Die Rechtswissenschafterin Mirella Maria Johler analysiert die aktuellen Energiepreise und sucht nach Lösungen im Gastblog.

Stromrechnungen können dieser Tage fassungslos machen. Die Ursachen sind vielschichtiger als gedacht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien kann die Situation entschärfen. Niederschwellige Ausbaumodelle wie die "Energiegemeinschaft" attraktivieren den Umstieg, weil die mittlerweile sehr günstigen Erzeugerpreise an die Endkunden weitergegeben werden. Und besser noch: Selbst produzierter Strom macht Österreich geopolitisch resilienter und unabhängiger.

Warum Strom so teuer ist

Die Energiemärkte sind europaweit verflochten. Wie andere Rohstoffe wird Strom börsenähnlich gehandelt. Ausschlaggebend für den Strompreis sind die Preise für die Primärressourcen, die zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Wird Gas oder Kohle teurer, steigen die Strompreise. Deutschland schließt 2022 seine letzten Atomkraftwerke und verknappt dadurch das Angebot für Strom zusätzlich, erhöht aber somit den Gasbedarf. Der vorgesehene Ausbau der erneuerbaren Energien ist derweil ins Stocken geraten. Zudem steigert sich der Strombedarf durch die Digitalisierung und die Verwendung größerer und leistungsstärkerer Endgeräte.

Auch Maßnahmen des Umwelt- und Klimaschutzes (Stichwort CO2-Bepreisung), erhöhte Rohstoffnachfragen in China und konjunkturelle Schwankungen infolge der Corona-Pandemie werden für die Teuerung ins Treffen geführt. Der Krieg in der Ukraine lässt die Preise zusätzlich in die Höhe schnellen. Es erfolgt eine Verknappung von verfügbarem Gas, auch durch angedrohte gegenseitige Gasembargos. Allerdings ist der Gasbedarf in Deutschland und Österreich derzeit hoch, unter anderem, weil einige Grundlast- und Reservekraftwerke auf Gas als Brennstoff angewiesen sind. Dabei wirkt sich die Marktlage in Deutschland auch auf Österreich aus, denn beide Staaten sind elektrizitätswirtschaftlich stark miteinander verwoben: Langfristige Rahmenlieferverträge zwischen deutschen und österreichischen Elektrizitätsversorgungsunternehmen dienen dem Austausch von (deutscher) Grundlast gegen (österreichische) Spitzenlast.

Konsequenzen des "Diskonterstrommodells"

Doch bereits vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine wurden im zweiten Halbjahr 2021 deutliche Preisanstiege verzeichnet. Regulierungsrechtlich können dabei zwei Ursachen herausgegriffen werden. Einerseits steht ein Wechsel in der Tarifgestaltung an. Fixierte Einspeisetarife für Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen werden zugunsten von marktbasierten Tarifen aufgelöst. Andererseits bekommen viele Endkunden, die im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes einen Anbieterwechsel vorgenommen hatten, die negativen Auswirkungen des "Diskonterstrommodelles" zu spüren.

Der Kern eines solchen Geschäftsmodells besteht darin, dass die an der Strombörse beziehungsweise am kurzfristigen Spotmarkt erzielten Preise an Kunden weitergegeben werden. In guten Zeiten bedeutete dies für Endkunden eine Kostenersparnis im Vergleich zur Kundschaft bei etablierten Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Letztere verfügen in der Regel über langfristige Bezugsverträge mit Preisanpassungsklauseln, die ein gewisses Maß an Stabilität für den Endkunden bedeuten. In Krisenzeiten wird jedoch ersichtlich, dass den Geschäftsmodellen der Billigstromanbieter oft jene vertraglichen Mechanismen fehlen, die Endkunden vor raschen und überdimensionalen Preisanstiegen schützen. Die Kunden laufen Gefahr, in die "Energiearmut" abzurutschen.

Die Strompreise sind in den vergangenen Monaten enorm in die Höhe geschossen.
Foto: APA/dpa/Federico Gambarini

Rückkehr in die Grundversorgung

Die Lage für Endkunden verschärft sich auch dadurch, dass der deutsche beziehungsweise europäische Strommarkt in Folge der Preissteigerungen von einer Insolvenz- beziehungsweise Kündigungswelle überrollt wurde, die insbesondere die oben genannten Billigstromanbieter betraf. Im Fall einer Insolvenz hatten es jene oft verabsäumt, Rücklagen zu bilden oder sich durch Hedging-Mechanismen gegen Marktrisiken abzusichern. Außerdem sprachen Analysten davon, dass die Stromkontingente der gekündigten Kunden an der Strombörse weiterverkauft wurden. Zwar steht diesen Kundengruppen die Rückkehr in die gesetzlich vorgesehene Grundversorgung offen; Grundversorger müssen allerdings den für die Übernahme der Versorgung neuer Kundengruppen benötigten zusätzlichen Strom erst einkaufen. Auch dadurch kann es zu Preiserhöhungen für die neuen Kunden des Grundversorgers kommen.

