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Ein militärisches Ausbildungszentrum wurde in der Nacht auf Sonntag Ziel von russischen Angriffen.

Foto: @BackAndAlive via REUTERS

Nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze und nahe der Stadt Lwiw flogen russische Jets am Sonntag Angriffe auf ein Militärgelände, auf dem auch ausländische Kämpfer trainiert werden. Mindestens 35 Menschen wurden getötet, wie die ukrainischen Behörden melden. Aus Moskau hieß es, man habe bis zu 180 ausländische Söldner getötet, was niemand bestätigen konnte. Die Region in der Westukraine galt zu Beginn des russischen Einmarschs noch als sicherer Ort.

Nahe der südlich gelegenen, strategisch wichtigen Stadt Mykolajiw kam es zu russischen Bombardements, die neun Menschen töteten, wie die Regionalbehörden berichten. Mykolajiw wehrt sich noch gegen russische Besatzer und hat so einen Marsch auf die Schwarzmeermetropole Odessa verhindert.

Auch um die Hauptstadt Kiew intensivieren sich die Angriffe der russischen Streitkräfte. Die Bewohnerinnen und Bewohner des nördlich gelegenen Tschernihiw waren von Samstag auf Sonntag die dritte Nacht in Folge russischen Luftangriffen ausgesetzt. Bei Irpin, nordwestlich von Kiew, wurde ein US-Journalist getötet, als russische Soldaten das Feuer auf ein Auto eröffneten.

Die Hauptstadt wurde indessen zu einer Festung ausgebaut, mit Barrikaden an der Stadtgrenze. Die lokalen Behörden haben Nahrungsmittel für zwei Wochen gebunkert, um die Bevölkerung im Fall einer russischen Belagerung versorgen zu können.

Zivilbevölkerung leidet und protestiert

Die zwischen der Ukraine und Russland vereinbarten humanitären Korridore sollten eigentlich der Zivilbevölkerung die Flucht ermöglichen sowie Lieferungen benötigter Versorgung in umkämpfte Städte. Doch viele der rund ein Dutzend Wege gerieten am Wochenende wieder unter Beschuss. Seit einer Woche scheiterte im umkämpften Mariupol jeder Versuch, auch am Sonntag wieder.

In der Stadt fehlt es an Essen, Wasser und Medikamenten. Mehr als 2.100 Bewohner wurden ukrainischen Angaben zufolge dort bereits getötet. Beim Evakuierungsversuch von Peremoha östlich von Kiew sollen am Samstag sieben Menschen getötet worden sein. Kiew zufolge konnten am Wochenende aber rund 20.000 Menschen umkämpfte Städte verlassen.

Viele, die zurückbleiben, zeigen ihren Widerstand auf der Straße: Im von Russland eroberten südukrainischen Cherson haben örtlichen Medien zufolge am Sonntag tausende Einwohner gegen die Besatzung demonstriert. In Melitopol, wo es wiederholt zu Protesten gekommen und zuletzt der Bürgermeister entführt worden war, wurden Demonstrationen nun untersagt.

Auch in Russland geht die Zivilbevölkerung auf die Straße. Am Sonntag wurden laut der Seite OWD-Info mehr als 800 Menschen in 35 Städten wegen Demos gegen den Krieg festgenommen.

Ringen um Gespräche in Jerusalem

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich am Wochenende auf Aufnahmen erstmals seit langer Zeit wieder außerhalb seines Amtssitzes. Er besuchte ein Militärspital bei Kiew und besuchte und ehrte zahlreiche verwundete Soldaten. Es war nicht sicher von wann genau die Aufnahmen stammten. Selenskyj sprach sich am Wochenende aber erneut für Verhandlungen mit Russland in Jerusalem aus.

Bei einem Pressebriefing sagte er, dass Israels Premierminister Naftali Bennett eine wichtige Vermittlerrolle spielen könnte. Bennett habe er bereits mitgeteilt, dass er Verhandlungen auf höchster Ebene in Russland, der Ukraine oder Belarus für nicht zielführend halte. "Das sind keine Orte, an denen wir uns auf irgendetwas verständigen können, das den Krieg beendet", sagte Selenskyj.

