Mit Martin Hajart hat ein bekanntes Gesicht der Kommunalpolitik das schwarze Ruder übernommen. Wenig überraschend auch das Ziel des Stadt-Vizes: "Linz-Politik machen."

Hermann Wakolbinger

Begrüßt wird der ÖVP-Politiker bereits vor der offiziellen Angelobung als "Herr Vizebürgermeister". Zumindest in der Linzer Kreativschmiede Tabakfabrik. Dort, wo einst in den architektonisch höchst relevanten Räumlichkeiten der Tabak qualmte und heute die Start-up-Köpfe rauchen, fühlt sich Martin Hajart wohl – und hat zum Interview auf bunten Couchsesseln geladen.

STANDARD: Beginnen wir mit dem Grundlagenwissen für Linzer Stadtchefs. Wie viele Gitterecken hat die originale Linzer Torte?

Hajart: Es ist ja fast gemein, dass die wirklich schwierigen Fragen gleich zu Beginn gestellt werden. Ehrlich, ich habe keine Ahnung.

STANDARD: Exakt 50. Abseits der Torten wird Linz aber ohnehin weniger süß und lieblich wahrgenommen, sondern gerne unter Wert geschlagen. Stört Sie das ewige Stahlstadt-Image?

Hajart: Linz tut sich generell schwer mit seiner Identität. Und das ist ein Potenzial, das Linz nicht ausschöpft. Man sollte aus meiner Sicht eher den Fokus auf die reichhaltige Geschichte der Stadt legen. Da könnte man einiges herausholen und es in die Stadtentwicklung einbeziehen.

STANDARD: Aber wie könnte dieser Identitätswechsel konkret aussehen?

Hajart: Es geht nicht um einen Wechsel der Identität. Es ist vielmehr ein Bekenntnis zur Identität von Linz und wie man damit umgeht. Es fängt bei der damaligen Diskussion rund um den Abriss der alten Eisenbrücke an und geht bis zum Schleifen historischer Gebäude. Man ist sich da nicht im Klaren, wo die Reise hingehen soll. Wir müssen die eigene Stadtgeschichte annehmen und selbstbewusst in die Zukunft blicken.

STANDARD: Der Satz könnte aus jedem Tourismusfolder stammen. Konkret: Was macht Linz für Sie persönlich aus?

Hajart: Linz ist eine prosperierende Stadt mit einer Vielfalt an Menschen. Und dem Potenzial, dass man etwa viel aus der Universitätsstadt Linz holen kann. Zudem leben wir in Linz an der Donau, was als Potenzial ebenfalls leider ziemlich brachliegt. Und genau hier möchte ich ansetzen und diese kommunalen Schätze heben.

STANDARD: Sie waren viele Jahre erfolgreicher Judoka. Gilt eigentlich der Judo-Leitsatz "Liebe deine Feinde, aber sei schneller als sie" auch für die Politik?

Hajart: Ich sehe mein politisches Gegenüber nicht als Feindbild. Aber die moderne Politik verlangt ein rasches Reagieren auf Veränderungen. Das deckt sich mit dem Judo. Und schneller mit den besseren Lösungen als die politischen Mitbewerber zu sein ist sicher auch kein Fehler. So gesehen: Judo ist in der Politik hilfreich.

STANDARD: Ihr Vorgänger ist doch sehr frustriert aus dem Amt geschieden. Das Ergebnis der letzten Gemeinderatswahl war deutlich unter den ÖVP-Erwartungen, letztlich musste man das Wirtschaftsressort an die SPÖ abtreten. Eigentlich übernehmen Sie doch einen beachtlichen Scherbenhaufen, oder?

Hajart: Ich weiß nicht, wo Sie einen Scherbenhaufen sehen. Natürlich hat uns das Wahlergebnis nicht begeistert, und die Abnahme des Wirtschaftsressorts war ein unfreundlicher Akt der SPÖ. Aber wir lecken keine Wunden mehr. Ich möchte jetzt ein neues Kapitel aufschlagen, ohne eingefahrene Problembereiche der Vergangenheit zu wälzen.

