Den neuen ORF-Newsroom, hier in Bau, dürften drei Männer leiten – womöglich ohne Ausschreibung.

Foto: APA / ORF / ROMAN ZACH-KIESLING

Die neue Schaltzentrale für die wichtigsten Nachrichten des Landes wird Mitte Juli besiedelt. Aus einem gewaltigen Glaswürfel um einen kleinen Erlenhain im Lichthof werden dann Formate wie die "ZiB 1" mit ihren durchschnittlich 1,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern, die "ZiB 2" mit rund 800.000, die Radio-"Journale" auf Ö1 und die Ö3-Nachrichten sowie ORF.at mit 5,5 Millionen Unique Usern pro Monat gesendet.

Eine Traumdestination für Kommunikatoren der Politik, besonders der Regierung. Denn dieser gewaltige Newsroom gehört zum ORF, und dessen oberstes Entscheidungsorgan Stiftungsrat wird von Regierung, Parteien, Ländern besetzt.

Koalitionsbesetzungsliste

Regierungsparteien haben die Mehrheit im mächtigen ORF-Gremium. Sie und ihre Fraktionssprecher vereinbarten Besetzungslisten für ORF-Führungsjobs, die als Sideletter Teil von Koalitionsabkommen wurden. 2017 etwa listeten ÖVP und FPÖ neue Chefredakteure und Channel-Manager auf, Alexander Wrabetz setzte als ORF-General einen Großteil um.

"Die Veröffentlichung des Sideletters war für uns alle ein Schlag ins Gesicht. Wir wissen, wie Jobs im ORF besetzt werden. Das aber derart dreist festzuhalten frustriert jene, die etwas werden wollen, sich für Positionen qualifizieren und intern gefördert wurden."

Wie diese ORF-Redakteurin beschreiben viele vom STANDARD befragte Redakteure die Wirkung des Ende Jänner veröffentlichten Koalitionsdeals. Sie alle wollen anonym bleiben. Aufgedeckt haben diese Sideletter Profil und die "ZiB 2". Immerhin, sagt ein Redakteur: "Der effektivste Protest des ORF gegen Sideletter ist guter Journalismus, der solche Abkommen aufdeckt." Das zeige, dass das System ORF-Information prinzipiell noch funktioniere. Und er sagt:

"Die Sideletter zeigen, wie überheblich die Politik insbesondere auf den ORF blickt."

In einem Sideletter haben auch ÖVP und Grüne 2020 vereinbart, dass die ÖVP 2021 den Generaldirektor und zwei Direktoren quasi nominiert, die Grünen zwei. Chefproducer Roland Weißmann wurde mit ihren Stimmen Generaldirektor, Ingrid Thurnher Radiodirektorin und Harald Kräuter Technischer Direktor. Die Grünen nominierten Stefanie Groiss-Horowitz, zuvor Puls 4, fürs Programm und Eva Schindlauer, zuvor ORF 3, für Finanzen.

Lehren aus den Sidelettern?

Weißmann bestimmt nun als General, wer die große Informationsmaschine Newsroom führt.

"Ob der ORF Lehren aus den Sidelettern zog, wird die Besetzung im neuen Newsroom zeigen. Werden die Positionen ausgeschrieben? Kann man 2022 drei männliche Chefredakteure installieren?"

Die Frage könnte schon beantwortet sein. Vor wenigen Wochen sah es so aus, als würden die Chefredakteursjobs ausgeschrieben werden. Doch es gibt schon drei männliche Chefredakteure für TV, Radio und für Online. Sie dürften mit ihren jetzigen Positionen in den Newsroom einziehen.

Laut Verfassungsgesetz besetzt der ORF-General unabhängig und eigenverantwortlich, laut ORF-Gesetz nach Qualifikation.