Sein Berater Mychailo Podoljak sagte am Sonntag, dass man mit Israel und der Türkei als Vermittler an Rahmenbedingungen für weitere Gespräche arbeite. Bei den laufenden Verhandlungen zwischen russischen und ukrainischen Delegationen rechne er "in wenigen Tagen mit konkreten Ergebnissen".

Heikle Rolle Chinas

Offenbar auf eigene Faust hatte der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder versucht, Gesprächskanäle zwischen der Ukraine und Russland zu öffnen. Schröder ist mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befreundet und hat laut Medienberichten in Istanbul ukrainische Vertreter getroffen und reiste danach nach Moskau, um mit Putin zu sprechen. Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland, ging davon aus, bald etwas über das stundenlange Gespräch zu erfahren, und zwar "direkt von Herrn Schröder".

Mit Spannung erwartet wird für Montag ein weiteres diplomatisches Treffen. Der Nationale Sicherheitsberater der USA Jake Sullivan trifft in Rom nämlich auf den obersten chinesischen Außenpolitiker Yang Jiechi. Laut Informationen mehrerer US-Medien habe Russland nämlich bei China um die Lierferung militärischen Equipments und weitere Hilfestellungen angefragt. Es gibt bis dato aber weder Bestätigungen und Beweise für ein etwaiges Ansuchen Moskaus und erst recht nicht für getätigte Waffenlieferungen. Von der chinesischen Botschaft in Moskau hieß es nur, man wolle die Lage nicht eskalieren lassen.

Russland soll Kontrolle über AKW planen

Die ukrainischen Behörden informierten am Wochenende die Internationale Atomenergiebehörde IAEA, dass Russland die vollständige und permanente Kontrolle über das Atomkraftwerk Saporischschja übernehmen will. Zwar würde noch das ukrainische Personal die täglichen Arbeiten verrichten, doch müsste das Management an den Befehlshaber der russischen Truppen vor Ort berichten. Die russische Atombehörde Rosatom dementierte die Meldung und versicherte, dass nur einige russische Experten angereist seien – die operative Kontrolle hätte aber noch immer das ukrainische Team.

Der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, zeigte sich besorgt über das Machtgerangel um das AKW. Eine der sieben unverzichtbaren Säulen der Nuklearsicherheit sei in Gefahr: nämlich dass das Personal in der Lage sein muss, seine Aufgaben im Bereich der Sicherheit zu erfüllen und Entscheidungen frei von ungebührlichem Druck zu treffen. Grossi versucht im Moment, die russische und die ukrainische Seite zu einer Vereinbarung über die Sicherheit der Atomkraftwerke in der Ukraine zu bewegen.

Das havarierte AKW in Tschernobyl ist indes wieder vollständig ans Stromnetz angeschlossen und kann mit Energie zur wichtigen Kühlung – ohne auf Notstromaggregate zuzugreifen – versorgt werden. Allerdings wurde am Sonntagabend auch bekannt, dass viele der 211 Angestellten, die sich im Kraftwerk befinden, sowohl an physischer als auch an psychischen Ermüdungserscheinungen leiden und deshalb einige sicherheitsrelevante Reparaturen nicht mehr ausführen. Sie warten seit Wochen auf einen Schichtwechsel, den die russischen Besatzer offenbar nicht erlauben wollen.

Grossi rief Russland und die Ukraine deshalb erneut auf, eine Rahmenvereinbarung zu unterzeichnen, die die Sicherheit der ukrainischen Atomanlagen garantieren soll. Erst mit der Unterschrift sei die IAEA in der Lage, Hilfe zu leisten. Darüber hatte Grossi am Donnerstag im türkischen Antalya persönlich mit den Außenministern Russlands und der Ukraine, Sergej Lawrow und Dmytro Kuleba, gesprochen. (Bianca Blei, Noura Maan, faso, 13.3.2022)