Als die Stadt Wien 2006 beschloss, das Theater an der Wien zum Opernhaus umzuwidmen, ließ sie in den Vertrag von Roland Geyer als Klausel einfließen: Es müsse international erstklassiges Musiktheater entstehen. Für das Konzept war die Zeit günstig, die Staatsoper tat sich schwer, regiemäßig auf der Höhe der Zeit zu agieren. So konnte das Theater an der Wien als Stagione-Haus, das im Gegensatz zum großen Repertoire-Haus nicht täglich spielen muss, nach und nach eine Lücke in der Stadt schließen und mit monatlichen Premieren in die erste Opernliga aufsteigen. Klar, dass von den über 180 Premieren (inklusive jener in der Kammeroper) nicht alles gelang. Die "Aufwärmübung", die Warschauer Kammeroper einzuladen, damit sie alle Mozart-Opern auf putzigem Niveau umsetzt, provozierte anfangs Fragen nach der Kompetenz des Intendanten.
Und dass Geyer nach vielen Erfolgsjahren begann, selbst zu inszenieren, erwies sich als eher fragwürdige Idee. Im Gesamtkontext des Projekts bleiben dies jedoch nur anekdotenhafte Fußnoten. Wer etwa bei den Salzburger Festspiele reüssierte, lief auch hier mitunter zur Höchstform auf: Frisch in Erinnerung ist der Peter Grimes von Christof Loy. Daneben kam Gehaltvolles, u. a. von Regisseuren wie Keith Warner, Peter Konwitschny, Claus Guth und Robert Carsen. Als Wagnis hat man Wagners Ring-Tetralogie als Trilogie neu erzählt. Und Lotte de Beer, neue Volksopernchefin, machte im Theater an der Wien auf sich aufmerksam. Schließlich Nikolaus Harnoncourt. Er, der sich weigerte, an der Staatsoper zu dirigieren, fand hier eine Bleibe, wie auch Vokalisten und Vokalistinnen: etwa Marlis Petersen, Piotr Beczała und Christian Gerhaher, der bald an der Staatsoper Wozzeck sein wird.
Die finanzielle Seite
Das Konzept, die ganze Bandbreite der Operngeschichte plus eine festivalartig großzügige Art des Erarbeitens von Produktionen hat natürlich auch eine bemerkenswerte finanzielle Seite. Die Stadt sagte anfangs 21,6, dann 20 Millionen Euro zu, zuletzt belief sich die Subvention auf 21 Millionen Euro. Viel Geld, das allerdings immer weniger wert wurde. Parallel zu den vom Stadtrechnungshof traditionell geforderten Effizienzsteigerungen hatte das Theater an der Wien ja mit Kostensteigerungen zu hantieren, welche auch die Bundestheater regelmäßig plagen. Die Subvention wurde jedoch in den letzten 16 Jahren nie valorisiert, geschweige denn erhöht wie etwa bei den Bundestheatern, deren Subventionen in dieser Zeit um 30 Prozent stiegen. "Es blieben für die Kunst 13 bis 14 Millionen übrig – inklusive Kammeroper. Zwölf Millionen flossen jährlich in die Personalkosten für Technik und Verwaltung", so Geyer.
Gehälter, Materialkosten und Künstlergagen: All das stieg in der letzten Dekade um rund 20 Prozent, wobei die Spitzengagen bei Sängern und Sängerinnen seit ewigen Zeiten bei 10.000 Euro gedeckelt waren. An der künstlerischen Qualität war das nicht zu bemerken. Nach und nach wurde allerdings auf zwei Sommerproduktionen verzichtet, 2016 auch auf das Osterklang-Festival, zugunsten der Kammeropernbespielung. So erklärt sich auch, warum es – der Stadtrechnungshof monierte es – 2018 und 2019 weniger Besucher als vor 2017 gab. Tatsächlich gab es 2010 bis 2017 durchschnittlich 77.000 Besucher und 2018 und 2019 etwa 65.000 – jedoch durch Wegfall der sommerlichen und österlichen Aktivitäten. Die Auslastung ist eigentlich immer konstant über 90 Prozent geblieben.
