Ob das jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt ist? Schließlich riecht es im Prater in manchen Waldecken schon nach Bärlauch. Und eine der Damen der Laufgruppe eines Yogastudios wollte letzten Samstag partout erst dann weiterlaufen, wenn sie "zumindest eine Handvoll" geerntet hätte: Frühling also.

Nicht nur beim Laufen: Auch und gerade auf dem (Renn-)Rad sind längst nicht mehr nur die ganz harten Hunde (und natürlich Hündinnen) draußen unterwegs.

Und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt soll hier eine Geschichte über Home-Workouts, Rollentrainer und Homecycling-Programme und die dazugehörigen Erwachsenenspielplätze, sogenannte Pain-Caves, aufpoppen?

Foto: Harald Fritz

Ja. Und das aus mehreren Gründen. Erstens wegen der aktuellen Dichte der derzeit positiv auf Corona getesteten Menschen in Quarantäne. Wer ohne Symptome daheim festsitzt, ist oft schon am zweiten Tag des Eingesperrtseins knapp vor dem Durchdrehen. Zweitens, weil man kein Weichei sein muss, um bei einstellig positiven Temperaturen noch keine Lust zu haben, sich auf dem Rad die Kante zu geben.

Drittens, weil an normalen Arbeitstagen das Zeitfenster, in dem man draußen eine schnelle, feine Frischluftrunde drehen könnte, mitunter doch ein bisserl eng ist – insbesondere, wenn man vorher und nachher noch quer durch die Stadt gurken müsste.

Foto: Christina S.

Viertens, weil die Lieferkettenproblematik bei allem, was mit Fahrrädern zu tun hat, derzeit dazu führen kann, dass ein für November zugesichertes Spielzeug erst Ende Februar ankommt. Obwohl, wie mir ein befreundeter Fahrradhändler schenkelklopfend schrieb, das gleiche Teil bei ihm auf Lager und jederzeit abholbar gewesen wäre. (Dafür sind bei ihm bestimmte Ersatzteile, Radgrößen oder Wunschbikes mittelfristig nicht lieferbar. Andere Geschichte. )

Und mich im gleichen Atemzug fragte, ob ich sicher sei, dass ich ein High-End-Zimmerfahrrad wie diesen 3.500-Euro-Boliden überhaupt brauche: Bis dato sei ich mit meinem auf einen "smarten" Rollentrainer montierten Rad ja auch gut ins Schwitzen gekommen.

Foto: Tom Rottenberg

Aber diese Diskussion führt ins Leere: Niemand "braucht" so ein High-End-Trainingsrad. Nur gilt das auch für die Rollentrainer, auf die man das eigene Rennrad schnallt, um computergenerierte Trainingsprogramme, egal ob in virtuellen Radwettkampflandschaften oder tatsächlich allein, abzuspulen. Denn ins Schwitzen kommt man auch mit der billigsten konventionellen "Walze". Oder auf jenem "Hometrainer", den die Jetitant’ vor 30 Jahren im Teleshop gekauft hat und der seit 29 Jahren und 11,5 Monaten nur als Wäschetrockner dient:

Ums "Brauchen" geht es keine Sekunde – ums "Wollen" umso mehr.

Foto: Tom Rottenberg

Und ums Können. Im Sinne von "etwas damit tun können": Tacx, Wahoo, Elite und Co – um nur die bekannteren Rollentrainerhersteller zu nennen – begannen nicht erst vor zweieinhalb Jahren, ihre Produkte unters Volk zu bringen. Auch Zwift und andere Online-Bikeplattformen gab es schon vor Corona.

Aber Covid und die die Pandemie begleitenden Lockdowns ließen das Geschäft mit dem Hometraining weltweit explodieren. Alle Hardwarehersteller hatten ab Frühjahr 2020 massive Lieferprobleme – um es dezent zu formulieren. Was sonst in einem Jahr, tatsächlich meist erst ab dem Spätherbst, verkauft wurde, war im sonst eigentlich "toten" Frühjahr schon vergriffen. Von Low- bis Hightech: Die Verkaufszahlen korrespondierten national mit den Lockdowns und lokal mit der Ausbreitung der Infektionen.

Foto: Tom Rottenberg

Parallel dazu gingen auch die Abonnentenzahlen von virtuellen Radtrainingsrevieren wie Zwift oder Roubaix durch die Decke: Auch wenn man bei Zwift durch die Avatare anderer, zeitgleich in die Pedale tretender AthletInnen einfach durchfahren kann, ist das Gedränge hier oft atemberaubend.

Natürlich liegt das auch daran, dass in "Watopia" und den anderen Zwift-Welten Menschen aus allen Zeitzonen gleichzeitig unterwegs sind.

