Unlängst bei einem Abendessen. Schnell war man sich über die Weltlage einig ("Grauenvoll. Man hilft, wo man kann."). Die verheirateten Paare am Tisch waren sich genauso einig, was ihre langjährigen Hausgemeinschaften betraf ("Jede Ehe ist grässlich. Wer das Gegenteil behauptet, lügt!").
In Anbetracht dieser Umstände war es erfrischend, neben einem Bühnenbildner aus Paris zu sitzen. Nicht, weil er goldene Kreolen trug. Auch nicht wegen seines wild gemusterten Einstecktuches. Nein, der Mann brach – ziemlich überraschend – eine Lanze für den Körpergeruch.
Ursprünglich war es in unserer kleinen Diskussion, an der sich auch ein Architekt aus Frankfurt beteiligte, um Parfums gegangen. Doch unser Bühnenbildner hatte offensichtlich keine Lust, sich im Mainstream zwischen Dior und Chanel einzubringen. Und so knallte er seine Duftpassion auf den Tisch: "Ich liebe es, im Sommer mit der U6 zu fahren und all die herrlichen Pheromone in mich aufzunehmen. Das ist purer Sex."
Immer der Nase nach
Für mich als Reinlichkeitsfanatikerin war dieses Statement überraschend. Hatten wir uns im postindustriellen Zeitalter nicht darauf geeinigt, dass es Dinge gab, die es nicht geben durfte? Menschliche Schwächen, die es unter allen Umständen zu bezwingen galt? Mit Tonnen von Wasser, Seife, Deo und Shampoo?
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Immerhin war das Geruchsbekenntnis meines Tischherrn mal was Neues. Und irgendwie auch sehr französisch – denken wir nur an den Proust-Effekt: Jenes Duftgemisch aus Madeleines und Tee, das zur Initialzündung in Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit wird. Offensichtlich beschränken sich die Pariser Duftfantasien nicht nur auf Gebäck. Nirgendwo sonst würde man den Mut aufbringen, sich für Schweiß und andere Feuchtgebiete starkzumachen.
Schon unsere Eltern kannten den Spruch: Sex in Amerika bedeutet, dass sich beide vor dem Geschlechtsakt duschen und von Kopf bis Fuß mit Körpercreme einschmieren. Sex in Frankreich bedeutet, dass man all das auf keinen Fall tut. Also am liebsten Natur pur. Danach raucht man höchstens ein paar Zigaretten im zerwühlten Bett.
Liebe und Triebe
Gerüche wirken direkt auf das limbische System, jene Gehirnregion, die unsere Emotionen und Triebe steuert. Nicht umsonst besteht Schweiß auch aus Pheromonen, den sexuellen Lockstoffen.
Am Ende des Tages scheint es sowieso auf die Ernährung anzukommen. Unlängst behauptete eine japanische Freundin: In Asien gelten Menschen aus Europa und Amerika als "Butterstinker". Und zwar ganz egal, ob mit Deo oder nicht. (Ela Angerer, RONDO, 21.3.2022)