Bild nicht mehr verfügbar.

Elisabeth fährt vor, Veronika zieht nach. Über Funk gibt die ältere Schwester Kommandos durch, sagt Tore und Schwünge an, und bereitet die Athletin auf Kombinationen vor.

Foto: AP/Andy Wong

Veronika (li) und Elisabeth Aigner mit dem Lohn der Arbeit.

Foto: ÖPC/GEPA-pictures

Elisabeth Aigner ist bereits im Ziel, Veronika Aigner folgt kurz darauf.

Foto: ÖPC/GEPA-pictures

Die Familie Aigner aus Gloggnitz hat bei den Paralympics abgeräumt, wäre mit neun Medaillen in den Top Ten des Medaillenspiegels. Johannes (16), Barbara (16) und Veronika (19) haben Sehbehinderungen, sind beim Skifahren auf Guides angewiesen. Schwester Elisabeth ist einer davon.

STANDARD: Was macht einen guten Guide aus?

Aigner: Als guter Guide muss man das soziale Gespür haben, aber skitechnisch auch so gut sein, dass man vorneweg fahren kann. Wir hatten früher immer wieder Probleme, den richtigen Guide zu finden. Babsi hatte einen, der auch sehr gut Skifahren konnte, aber das Zwischenmenschliche hat einfach nicht gepasst. Wir haben länger nach Guides gesucht, die meisten konnten auch gut Skifahren, hatten es aber vor allem auf das ÖSV- Skigewand abgesehen. Das war schade. Wir haben dann Klara Sykora gefunden und es funktioniert sehr gut. Man hat in den vergangenen Jahren gesehen, wie meine Schwester immer selbstbewusster wurde. Für die Babsi ist die Klara auch eine Schwester, das macht das alles so einzigartig.

STANDARD: Bei den Kommandos hat jeder Athlet, jede Athletin unterschiedliche Bedürfnisse.

Aigner: Ja. Unser Startkommando ist beispielsweise '3, 2, 1, ab', da hat jeder sein eigenes. Ich sage zu Vroni bei jedem Tor 'Hopp', damit sie weiß, wo der Ansatz für das Tor, für den Schwung ist. Darüber hinaus sage ich auch die Kombinationen durch, also 'Welle', 'Haarnadel'.

STANDARD: Gibt es einen Unterschied zwischen Technik- und Speed-Bewerben?

Aigner: Die Technikbewerbe sind ein bisschen leichter, weil man das Knacken der Torstangen hören kann. Bei den Speedbewerben sind die Abstände größer, damit muss der Abstand zwischen Guide und Athlet noch genauer passen. Beim Slalom und Riesentorlauf hat man den Athleten durch das Hören und die Licht-Schatten-Verhältnisse ein bisschen besser unter Kontrolle.

Paralympic Games

STANDARD: Was ist schlimmer: Wenn Sie stürzen oder wenn Veronika stürzt?

Aigner: Es ist fast schlimmer, wenn ich stürze, weil ich ja vor ihr fahre und die Reaktionszeit für sie viel zu gering ist. Ich kann nicht ansagen: ‚Ich stürze jetzt‘, weil es so schnell passiert, dass sie eh schon an mir dran pickt.

STANDARD: Wie kann man sich Veronikas Sicht vorstellen?

Aigner: Sie beschreibt es so, wie wenn man durch eine trübe Klarsichtfolie durchschaut. Sie sieht Farben und Umrisse, aber alles verschwommen. Und alles nur in der Nähe.

STANDARD: Sie haben auch einmal als Guide für Ihren Bruder Johannes ausgeholfen. Er hat verraten, dass das gar nicht funktioniert hat. Warum?

Aigner: Ja, das ging überhaupt nicht. Es war eine sehr eisige Piste und es war sehr steil und ich weiß nicht, wie schnell Hansi im Steilen oder im Flachen fährt. Ich bin ihm davongefahren und er wusste nicht mehr, wo der Schwungansatz ist. Es war ein Horror. Ich war da mehr Plage, als Hilfe. Ich hab dann zu ihm gesagt: 'Okay, das eine Monat drücken wir durch, aber dann ist es auch aus. Und bitte schätz deinen Guide.' Bei Vroni kenn ich die Geschwindigkeiten, den Schwungansatz, die Abstände. Es geht nicht, dass man sich sofort auf eine neue Person einstellt.

STANDARD: Wie viel Anteil am Erfolg hat der Guide und wie viel der Athlet oder die Athletin?

