Sie mit kundenorientierten Lieferdiensten gleichzusetzen verkennt ihre pädagogische Aufgabe, sagt Lehrer Georg Platzer im Gastkommentar.

Die Schulbewertungs-App "Lernsieg" hat viele Lehrerinnen und Lehrer verärgert. Der Disput ist schließlich vor Gericht gelandet und dort entschieden worden – zugunsten des Betreibers der App.
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Jüngst urteilte der Oberste Gerichtshof (OGH) zur Frage nach der Zulässigkeit der vieldiskutierten Lehrerbwertungs-App "Lernsieg". Darin können Lehrende in einem anonymen Verfahren mit einer Sternebewertung versehen werden, so wie man es etwa von Restaurant- oder Lieferdienstrankings kennt. Entgegen der vorhergehenden Instanz, dem Oberlandesgericht Wien, sah der OGH das Abstimmungsverfahren per Smartphone als durch die Meinungsfreiheit gedeckt – die App dürfe demnach in Verwendung bleiben. Doch obgleich die langwährende rechtliche Auseinandersetzung zwischen Lehrerinnen- und Lehrervertretern und den Entwicklern nun ein Ende gefunden haben dürfte, bleibt ein nicht unwesentliches Problem weiterhin bestehen: die Unzweckmäßigkeit dieser Form von Lehrenden-Feedback.

Klassische Bewertungsplattformen haben im digitalen Zeitalter ihre Berechtigung vielfach unter Beweis gestellt. Aufseiten der Kundinnen und Kunden schaffen sie die Möglichkeit, die Service- oder Produktqualität diverser Angebote öffentlich zu machen – die Unternehmen wiederum können auf dieses Feedback reagieren, um ihre Angebote entsprechend anzupassen und ein positives Unternehmensbild zu forcieren. Das natürlich gewachsene Prinzip der Online-Bewertung gilt als Erfolgsgeschichte. Wer jedoch die zugrunde liegende Logik der "Sternevergabe" auf den pädagogischen Bereich ausdehnt, blendet aus, welch besonderes und komplexes Verhältnis zwischen einer Lehrkraft und deren Schülerinnen und Schülern besteht.

Wer zu gefallen weiß

Für den sternehungrigen Essenslieferdienst steht fest, dass er nur dann erfolgreich wirtschaften kann, wenn er sich vollumfänglich der Erfüllung der Wünsche und Bedürfnisse seiner Kundinnen und Kunden verschreibt. Nur wer zu gefallen weiß, kann sich berechtigte Hoffnungen auf positives Feedback machen. Die Rechnung dahinter ist einfach und erschöpft sich im vielzitierten Sprichwort, dass der Kunde immer König sei.

Der Lehrberuf bringt im Hinblick auf die Zielsetzung der Tätigkeit andere Voraussetzungen mit sich. Dem Lehrer oder der Lehrerin wird zwar gewiss viel daran gelegen sein, den Schülerinnen und Schülern einen spannenden und abwechslungsreichen Unterricht zu bieten und im Umgang mit ihnen fair, wertschätzend und respektvoll zu sein – er oder sie wird im Rahmen des pädagogischen Wirkens aber auch Handlungen setzen müssen, die bei den Adressaten naturgemäß auf wenig Anklang stoßen.

Schularbeiten, Beurteilungen, Ermahnungen, das Verbot der Smartphone-Nutzung oder das geschickte Abringen von Arbeitswillen gehören genauso zum Schulalltag wie das Pausenläuten. Ständige, vollumfassende Zufriedenheit der Kinder und Jugendlichen kann in einem solchen Setting weder garantiert werden, noch kann sie als Ziel guten Unterrichts gelten.

Empfindung per Wischgeste

Möchte man nun die Arbeit einer Lehrperson bewerten, muss diesem Umstand in aller Deutlichkeit Rechnung getragen werden. Eine App aber, die es in Sekundenschnelle ermöglicht, per Wischgeste eine Empfindung auszudrücken, lädt dazu ein, den Unterschied zwischen einer Lehrkraft bei der Erfüllung ihres Bildungsauftrags und einem Dienstleister am freien Markt zu negieren. Sie verleitet vielmehr zum Eindruck, dass zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrenden ein ähnliches Verhältnis besteht, wie es aus dem Servicebereich bekannt ist. Die wahrscheinliche Folge daraus ist, dass die abgegebenen Bewertungen der momentanen Gefühlslage, dem subjektiven Sympathieempfinden oder einem Genugtuungsbedürfnis entspringen werden.

Wer diesen Umstand verdeutlicht sehen möchte, stelle sich nur die Situation vor, bei der jemand im Straßenverkehr wegen zu schnellen Fahrens von einem Polizisten zur Kasse gebeten wird, oder den extremeren Fall, in dem jemand von einer gewissenhaften und fairen Richterin zu einer Geldstrafe verurteilt wird. Würden die betreffenden Personen aus den Beispielen angehalten werden, die Arbeitsleistung des Polizisten oder der Richterin zu beurteilen, würde sich zwangsläufig die Frage nach der Belastbarkeit der abgegebenen Bewertung aufdrängen.

Gewisses Maß an Reife

Keine Missverständnisse: Damit ist keinesfalls gesagt, dass Feedback im System Schule keinen Platz haben darf – ganz im Gegenteil. Gerade im sensiblen Bereich der Pädagogik braucht es Mechanismen, die aufzeigen, ob Lehrerinnen und Lehrer ihren Job gut machen. Diese müssen allerdings der komplexen Lehr- und Lernsituation der Schule gerecht werden und den Reifegrad der betreffenden Schülerinnen und Schüler berücksichtigen. Denn ohne Zweifel braucht es dieses gewisse Maß an Reife, um die zuvor skizzierte Besonderheit bei der Ausübung des Lehrberufs zu begreifen und entsprechend zu reflektieren. Anbieten würden sich etwa schulspezifische Feedbacksysteme, Gespräche zwischen Fachgruppenkoordinatoren und Schülerinnen und Schülern oder zweckmäßige und ausgewogene Fragebögen.

Das Feedback aber in Form eines weitgehend anonymen und oberflächlichen Herumwischens auf dem Smartphone zu arrangieren, ist blanker Unsinn – ungeachtet der rechtlichen Zulässigkeit. (Georg Platzer, 14.3.2022)