Kürzel mit Folgen

Eines der umgesetzten Kürzel im türkis-blauen Sideletter war S.M. Matthias Schrom. Der Redaktionschef von ORF 2, de facto der TV-Information, war zuvor für die FPÖ zuständiger Redakteur in der "ZiB" -Innenpolitik. Weil er aus FPÖ-Sicht auch fair gegenüber den Blauen war, stand er auf dem freiheitlichen Ticket für die Chefredaktion – wo er sich aber, selbst aus der Sicht der kritischsten Redakteure, bewährt.

Vorgänger Fritz Dittlbacher machte den Job zumindest ebenso gut – auch wenn er die Funktion 2010 mit Unterstützung der damaligen Kanzlerpartei SPÖ bekam. 2018 wurde er durch Schrom ersetzt.

"Über eine bestimmte Flughöhe kommst du im ORF nicht, wenn nicht wer Mächtiger für dich rennt. Viele sind bereit, da mitzuspielen."

Chefredakteur zählt zu dieser Flughöhe, wie sie ein Redakteur nennt. Hannes Aigelsreiter im Radio wurde von der ÖVP auf dem Weg in die Radio-Chefredaktion unterstützt.

  • Reaktion: Hannes Aigelsreiter weist Unterstützung der ÖVP für seine Bestellung zum Chefredakteur 2012 zurück: "Tatsache ist, dass ich von keiner Partei unterstützt wurde, als ich im Jahr 2012 zum Chefredakteur der Radio-Information bestellt wurde. Ich bin somit auch keiner Partei etwas schuldig, ich stehe keiner Partei nahe, weder persönlich noch im Rahmen meiner Funktion als Chefredakteur." Eine Parteinähe hatte DER STANDARD nicht behauptet.
  • Ergänzung: Unabhängigkeit Radio-Information Der Artikel betonte nicht – im Gegensatz zu vielen in den vergangenen Jahren – auch eigens die besonders kritische und unabhängige Arbeit der Radio-Information, was dort als Widerspruch zur Erwähnung im Fernsehen ankam. Die eigene Erwähnung, dass auch die Radio-Information – wie übrigens auch jene von ORF On – nach den Vorgaben des ORF-Gesetzes arbeitet, ergänzen wir hiermit.

Christian Staudinger wurde von Weißmann, damals noch ORF.at-Chef und türkise Generalshoffnung, als Chefredakteur in die aus ÖVP-Sicht allzu widerständige ORF-Online-Redaktion gebracht.

Drei Männer am Ruder

Schrom, Aigelsreiter und Staudinger dürften künftig gemeinsam den neuen ORF-Newsroom leiten. Bisher produzieren getrennte Redaktionen für TV, Radio und Online die Information des ORF. Künftig sitzen gut 400 Journalistinnen und Journalisten in einem gemeinsamen Newsroom in gemeinsamen Ressorts. Teams für einzelne Sendungen wie die Radio- Journale oder die "ZiB 2" soll es weiter geben.

Die Hand am Schalter hat die Leitung des zentralen Newsdesks für schnelle Nachrichten über alle Medien und Social Media. Gut 50 neue Stellen sind dafür eingeplant.

Bürger chattete mit Nehammer

Schlüsselstelle im Newsroom wird das Innenpolitikressort. Hans Bürger gilt als aussichtsreicher Kandidat, bereits rund 20 Jahre ist er TV-Innenpolitikchef.

Unangenehm ist da, dass auch Bürger in den Chats des Ex-Kabinettchefs im Innenministerium, Michael Kloibmüller, vorkommt, wie DER STANDARD berichtete.

Was tut Weißmann?

Wie reagiert nun der ORF-General auf die Sideletter? Offiziell will weder Weißmann noch der ORF zu solchen Politdeals Stellung nehmen. Gesprächspartnern erklärt Weißmann dazu, alle ORF-Besetzungen erfolgten nach objektivierten Verfahren und Kriterien.

Einer seiner Redakteure rät, diese formale Beschreibung tatsächlich zu leben:

"Der ORF-General hat alleinige Personalhoheit. Er könnte einfach die Qualifiziertesten bestellen. Das ist sogar im ORF schon da und dort passiert."

(Harald Fidler, Laurin Lorenz, 15.3.2022)