Nur wenige Worte waren es, die in der Empfehlung der Corona-Kommission geändert wurden, doch sie wiegen schwer. Man empfehle "die Umsetzung geeigneter Präventionsmaßnahmen", steht da recht schwammig in der finalen Version. Dabei hatten sich Stunden zuvor die Mitglieder eigentlich fast einstimmig für die "bundesweite Wiedereinführung" von Maßnahmen ausgesprochen – gemeint war wohl die Rückkehr jener Regeln, die vor einer Woche fast feierlich abgeschafft wurden.

Zwischen den beiden Formulierungen lag zweierlei: der prompte Einspruch einer Vertreterin des Bundeskanzleramts, die sich nicht auf die schärfere Formulierung einlassen wollte. Und, so erzählen es Beobachter: ein Anruf unbekannter Herkunft bei der Vorsitzenden der Kommission, Katharina Reich. Nach dem Auflegen soll sie auf der Änderung beharrt haben.

Nur wenige Worte also, die einmal mehr verdeutlichen: Österreichs Politik tut zwar gerne so, als würde sie auf Expertinnen und Experten hören. Durchgesetzt wird dann aber doch lieber, was man selbst gerade gut findet – oder was einem gerade guttut.

Die Bestandsaufnahme der aktuellen Corona-Situation ist ernüchternd.
Foto: IMAGO/Rene Traut

Das Problem liegt allerdings nicht nur in direkten Interventionen, es liegt auch im System an sich. Allein wie Gremien besetzt werden, zeigt, dass Fachwissen mitunter Nebensache ist. Von den zwanzig Mitgliedern der Ampelkommission vertreten die allermeisten politische Player: drei das Gesundheitsministerium, eines das Innenministerium, eines das Kanzleramt und eines das Bildungsministerium. Dazu darf – und das ist Österreich in Reinform – jedes Bundesland eine Person in das Gremium schicken.

De-facto-Abschaffung der Impfpflicht

Nun heißt das freilich noch lange nicht, dass diese Personen keine fachlich fundierten Entscheidungen treffen. Nur: Ob darauf gehört wird, ist die nächste Frage. Und die führt zu einer weiteren aktuellen Causa: der De-facto-Abschaffung der Impfpflicht.

Da hatte das vierköpfige Gremium, das nicht im Verdacht steht, politische Positionen zu vertreten, einen 25-seitigen Bericht vorgelegt. In dem heißt es, man könne sehr wohl eine Impfpflicht für jene Menschen machen, die sich bisher noch keinen einzigen Stich geholt haben. Pflicht oder nicht Pflicht, beides sei möglich, wird da festgehalten. Was allerdings davon übrigbleibt, als Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) das vorläufige Aus der Impfpflicht verkündet: Der Grundrechtseingriff sei gerade nicht gerechtfertigt. Und Jubel bei jenen Maßnahmengegnerinnen und -gegnern, die genau so seit Monaten argumentierten.

Die Bestandsaufnahme der aktuellen Corona-Situation ist ernüchternd: 50.000 Fälle am Tag, dutzende Tote, verschobene Operationen und kein brauchbares Konzept für die wohl hunderttausenden Long-Covid-Betroffenen. Die aktuellen Zahlen kamen selbst für manche Expertinnen überraschend. Doch dem gegenüber steht: praktisch nichts. Keine Reaktion. Es gibt kaum Zugangsregeln, die Maske wurde wieder zum notwendigen Übel erklärt, das man hin und wieder ertragen müsse, und Impfen ist erneut zur Privatsache degradiert worden. Weder Kanzleramt noch Gesundheitsministerium sehen Handlungsbedarf.

Solange das so bleibt, gibt es also nur noch eine Schutzmaßnahme in Österreich: die Tatsache, dass manche Menschen nicht auf die Politik hören und freiwillig vernünftig bleiben. (Gabriele Scherndl, 11.3.2022)