Aigner: Sehr viele sagen: 'Du bist ein Superstar' oder 'Ihr seids so super Sportler'. Ja, wir sind ein Team, aber ich stell mich da lieber hinten an. Ich bin nur die Gehilfin. Ich helfe ihnen dabei, das zu machen, wovon sie träumen. Sie geben bei den Rennen alles, aber du als Guide tust das nicht, du versuchst nur sie runterzubringen. Ich bin in einer Zweitrolle.

STANDARD: Man hat gemerkt, dass ihre Familie sehr offen mit den Behinderungen umgeht.

Aigner: Bei uns in der Familie ist ja fast jeder behindert. Man wächst einfach so auf. Ich habe meine Geschwister nie als besonders gesehen, oder dass man mehr auf sie eingehen muss. Und: Die Kleinen können froh sein, dass unsere Mutter auch sehbehindert ist. Wenn das nicht so wäre, würde es vielleicht heißen: ‚Oh nein, die Kleinen sind sehbehindert und dürfen das und das nicht machen.‘ Sie haben alle Freiräume bekommen, die auch wir hatten. Ich glaube, dass sie auch deshalb alle so gut beim Skifahren sind.

STANDARD: Sie, als eines der Familienmitglieder ohne Behinderung müssen viel helfen.

Aigner: Viele fragen mich: 'Ist das nicht stressig?' Nein, weil ich es nicht anders kenne und so denkt man gar nicht darüber nach. Man wird angerufen und es heißt, die Babsi oder die Vroni sind dort um diese Uhrzeit zu holen und dann macht man das. Da gibt es keine Herumsuderei.

"Ich glaube auch, dass sie gar nicht das Gefühl bekommen, eine Behinderung zu haben."

STANDARD: Haben Sie sich manchmal gefragt, warum haben die drei eine Behinderung und Sie und Ihre ältere Schwester Irmgard nicht?

Aigner: Nein, mit dem Gedanken habe ich nicht gespielt. Ich glaube aber, sie schätzen, dass sie trotz ihrer Behinderung nicht ausgestoßen werden, sondern integriert sind. Ich glaube auch, dass sie gar nicht das Gefühl bekommen, eine Behinderung zu haben. Wenn Vroni zum Beispiel irgendwo Hilfe braucht, dann sage ich ihr, dass sie es zuerst einmal selbst probieren soll, bevor ich ihr helfe.

STANDARD: Das Echo zu den Erfolgen in Peking war zwar da, könnte aber größer sein. Warum tut sich die Öffentlichkeit mit Parasport schwer?

Aigner: Wenn man erzählt, was man macht, sind die Leute erst mal sehr interessiert, haben aber noch nie etwas davon gehört. Das Interesse wäre jedenfalls da, ist auch seit der WM größer geworden und wird jetzt wohl noch größer. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, dass der Behindertensport klein gemacht wird. Die fahren die gleiche Piste runter und das vielleicht mit einer Lähmung oder mit nur einem Bein. Man muss sich auch fragen: 'Wie würdest du da runter fahren, wenn du nichts sehen würdest?' Viele würden sich nicht einmal auf Ski stellen. Wenn man versucht sich hineinzuversetzen, wird die Leistung noch größer. Und es ist auch schön anzuschauen.

"Mir war es lieber aufzuhören, statt das ganze Geld der Familie zu verprassen."

STANDARD: Sie sind selbst Rennen gefahren. Warum haben Sie keine eigene Karriere angestrebt?

Aigner: Ich hatte Probleme mit dem Cheftrainer und mir hat immer das gewisse Etwas gefehlt. Es ist einfach schwer, mitzumischen und auch sehr kostenaufwendig. Mir war es lieber, aufzuhören, statt das ganze Geld der Familie zu verprassen. Ich habe es auch gehasst, im Mittelpunkt zu stehen. Wenn ich Erfolg hatte, wollte ich lieber die Trainer rausschicken. Als Guide für Vroni ist es perfekt: Ich kann Skifahren, Zeit mit meiner Familie verbringen, bin aber nicht im Fokus.

STANDARD: Apropos Mittelpunkt: Die Aigners sind durch ihre Erfolge zu einem Mittelpunkt der Paralympics geworden.

Aigner: Der Trubel ist fast schon ein bisschen unangenehm. Irgendwo stand einmal: 'Vier gewinnt, die Aigners am Start.' Ich gewinne hier nicht. Es gibt auch zwei andere Guides, Matteo Fleischmann und Klara Sykora, die nicht Aigner heißen, aber das Gleiche leisten. Durch den Fokus auf den Nachnamen grenzt man die Beiden aus. Ich sage jetzt immer, wenn es heißt die Aigners sollen auf ein Foto, dann müssen die anderen auch drauf. (Andreas Hagenauer, 14.3.2022)