Halten die Lage der Republik für sicher: Kanzler Karl Nehammer (hier noch als Innenminister) und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.

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Österreich habe einen Beitritt zum nordatlantischen Verteidigungspakt Nato gar nicht nötig: So lässt sich auf den Punkt bringen, was Karl Nehammer im STANDARD ausgeführt hat. Schon die Mitgliedschaft in der EU, argumentierte der Kanzler, garantiere neutralen und bündnisfreien Staaten Schutz.

Ist das so? Tatsächlich beherbergt der EU-Vertrag im Artikel 42 seit 2009 eine Beistandspflicht, die stark an den berühmten Artikel 5 der Nato erinnert. "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung", ist in dem als Vertrag von Lissabon in die Geschichte eingegangenen Regelwerk zu lesen. Zwar heißt es im nächsten Satz, dass dies "den besonderen Charakter" der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten "unberührt" lasse. Doch der auf neutrale Länder zugeschnittene Passus, sagt der Europarechtsexperte Franz Leidenmühler, sei einseitig auszulegen – und zwar zugunsten Österreichs.

Was einen Trittbrettfahrer ausmacht

Soll heißen: Die Republik könne sich unter Berufung auf die Neutralität raushalten, sollte ein EU-Mitglied um militärische Hilfe bitten. Umgekehrt seien die anderen Staaten aber zum Beistand verpflichtet, wenn Österreich angegriffen wird. Aus rein rechtlicher Sicht sei der Ruf nach einem Nato-Beitritt deshalb unnötig, sagt Leidenmühler: "Wir sind bereits Mitglied in einem Militärbündnis."

Die einseitige Verpflichtung zum Vorteil Österreichs sei genau "das, was uns zum Trittbrettfahrer macht", ergänzt Ralph Janik, ein weiterer Fachmann in Sachen Völkerrecht. Der EU-Vertrag sei sogar noch konkreter als die Nato-Klausel, die Bündnispartner nur zu jenen Mitteln verpflichtet, die sie "für erforderlich" erachten. Zwar gibt es auch in der europäischen Vereinbarung keine Festlegung darauf, dass der Beistand militärisch erfolgen muss. Doch da die Staaten "alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung" bieten müssen, könnten zumindest größeren europäischen Mächte dieses Mittel nicht verweigern: Ein paar aufmunternde Solidaritätsbekundungen würden da nicht reichen.

Vorrang für Nato-Staaten

Als Einschränkung sieht Janik allerdings jenen Passus, der als Nato-First-Prinzip bekannt ist. Der EU-Vertrag verweist darauf, dass für die Mitglieder der Nato eben dieses Bündnis "das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung" sei. Im Fall eines gleichzeitigen Angriffs auf Österreich und – zum Beispiel – die Slowakei, hätte der Beistand für den Nato-Partner wohl Vorrang.

Darin sieht auch Heinz Gärtner den Haken in Nehammers Argumentation. Der Politologe ist alles andere als ein Fan eines Nato-Beitritts Österreichs, schon weil er die entsprechenden Angriffsszenarien für höchst hypothetisch hält. Doch im Zweifel wäre den europäischen Nato-Staaten die Verteidigung der Bündnispartner wichtiger als das Schicksal eines neutralen Staates. Viele andere bleiben dann nicht mehr übrig. 21 von 27 EU-Staaten sind Nato-Mitglied, darunter die Führungsmächte Frankreich und Deutschland.

Kein gemeinsames EU-Kommando

Entscheidender als rechtliche Garantien seien aber ohnehin die realen Möglichkeiten, urteilt Ex-Streitkräftekommandant Günter Höfler. Die europäische Beistandspflicht sei deshalb viel weniger wert, weil die EU im Gegensatz zur seit 1949 eingespielten Nato im Ernstfall daran scheitern werde, ihre Kräfte rasch zusammenzuführen: Er könne jede Menge Schnurren erzählen, wie bei EU-Missionen vieles bereits an untauglichen Kommunikationskanälen gelitten habe, "es gibt ja nicht einmal eine gemeinsame Kommandostruktur".

Ohne den mächtigen Nato-Partner USA an der Seite mangle es den Europäern an Möglichkeiten für Logistik und strategische Aufklärung, sagt Höfler, und in letzter Konsequenz fehle ein entscheidendes Mittel zur Abschreckung: "Der atomare Schutzschirm." (Gerald John, 14.3.2022)