Insgesamt zeigt sich, dass sich hinter dem Preisanstieg ein Produktionsproblem verbirgt. Aus der Perspektive der (kostengünstigen) Versorgungssicherheit fehlen dabei auch jene Marktteilnehmer, die physikalisch real lieferbaren Strom produzieren. Solche Markteintritte können durch Energiegemeinschaften geschehen.

Energiegemeinschaften als Lösung

An Energiegemeinschaften dürfen natürliche und juristische Personen, KMU und Körperschaften öffentlichen Rechts teilnehmen. Dabei muss nicht jeder Teilnehmer selbst über Photovoltaik-Anlagen verfügen – vielmehr soll ein Zusammenschluss von Produzenten und Abnehmern bewerkstelligt werden. Zu einer Rechtspersönlichkeit vereint (Grundsatz der freien Rechtsformwahl im Innenverhältnis), bestehen für Energiegemeinschaften regulatorische Erleichterungen, wie etwa reduzierte Netzentgelte. Für die Nutzung des Stromnetzes muss der Teilnehmer einer Energiegemeinschaft weniger bezahlen.

Im Unterschied zur Gemeinschaftlichen Erzeugungsanlage (Kleine Ökostromnovelle 2017) ist es bei Energiegemeinschaften möglich, selbst produzierten Strom über die Grundstücksgrenze hinaus (etwa an Nachbarn) zu verkaufen. Dabei steht es den Mitgliedern einer Energiegemeinschaft frei, Tarife für den selbst hergestellten Strom zu bestimmen. Die Tarifregelungen können in der Satzung, im Gesellschaftsvertrag oder den Beitrittserklärungen festgelegt werden. Die günstigen Erzeugertarife (1 kw/h aus Photovoltaik kann laut Fraunhofer-Institut mit 3 bis 11 Cent erzeugt werden) können dadurch direkt an die Kunden weitergereicht werden. Laut den Richtlinien des "Clean Energy"-Paketes sind Energiegemeinschaften ausdrücklich nicht gewinnorientiert. Bei einer positiven Bilanz kann der Überschuss zum Beispiel in neue Erzeugungsanlagen fließen und so dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien dienen.

Der entscheidende Vorteil angesichts der Krise internationaler Strommärkte liegt darin, dass Energiegemeinschaften den Strom selbst produzieren. Aus Sicht einer nationalen Versorgung bewirken Energiegemeinschaften zusätzliche Produktionskapazitäten. Für den Verbraucher beziehungsweise Teilnehmer bedeuten Energiegemeinschaften Strombezüge zu relativ fixierten Preisen innerhalb einer regionalen (oder lokalen) Wertschöpfung. Ein aktuelles Beispiel ist die Energiegemeinschaft in Schnifis (Vorarlberg).

Auftrag an Gesetzgeber und Regulator

Die gesetzlichen Grundlagen für Energiegemeinschaften sind mit der Umsetzung des "Clean Energy"-Paketes durch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz und Novellierungen des Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetzes bereits gelegt. Allerdings bestehen in der Praxis Anwendungshürden. Insbesondere erscheint der Netzzugang und die Bewerkstelligung der Abrechnung zwischen den Mitgliedern einer Energiegemeinschaft schwierig. Die E-Control und die Netzbetreiber sind gefordert, den Netzzugang für Energiegemeinschaften anhand von sachlichen Kriterien diskriminierungsfrei zu gewähren und den flächendeckenden Ausbau der Smart-Meter zur Erleichterung der Abrechnung voranzutreiben.

Bisher musste sich der Ausbau erneuerbarer Energien und der Leitungsinfrastruktur oft dem Denkmal-, Ortsbild- oder Landschaftsbildschutz beugen. Der Gesetzgeber sollte sich jedoch fragen, ob diese Rechtslage noch zeitgemäß ist oder ob sie nicht vielmehr zu einer Situation führt, die sicherheitspolitisch und energiewirtschaftlich als mangelhaft einzustufen ist und die Konsumenten in die Energiearmut führt. Auch an verfahrensbeschleunigende Maßnahmen sollte gedacht werden. (Mirella Maria Johler, 15.3.2022)