Ameisen-Arbeitsplatz Labor? Eine Studie zeigt das diagnostische Potenzial der sozialen Insekten.
Foto: Paul Devienne/Université Sorbonne Paris Nord

Im Vergleich zu vielen Tierarten ist der menschliche Geruchssinn geradezu verkümmert. Seit langem setzt Homo sapiens daher auf die Hilfe olfaktorisch überlegener Tiere wie Hunde und Ratten, sei es bei der Suche nach Menschen oder nach illegalen Substanzen. Die Aufgaben der tierischen Schnüffler nahmen in den vergangenen Jahren stetig zu: Inzwischen ist bekannt, dass die Spürnasen auch manche Krankheiten mit erstaunlicher Präzision "riechen" können. Trainierte Ratten können etwa Tuberkulose besser erkennen als Standardtests, Hunde lassen sich unter anderem in der Krebsdiagnostik einsetzen.

Die geruchliche Unterscheidung ist für die Tiere deshalb möglich, weil etwa entartete Krebszellen spezielle Duftmarker freisetzen, die sie von anderen Zellen unterscheiden. Der Nachteil an den tierischen Diagnostikern ist der hohe Aufwand, sowohl zeitlich als auch finanziell: Eine umfangreiche Ausbildung und laufendes Training sind Voraussetzung für den Einsatz. Auf der Suche nach günstigeren Alternativen hat ein Forschungsteam nun pflegeleichtere Schnüffler in den Blick genommen: Ameisen.

Süßes Training

Erste Experimente zeigten vielversprechende Ergebnisse, wie Baptiste Piqueret von der Sorbonne-Universität in Paris Nord und seine Kolleginnen und Kollegen im Fachblatt "iScience" berichten: Die Insekten können offenbar nicht nur Krebszellen anhand des Geruchs identifizieren, sondern sogar verschiedene Krebsformen voneinander unterscheiden.

Dass Ameisen unterschiedlichste Duftstoffe meisterhaft erkennen können, darf nicht überraschen. Die Kommunikation der sozialen Insekten erfolgt zu einem erheblichen Teil über Pheromone, die die Tiere mit ihren Antennen wahrnehmen können. Um herauszufinden, inwieweit sich diese sensiblen Sinnesorgane auch für die Krebsdiagnostik eignen und ob sich die Ameisen zur Kooperation animieren lassen, stellte das Team um Piqueret Proben aus verschiedenen Krebszellen und gesunden Zellen her. Anschließend wurden die Insekten mithilfe einer Zuckerlösung darauf trainiert, die Krebszellen anzusteuern.

Spürsinn für Details

Wie die Forschenden berichten, gelang dies ausgesprochen schnell: Schon nach wenigen Minuten Training, in dem die Ameisen den süßen "Vorzug" der Krebszellen verinnerlicht hatten, zeigten sie unabhängig von der Belohnung eine Vorliebe für deren Geruch. In weiteren Experimenten wurde untersucht, ob die Insekten auch auf die geruchliche Unterscheidung von Krebsformen trainiert werden können – mit vielversprechenden Ergebnissen: "Es zeigt sich, dass einzelne Ameisen nur wenige Versuche benötigen, um sich den spezifischen Geruch menschlicher Krebszellen einzuprägen und verlässlich wahrzunehmen", schreiben die Forschenden.

Der große Vorteil im Vergleich zu Säugetieren sei, dass die Ameisen einfach und kostengünstig gezüchtet und gehalten werden können und keine langwierige Ausbildung benötigen. Die Zuverlässigkeit dieser Methode müsse nun in klinischen Studien untersucht werden, bis zum Einsatz im Labor müsse das Konzept noch weiterentwickelt werden, schreibt das Forschungsteam. "Aber diese erste Studie zeigt, dass Ameisen ein enormes Potenzial haben." (David Rennert, 14.3.2022)