Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, ein heißer Augusttag. Die kleine Reisegruppe von Erhard Busek klettert von hinten den Hügel hinauf, auf dem die Kapelle mit der Schwarzen Madonna von Tschenstochau steht. Das polnische Nationalheiligtum. Wir überwiegend säkular gestimmten Journalisten treten vor – und sehen unter uns die Ebene schwarz vor Menschen. Mindestens eine Million katholische Wallfahrer. Das war der erste Eindruck davon, dass es mit dem Kommunismus in Polen nicht mehr so gut steht.

Am nächsten Tag: Danzig, Treffen mit Lech Wałęsa, dem Gewerkschafter, Führer der Opposition gegen die KP und späteren Staatspräsidenten. Ort: das Pfarrhaus von Wałęsas Beichtvater, Prälat Henryk Jankowski. Ein nationalpolnischer Empfang: weiß gekleidete Jungfrauen, eine prachtvolle Tafel, ein Klavierspieler donnert Chopin, auf der Umfriedungsmauer sitzen Geheimdienstler und filmen. An der Wand Gemälde: ein großes von Papst Johannes Paul II., ein sehr großes von Jankowski selbst, ein riesiges von Marschall Piłsudski, dem polnischen Nationalhelden, der die Rote Armee 1920 vor den Toren von Warschau vernichtete. Später erster (autoritärer) Staatschef des unabhängigen Polen. Wałęsa kommt im Ruderleiberl in diese nationalpolnische Inszenierung und gibt uns (zu unserer Erleichterung) eine nüchterne Analyse: Der Kommunismus in Polen ist tot, und er weiß es auch. "Moskau" hat in Polen keine Chance mehr. Die Zukunft Polens ist "in Europa".

Der ehemalige ÖVP-Chef und Vizekanzler Erhard Busek ist in der Nacht auf Montag im Alter von 80 Jahren gestorben.
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Erhard Busek hat diese Begegnungen und viele andere ermöglich. Er war in den Worten von Karel Schwarzenberg "damals der einzige Politiker, dem bewusst war, dass Österreich Nachbarn nicht nur im Westen, sondern auch im Osten" hatte. Er ergänzte und konterkarierte die Deutschland- und UdSSR-Fixierung der österreichischen Außenpolitik. Die Reisen führten nach Polen, Ungarn, ins ehemalige Jugoslawien, einmal in die Ukraine, nach Lemberg (Lwiw). Das "Mitteleuropa"-Konzept von Busek beruhte darauf, diesen Raum nicht abzuschreiben, sondern die Demokratiebewegungen in den kommunistischen Ländern Osteuropas zu unterstützen. Es war keine Monarchie-Nostalgie, wie manche kritisierten, sondern ein klares politisches Konzept: "Mitteleuropa ist für Österreich ein unausweichliches Schicksal, die Frage ist nur, ob man es über sich ergehen lassen oder es gestalten will", schrieb Busek in dem Buch "Mitteleuropa", erschienen 1997, als der Kommunismus schon den Geist aufgegeben hatte.

Freiheit und Demokratie

Auf den Osteuropa-Reisen mit Busek waren die Gesprächspartner meist Intellektuelle. Etliche davon wurden nach der "Wende" 1989 zu wichtigen Akteuren der Politik. Andere, wie György Konrád in Budapest oder Władysław Bartoszewski und Leszek Kołakowski in Warschau, beeindruckten durch glasklare Analysen, warum der Kommunismus keine Antwort auf die damals beginnende Globalisierung habe und deshalb scheitern müsse.

Es ging immer um Freiheit, um Demokratie, um die Abschüttelung des Jochs, das nicht nur ein kommunistisches, sondern sehr wohl auch ein russisch-imperialistisches war. Nur einmal, in Belgrad, war es anders. Wir trafen uns mit serbischen Dissidenten, unter konspirativen Bedingungen, in der Wohnung eines Psychiaters, der Jovanka, die Frau Titos, behandelt hatte. Wir dachten, es gehe um Demokratie. Falsch, es ging um "das Serbentum". Höhepunkt war der Ausruf eines baumlangen, rauschebärtigen Dichters: "Wir Serben haben die Türken besiegt, wir haben die Österreicher besiegt, wir haben die Deutschen besiegt, wir werden auch die Kommunisten besiegen – und wenn es eine Million Tote kostet!" Na, wir sind hier falsch, dachten wir. Nicht ganz: Der Dichtersmann wurde später unter Slobodan Milošević stellvertretender Kulturminister. Rund 120.000 Tote in den jugoslawischen Sezessionskriegen gab es.

Ein paar Jahre später fuhren wir mit Busek nach Slowenien. Unsere Gesprächspartner, vom Gewerkschafter bis zum Bischof, verkündeten das Ziel der Unabhängigkeit. Wir waren skeptisch: Das kleine Slowenien – und wäre es nicht besser, wenn Jugoslawien zusammenbleibt? Die unmissverständliche Antwort: "Wir und die Kroaten sind die Einzigen, die im Export Devisen verdienen. Damit finanzieren die Serben ihre Armee und die Polizei, die uns unterdrückt. Wir wollen nicht mehr." Ein paar Monate später war es so weit.

Busek stieß mit seinen Initiativen zunächst auf wenig Interesse, in der eigenen Partei, aber auch bei jungen Journalisten, die schon dreimal in den USA gewesen waren, ehe sie einmal nach Prag oder Budapest fuhren. Als der "Ostblock" in sich zusammenstürzte, hatte er auf dramatische Weise recht behalten, erhielt aber trotzdem nur begrenzte Anerkennung. Aber er hatte die "Zivilgesellschaft" in Osteuropa auf diskrete, aber wirkungsvolle Weise unterstützt – und bei manchen in Österreich das Gefühl dafür geweckt, dass wir Nachbarn auch im Osten haben. Wie sich gerade dramatisch zeigt. (Hans Rauscher, 14.3.2022)