeden unabhängigen Journalisten zu einem Kriminellen zu machen, erklärte Bloomberg-Chefredakteur John Micklethwait. Das mache es unmöglich, "auch nur den Anschein von normalem Journalismus im Lande aufrechtzuerhalten".

Aus einst schwarzen Zensurbalken über unbotmäßigen Zeitungspassagen wurde die Schere im Kopf: Bis zu 15 Jahre Haft drohen jenen, die nicht nach den Sprachregelungen des Kreml berichten. Im Bild: Carola Schneider vom ORF.

Die italienische Rai stoppte die Berichterstattung aus Moskau, so wie auch die deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF. ORF-Korrespondentin Miriam Beller kehrte vorerst zurück nach Wien, Büroleiter Paul Krisai und die zur Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine nun ins Moskauer ORF-Büro zurückgekehrte Carola Schneider blieben in der russischen Hauptstadt.

Wie gehen Korrespondentinnen und Korrespondenten in Moskau nun mit diesen Verboten und dieser drakonischen Strafdrohung um? DER STANDARD hat mit einigen von ihnen gesprochen. Ihre Bedingung: Sie wollen aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden.

Ausreisen will Fernsehkorrespondent L. nicht, er lebt schon viele Jahre in Russland. Er sehe die Entwicklung "ohne Panik" und erwarte nicht, dass in Kürze das Kriegsrecht verhängt werde. Also nehme er die aktuelle Sendepause wie eine Art Urlaub. Es werde in der nächsten Zeit noch viel aus Russland zu berichten geben.

"Unmöglich zu arbeiten"

Nicht alle Korrespondenten sehen die Lage so entspannt. S. ist ebenfalls schon seit mehreren Jahrzehnten in Russland. 2014 war er während des Donbass-Konflikts auf beiden Seiten der Frontlinie. "Doch so etwas habe ich nie erlebt, unter diesen Umständen ist es einfach unmöglich zu arbeiten", klagte er nach der Gesetzesverschärfung. S. will Russland verlassen, zumindest für einige Monate.

Ein deutscher Kollege hingegen wiegelt ab: Das Gesetz richte sich in erster Linie gegen russische Medien und Blogger, weil der Kreml das Meinungsmonopol im eigenen Land haben wolle. "Die haben sicher kein Interesse daran, einen Nebenkriegsschauplatz mit Prozessen gegen ausländische Journalisten zu eröffnen", vermutet er.

Für den Fall, dass der Kreml mit der Berichterstattung eines ausländischen Mediums nicht einverstanden sei, hat die russische Führung seinen Angaben nach andere Mittel. Dabei verweist er auf den Fall der Deutschen Welle. Da wurde einfach die Akkreditierung eingezogen, und die Journalisten mussten das Land verlassen.

Selbstzensur

Das größte praktische Problem für die Auslandskorrespondenten sieht er darin, in den kommenden Monaten an Geld zu kommen. Denn ihre Gehälter, ausbezahlt auf westlichen Konten, sind über russische Bankautomaten nicht mehr zugänglich. Aber auch dafür werde es eine Lösung geben, ist er überzeugt. Daher will er hierbleiben. "Wer aber Angst hat, sollte gehen, denn unter diesen Umständen zu arbeiten ist sinnlos", fügt er hinzu.

"Gefährdeter als wir sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Russland", sagt eine TV-Korrespondentin, deren Sender die Berichterstattung vor Ort aus Sicherheitsgründen eingestellt hat, insbesondere in Sorge um diese Ortskräfte. Am Freitag überlegte der Sender, wieder on air zu gehen. Das stellt die Korrespondentin wie viele Kolleginnen und Kollegen in Russland vor zentrale Fragen: "Über welche Themen können wir noch aus Moskau berichten, ohne die Ortskräfte zu gefährden?" Und: "Wie gehen wir mit dem Thema Selbstzensur um?"

Büroleiter Paul Krisai

Die langjährige ORF-Korrespondentin Carola Schneider machte den inneren Konflikt und die persönliche Bedrohung durch das russische Mediengesetz über "Fake News" zuletzt im Europastudio des ORF geradezu spürbar.

Zugeschaltet aus Moskau stockte Schneider mitten in ihrer Einschätzung über die Umfrage eines staatlichen Meinungsforschungsinstituts, das Präsident Wladimir Putin 71 Prozent Zustimmung in der russischen Bevölkerung attestierte: "Ich muss meine Worte vorsichtig wählen, es gibt seit ein paar Tagen ein Quasi-Zensurgesetz, das uns gewisse Dinge nicht mehr beim Namen nennen lässt, hier in Russland, um die Berichterstattung nicht zu gefährden und selbst nicht als kriminell zu gelten."

Sendebetrieb eingestellt

Um den Rückhalt in der Bevölkerung geht es, für einen Angriffskrieg, den es als Abwehr einer behaupteten Bedrohung durch den Westen, durch die Nato, auch in der Ukraine, darzustellen gilt. Wohl auch um die Kampfbereitschaft der Truppen.

Das Mediengesetz mit seinen drakonischen Strafen geht weit über die schon bisher rigide Zensur- und Unterdrückungspolitik Moskaus für freie Berichterstattung hinaus. Ein Großteil der Medien agiert schon seit Jahren kremltreu. Der Radiosender Echo Moskaus, auf den die russische Führung bisher gerne als Beispiel für die Pressefreiheit im Land verwies, musste seinen Betrieb einstellen. Der Fernsehsender Doschd stoppte den Betrieb, sein Chefredakteur verließ das Land.

Menschenrechtsgericht vs. Kreml

Am Donnerstag forderte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland in einer Eilentscheidung dazu auf, die Arbeit der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta nicht zu be- oder gar verhindern. Der Chef der Zeitung und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow hatte sich an den Gerichtshof gewandt, Medien würden durch Russland mundtot gemacht. Als Mitglied des Europarats müsste Russland die Entscheidung umsetzen. Moskau ließ am Tag der Entscheidung verlauten, es beteilige sich vorerst nicht mehr an den Aktivitäten der Organisation.

Freitag gab man in westlichen Diplomatenkreisen vorsichtige Entwarnung: Nach dem Zensurgesetz habe man erwartet, dass sich die Lage für Medien rasch verschärfen würde. Befund nun: "leichte Beruhigung".

Die BBC etwa berichtet seit Dienstag wieder aus Moskau, nach "sorgfältigen Überlegungen" und unparteiisch und unabhängig, betonte der britische Sender. Auch ARD und ZDF kündigten am Freitag an, sie würden wieder aus Moskau berichten – vorerst aber nicht über die militärische Lage in der Ukraine.

Und dennoch besteht weiterhin ernste Sorge, die russischen Behörden könnten dem Zensurgesetz noch "mit einem starken Exempel" Nachdruck verleihen. Das könnte, so hieß es Freitag in westlichen Diplomatenkreisen in Moskau, dann auch ausländische Korrespondentinnen und Korrespondenten treffen.

Eine Woche zuvor hat der Leiter des russischen Komitees für Informationspolitik, Alexander Chinstejn, ausdrücklich betont: Das neue Mediengesetz gelte auch für Korrespondenten aus dem Ausland. (red, 13.3.2022)