STANDARD: Ich kann Sie beruhigen – die Problembereiche liegen auch in der Zukunft. Sie haben von Ihrem Vorgänger die Verkehrsagenden geerbt. Ein Bereich, in dem Linz seit Jahrzehnten eine einzige Baustelle ist. Der Öffi-Ausbau steckt auf dem politischen Pannenstreifen fest, die Stadt erstickt im Stau. Ein zukunftstaugliches Gesamtverkehrskonzept ist bis dato über einen Diskussionsentwurf nicht hinausgegangen. Was gedenken Sie zu tun?

Hajart: Das Verkehrsressort ist immer wie eine heiße Kartoffel weitergereicht worden. Aus meiner Sicht unverständlich, ich freue mich sehr auf diese Aufgabe. Man kann in diesem Bereich viel bewegen, die Herausforderungen sind groß. Im Verkehrsbereich wurden viele Baustellen nicht ordentlich bearbeitet.

STANDARD: Ein Problemaufriss alleine wird wohl zu wenig sein. Wo gedenken Sie konkret anzusetzen, um das staugeplagte Linz zu entlasten? Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Stadt rund 1,5 Milliarden Euro an Schulden hat.

Hajart: Ich will, trotz der schwierigen Finanzsituation, die Mobilitätswende. Eines meiner Ziele ist es, Linz zu einer Fahrradstadt zu machen. Österreichweit liegen 40 Prozent aller Autofahrten unter fünf Kilometern. Das ist in Fahrraddistanz, und man kann daher in diesem Bereich viel erreichen. Man muss einerseits auf Infrastrukturmaßnahmen und andererseits auf Bewusstseinsbildung setzen.

STANDARD: Da haben sich schon viele Ihrer Vorgänger blutige Nasen geholt. Warum soll die Mobilitätswende ausgerechnet jetzt gelingen?

Hajart: Was in der Vergangenheit durchaus verabsäumt wurde, ist eine ordentliche Zusammenarbeit von Stadt und Land. Aber nur gemeinsam kann man da im Verkehrsbereich vorankommen. Darauf setze ich jetzt.

STANDARD: Fahrradstadt heißt aber auch, dass man den Autoverkehr entsprechend aus der Innenstadt verbannen müssen wird. Schwebt Ihnen da eine komplette Autofreiheit vor?

Hajart: Eine komplett autofreie Innenstadt wird sich nicht realisieren lassen. Aber man hat nur einen bestimmten Platz zur Verfügung. Und dann muss man entscheiden, wie viel Platz man wem zur Verfügung stellt. Und da schlägt mein Pendel deutlich mehr in Richtung Radfahrer und Fußgänger.

STANDARD: Postenschacher, Hinterzimmerpolitik, derbe Chatprotokolle – das Vertrauen in die Politik ist enden wollend. Warum tut man sich als junger Mensch den Politikerjob an?

Hajart: Mir geht es darum, Dinge zum Positiven zu verändern und eben eine andere Richtung einzuschlagen. Die Entwicklungen, auch in der ÖVP auf Bundesebene, sind inakzeptabel. Für die Chats hab ich mich nicht nur einmal geniert. Diese Grausligkeiten muss man rigoros aufarbeiten.

STANDARD: In einem schwarzen Kernland tut sich die ÖVP kommunal furchtbar schwer. Warum ist die Diskrepanz zwischen Stadt und Land so groß in Oberösterreich?

Hajart: Die ÖVP muss auch als Stadtpartei endlich selbstbewusster auftreten und stärker inhaltliche Arbeit machen.

STANDARD: Aber vielleicht kann die ÖVP Kommunalpolitik einfach deutlich schlechter als die SPÖ ...

Hajart: Beurteilen Sie mich nach fünf Jahren.

STANDARD: Zum Schluss nochmals zurück zum Linz-Quiz. Wie viele Zwerge wohnen in der Linzer Grottenbahn?

Hajart: Die habe ich noch nie gezählt. 40?

STANDARD: Deutlich mehr, nämlich 107 Zwerge bevölkern das Linzer Wahrzeichen.
(Markus Rohrhofer, 15.3.2022)