Der Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen haben die Finanzmärkte ziemlich durchgebeutelt.

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Der Ausbruch des Ukraine-Kriegs markiert einen Umschwung, auf den sich auch Anleger einstellen müssen – und unbequemen Tatsachen ins Auge blicken. Mit der Aussage, "die Friedensdividende ist auf jeden Fall zu Ende", findet Peter Brezinschek, Chefanalyst von Raiffeisen Research, klare Worte. Vorbei ist also jene Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs, in der Europa kostengünstig unter einen Verteidigungsschirm der USA schlüpfen konnte und billige Energie aus Russland bezog. Stattdessen laste nun "eine gewisse Kriegshypothek" auf dem Kontinent, der die stärksten Einbrüche bei Aktien verzeichnete.

Auch der Blick in die Zukunft gewährt wenig florierende Aussichten. Schon zuvor ließ der Mangel an Technologiekonzernen den Kontinent alt aussehen, dazu kommen weitere Probleme: Die Abkehr von russischem Gas und Öl wird teuer werden, ebenso die Aufrüstung des Kontinents. "Es soll sich niemand täuschen lassen", betont Brezinschek, "eine geopolitische Zeitenwende ist angesagt."

Zuvor hatten lange Zeit wirtschaftliche Wohlfahrtsaspekte in der Politik Vorrang gegenüber der Geopolitik – was sich Brezinschek zufolge nun umgekehrt hat: "Das ist ein Wechsel im Wirtschaftsregime." Was bedeutet, dass Versorgungssicherheit einen größeren Stellenwert als der günstigste Preis bekommt – ein Prozess, der mit der Rückverlagerung von Lieferketten oder Produktionsstätten nach Europa, etwa bei Computerchips, eingesetzt hat und sich nun verstärkt. Anders ausgedrückt: Die Globalisierungseffekte werden künftig neu verteilt.

Staatsausgaben statt Geldpolitik

Diverse Anlaufkosten sowie die Auswirkungen der hohen Energie- und Rohstoffpreise werden die Inflation weltweit hochhalten. Deshalb sind den Notenbanken, die zuletzt noch während der Covid-Pandemie als Krisenfeuerwehr eingesprungen seien, diesmal weitgehend die Hände gebunden. Sie müssten sich auf das Mandat der Preisstabilität, also Inflationsbekämpfung, konzentrieren. Vielmehr müsste diesmal die Fiskalpolitik, konkret über vermehrte Staatsausgaben, die Konjunktur unterstützen.

Was das für die Geldanlage bedeutet? Die jüngsten Kursverluste haben gezeigt, wie schädlich sich ein sogenannter Home-Bias auswirken kann – also verstärkt im eigenen Land oder Kontinent zu investieren. Dadurch setzt man sich übermäßigen Risiken aus, sollte die Region – wie jetzt Österreich beziehungsweise Europa – in Probleme geraten, die bei einer breiteren geografischen Streuung zu verhindern gewesen wären. "Ein Home-Bias ist immer etwas Schlechtes", sagt Brezinschek.

Er spricht sich daher für global breitgestreute Veranlagungen aus, wodurch sich auch die Risiken auf mehrere Währungen verteilen, deren Kursgewinne gegenüber Europa zuletzt ebenfalls Verluste abgefedert hatten. Besonders Nordamerika sieht Brezinschek derzeit aussichtsreicher als Europa. "Die USA haben in solchen Phasen meistens die Nase vorn."

Kapitalflucht aus der Gemeinschaftswährung

Wie wichtig eine regionale Streuung der Anlage auch in andere Währungsräume ist, zeigt der Absturz des Euro seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Gegenüber dem Dollar hat er auf Jahressicht mehr als sieben Prozent eingebüßt, das meiste davon seit Kriegsausbruch. "Der Euro kommt aus der politischen Ecke und der Zinsecke unter Druck", erklärt Raiffeisen-Chefanalyst Brezinschek. Aber auch gegenüber dem Schweizer Franken oder dem britischen Pfund hat die Gemeinschaftswährung an Terrain verloren.

Mit folgendem Effekt: Die Verluste von Aktien oder anderen Anlagen aus diesen Währungen wurden zumindest teilweise von Wechselkursgewinnen abgefedert. Dies gilt natürlich auch für festverzinsliche Investments wie Staatsanleihen aus den USA, die bei zehnjährigen Papieren noch dazu fast 1,9 Prozent Rendite einspielen, verglichen mit mickrigen 0,2 Prozent ihrer deutschen Pendants. Auch der Preisaufschwung von Gold, das kurzfristig über die Marke von 2000 Dollar für eine Feinunze sprang, wurde für Investoren aus der Eurozone durch Wechselkursgewinne verstärkt.

Durststrecke liegt in der Luft

Schwer durchgebeutelt wurden seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs die europäischen Aktienmärkte, allen voran die bankenlastige Wiener Börse. Wer vor einem Jahr in den Euro Stoxx 50, gewissermaßen Leitindex der Eurozone, investierte, liegt nun zwei Prozent im Minus – im Gegensatz zur Wall Street. Diese erzielte gemessen am S&P-500-Index trotz der jüngsten Rückgänge im selben Zeitraum einen 11-prozentigen Zuwachs. Auch mit dem globalen MSCI-World, der zumindest ein kleines Plus aufweist, sind Anleger besser gefahren.

"Man muss mit einer längeren Durststrecke bei riskanten Assetklassen wie Aktien rechnen", sagt Brezinschek. Besonders an alten Kontinent sei mit Risikoprämien zu rechnen, also geringere Bewertungen. Dazu kommt die sehr hohe Inflation, die derzeit die Börsen noch bremst. "Die Aktienmärkte werden wieder besser Tritt fassen, wenn die Inflation unter die Vier-Prozent-Marke sinkt", sagt Brezinschek. Technologie, Nachhaltigkeit, Energie, Infrastruktur, Verteidigung und Gesundheit sind Bereiche, in denen er künftiges Wachstum verortet.

In Europa drohen sechs Prozent Teuerung

Trotz der ökonomischen Schockwellen, die vor allem die Sanktionen gegen Russland ausgelöst haben, werden sich die Notenbanken vorrangig um Inflation kümmern müssen. Die Bank of England ist bereits mit Zinserhöhungen vorgeprescht, noch im März sollte die US-Notenbank Fed folgen, um die Teuerung zu bekämpfen. In Europa rechnet Brezinschek heuer mit einer etwa sechsprozentigen Teuerung, weshalb ihm zufolge auch die Europäische Zentralbank (EZB) – entgegen anderen Erwartungen – die geldpolitische Wende auf Schiene bringen muss. Sonst drohe eine Lohn-Preis-Spirale, die für weiteren Preisauftrieb sorgen würde.

Für Anleger bedeutet dies, dass Anleihen durch eine Phase steigender Zinsen belastet werden, da dies zu zwischenzeitlichen Kursverluste führt – aus Brezinschecks Sicht stellen diese daher derzeit keine allzu sicheren Häfen dar. Als Alternative sollten jedoch Bargeld oder Gold, dessen Preis im Zuge der geopolitischen Spannungen seit Februar mehr als zehn Prozent nach oben geschossen ist, diese Rolle auch weiterhin erfüllen. (Alexander Hahn, 12.3.2022)