Ein gewisser Ärger
Geyer ärgert sich, dass "man diesen schiefen Zahlenvergleich bemüht, um eine negative Entwicklung zu argumentieren" und sieht – das betrifft dann aber seinen Nachfolger Stefan Herheim – den Zuschuss von 21 Millionen als nicht mehr tragfähig. "Schon gar nicht bei der hohen Inflation und den galoppierenden Energiekosten." Dennoch: Auch bisher galt das Theater an der Wien als teurer Spaß. Hätte Geyer an der Struktur sparen oder drehen können? Hätte er mehr als die obligaten sechs Vorstellungen einer Produktion spielen können? "Jeder weitere Spieltag kostet Subventionsgeld, da wir u. a. Orchester, Sängerensemble und Chor für jeden Abend bezahlen müssen. Die fünf bis sechs Vorstellungen mit bis zu 6000 Besuchern und Besucherinnen sind für eine Neuproduktion richtig bemessen, für das Publikumspotenzial in Wien."
Bei Uraufführungen, so Geyer, seien schon vier Vorstellungen schwer voll auszulasten. Dennoch müsse es immer wieder neueste Werke auf dem Spielplan geben – "außer für den Rechnungshof, der am liebsten die Zauberflöte mit einer Starsopranistin als Königin der Nacht 20-mal aufgeführt sähe …" Der Vergleich mit dem Haus am Ring bestätigt Geyer: Auch an der Staatsoper werden ganz wenige Stücke mehr als vier bis sechsmal in Serie gespielt.
Die Frage der Kartenpreise
Theoretisch wäre auch eine Reduktion der Kartenpreise möglich, um mehr Publikum anzulocken. Allerdings war auch bisher schon Teil des Kulturauftrags, die Kartenpreise nicht explodieren zu lassen. So wurde das Limit von 150 Euro in der besten Kategorie nie erhöht. Das hat ein Ablaufdatum. Womöglich würde man es in Hinkunft "riskieren müssen, zu erhöhen und zu hoffen, dass nur wenige treue Anhänger" wegbleiben, meint Geyer, dessen Versuch, die spielfreien Tage mit Konzerten zu beleben, nicht aufging. Konzerthaus und Musikverein decken die Bedürfnisse gut ab. "Außerdem: Um etwa 30.000 Euro Abendeinnahmen kann man nur Kammermusik oder Liederabende kostendeckend veranstalten. Und alle großen, ausverkauften Konzerte, etwa mit den Philharmonikern, haben mein Budget mehr be- anstelle entlastet." Barockopern-Konzerte seien zwar auch nicht kostendeckend, aber jedes Mal fast ausverkauft und das "Kerngenre dieses Theaters".
Auf der Suche nach Sparideen käme auch die Orchesterfrage. Ein eigener Klangkörper wäre jedoch nicht günstiger. Im Stagione-System brauche es erstens "Spezialensembles", um unterschiedliche Klangästhetiken zwischen Barock, Romantik und Moderne umzusetzen. Ein eigenes Orchester wäre jährlich "bis zu dreimal so teuer wie die Gastorchester", meint Geyer. Es wären auch viele "Stehtage" entstanden, die auch Kosten bedeuten.
Das städtische Opernmatch
Wenn man bei Geyer einen gewissen Ärger wecken will, muss man nur den gerne kritisierten "Zuschussbedarf pro Besucher" einbringen. Dieser müsse "für jede Produktion anders" und komplexer berechnet werden. Ein Vergleich mit dem Repertoirebetrieb der Volks- oder Staatsoper hinke, da hier ältere Produktionen mit Neuproduktionen "in einen Topf" summiert würden. Ein Großteil der Aufführungen würde aber keine Basiskosten und kaum Produktionskosten beinhalten, wohingegen im Stagione-System alle Produktionen neu seien und immer alle Produktionskosten inkludierten. "Ein Vergleich erfolgt daher immer unter falschen Prämissen." Geyer rechnet vor: Die Stagione-Betriebsform koste pro Zuschauer zwar mehr Geld, vor 2019 beim Theater an der Wien etwa 300 Euro, bei der Staatsoper 100 Euro. Insgesamt aber beansprucht die Staatsoper pro Jahr mehr an Subventionen, nämlich 2019 an die 65 Millionen, während das Haus am Naschmarkt die genannten 21 Millionen bekommt.
"Ich weigere mich daher, diese Zahlenspielerei als seriöse Bewertung einer Produktion anzuerkennen", so Geyer. Mit alledem muss er sich aber bald nicht mehr befassen, sein Vertrag läuft im Sommer aus, es steht nur noch etwas in der Kammeroper an, in die Geyer übersiedelt. Das städtische Opernmatch trägt dann Stefan Herheim aus. Nicht nur, dass er zwei Jahre lang im Museumsquartier improvisieren muss. Herheim tritt auch gegen Volksopernchefin Lotte de Beer und gegen Staatsopernchef Bogdan Roščić an, die ebenfalls für zeitgemäßes Musiktheater stehen. Spannend. (Ljubiša Tošić, 15.3.2022)