Till Lindemann löst sich auf. Ein Still aus dem aktuellen Video.

Foto: Rammstein

"Zeit, bitte bleib steh’n, bleib steh’n / Zeit, das soll immer so weitergeh’n / Zeit, es ist so schön, so schön / Ein jeder kennt den perfekten Moment."

Jede große Gefühlswallung öffnet der Parodie Tür und Tor. Kaum droht Kunst wegen des Gewichts eines vollen Herzens im Kitsch zu versinken, steht schon einer am Ufer der klebrigen, pickigen Suppe und macht sich darüber lustig. Wie meinte einst die große deutsche Chansontragödin Hildegard Knef so bitter wie heiter: "Wer sich mit der Kunst verheiratet, bekommt die Kritik zur Schwiegermutter."

Rammstein haben sich mit ihrer Gesamtkunst schon immer in der Mitte zwischen völlig überzogenem Pathos und dessen gleichzeitiger ironischer Brechung bewegt, das ist der traurige Ernst. Und der Ernst muss gar nicht erst in den Keller gehen, um darüber zu lachen.

Porno und Militärorchester

Großen Provokationskünstlern oder zumindest jenen, die damit erfolgreich sind, eignet immer ein untrügliches Zeitgespür. Sie wissen, was sie wann veröffentlichen müssen oder sollen. Zufällig kommen nun das Lied Zeit und vor allem das dazugehörige Video gerade recht. Nachdem sich der dem östlichen Europa bekanntlich enorm zugetane Rammstein-Sänger Till Lindemann vorigen Herbst noch live mit einem russischen Miltitärorchester auf dem Roten Platz in Moskau vergnügt und zuvor in einem Luxushotel in St. Petersburg verbotenerweise ein Pornovideo gedreht hatte, sieht man den alten Problembären aktuell auf Social Media in einer historischen Aufnahme in Kiew auf dem Hauptplatz stehend mit einer Solidäritätsadresse an die Ukraine.

Rammstein Official

Der neue Song Zeit, recht aufwendig gedreht, soll das für Ende April angekündigte gleichnamige neue Album Zeit möglicherweise als Abschiedsarbeit ankündigen. Das Lied kommt mit seiner Metaphorik zwischen ewigem Kampf, Krieg und Gewalt und der Sinnlosigkeit angesichts des Skandals des Todes zeitlich gerade recht. Wieder einmal bedient man sich – Zauber der Montur! – bei den großen slowenischen Vorbildern Laibach. Diese werden übrigens mit dem Ende März erscheinenden Album Wir sind das Volk die Schrauben ein wenig stärker anziehen.

Wir erleben, ästhetisch ansprechend gemacht, heldenhafte Recken zwischen U-Boot-Krieg, Partisanenkampf, überirdischen Alien-Göttern und/oder Lovecraft'schen Urzeitmonstern und schwülstiger Lebens- und Todesmetaphorik. Am Höhepunkt des Videos kriechen die Heldenbabys dank ständig ruckelnder linearer Zeitaufhebungen wieder unter dem großem Geschrei und Wehklagen der Mütter in den schützenden Bauch zurück. Irgendwann wird alles wieder gut. Was aber ist laut Conan (auch so ein lustiger Faschistentrashfilm, wir erinnern uns) das höchste Glück eines Mannes? Es geht darum, den Feind zu jagen und zu besiegen – und das Geschrei der Weiber.

Schlager mit Powergitarre

Hören wir derweil das unter der Regie des deutschen Schauspielers Robert Gwisdek verfilmte Lied Zeit noch einmal. Till Lindemann muss sich bei dieser Schlagerballade mit breitbeiniger Powergitarre nicht besonders anstrengen. Sie erinnert mehr an Helene Fischer unter Waffen stehend als an Rammstein im Folterkeller aufgespannt:

"Wenn uns’re Zeit gekommen ist, dann ist es Zeit zu geh’n / Aufhör’n, wenn’s am schönsten ist, die Uhren bleiben steh’n / So perfekt ist der Moment, doch weiter läuft die Zeit / Augenblick, verweile doch, ich bin noch nicht bereit."

Ein schönes Gedicht des bayerischen Komikers Gerhard Polt hätte man auch gut vertonen können. Auf geht's:

"Zeit plus Zeit ist mehr Zeit / Brot plus Zeit ist Brotzeit / Zeit mal Zeit ist Mahlzeit / Der Maikäfer dreht um den Tisch eine Runde / Du weißt nicht das Jahr / Du kennst nicht die Stunde / Die Kastanie im Biergarten blüht / Freue Dich, Du bist auf erdbebensicherem Gebiet." (Christian Schachinger, 14.3.2022)