Aber nicht nur: Dieses Bild hier wurde um halb sechs Uhr morgens (Wiener Zeit) gemacht. In dem Pulk, mit dem ich da mitflog, waren gut 40 Fahrerinnen und Fahrer unterwegs. Auch wenn einer oder zwei in China strampelten, waren die meisten doch in der gleichen Zeitzone wie ich unterwegs.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich ist das "dings". Aber na und?

Darüber hinaus erklärt es aber auch, wieso es nicht ausschließlich dem Weicheimodus geschuldet ist, wenn Menschen, die eigentlich lieber draußen unterwegs wären, auch ohne Lockdown, Absonderungsbescheid, Quarantäne oder Blizzard, Sandsturm oder Monsun, drinnen aufs Rad steigen. Wer um acht Uhr in der Klasse, wer um neun im Büro oder im Geschäft antreten muss, hat wochentags kaum eine andere Chance für strukturierte Trainingseinheiten. Schon gar nicht, wenn er oder sie nach dem Job noch ein soziales Leben leben will. Oder Kinder hat.

Foto: Tom Rottenberg

Corona hat da viel verändert – und eben auch möglich gemacht: Jahrzehntelang fragte ich mich, ob es irgendjemanden auf der Welt geben könnte, der bei TV-Skigymnastik-Sendungen mithopste. Ob sich bei den Radio-Trimm-Einheiten der legendären Ilse Buck tatsächlich Menschen bewegten. Ob Jane Fondas Aerobic-Videos zu mehr als zu Frisuren- und Mode-Inspirationen dienten.

Heute weiß ich aber, dass Philipp Jelineks "Fit mit Philipp" tatsächlich tausende Menschen mit "linearem" Fernsehkonsumverhalten aktiviert. Manche sogar nachhaltig. Das ist super.

Foto: Katja B.

Ich weiß aber auch, dass es für mich persönlich kaum eine trostlosere Art Yoga zu machen gibt als vor dem Laptop daheim – egal ob live oder aufgezeichnet. Und egal wie gut die Lehrerin oder der Lehrer ist: Mir fehlen die Menschen, die Energie, der Raum.

Doch was war, was wäre die Alternative? Wenn Studios geschlossen sind oder ich nicht raus darf, wenn die Zeit knapp ist oder wenn meine Lieblingsyogalehrerin mit ihrem Surfer-Freund für ein halbes Jahr vor dem Winter nach Südafrika geflohen ist und vom Strandpavillon aus unterrichtet, nehme ich Online-Stunden auch jetzt noch mit Handkuss. Und weiß: Vor Corona wäre all das nicht möglich gewesen.

Foto: Tom Rottenberg

Das gilt aber auch für ganz "normale" Workouts ohne jeden Anspruch, hip oder fancy zu sein: Wie oft es in meinem Verein (aber auch anderswo) Anläufe gab, ein regelmäßiges gemeinsames Stabi-, Kraft- oder Sonst-was-Training auf die Beine zu stellen, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Doch obwohl jeder und jede von uns weiß, dass Core-Training, Dehnen und Co bei jeder Form von Sport die halbe Miete sind, schliefen diese Kurse nach ein paar Wochen oder Monaten mangels Beteiligung meist wieder ein.

Seit dem ersten Lockdown "treffen" wir einander aber jeden Montag online. Das funktioniert prächtig. Niemand denkt daran, das Ganze in irgendeine Turnhalle zu transferieren. Das wäre sinnlos – obwohl genau die gleichen Leute weder Zeit noch Weg scheuen, wenn es um Lauf- oder Schwimmeinheiten geht.

Foto: Tom Rottenberg

Außerdem – und damit wären wir wieder bei den aktuellen Infektionszahlen – müsste zumindest das Stabi-Training am Montag derzeit ausfallen. Michael, unser Stabi-Trainer, ist derzeit positiv getestet. Symptomfrei zwar, aber eben doch.

Das ist wesentlich: Wer krank ist – und sei es nur ein bisserl – gibt Ruhe. Punkt.

Aber wer "nur" den falschen Ct-Wert hat, bleibt aus Gründen, über die zu diskutieren müßig ist, trotzdem daheim – und improvisiert so gut es geht gegen den Lagerkoller. Zur Not kann ein Theraband um die Hüften dann sogar das Lauftraining ersetzen. Okay, nicht wirklich, aber ein bisserl.

Foto: Michael R.

Andere stellen sich stattdessen ein Laufband in die Wohnung – und rennen dort ihre Einheiten. Zu jeder Tages- oder Nachtzeit – und auch bei jedem Wetter. Entweder mit Blick aus dem Fenster oder auf den Bildschirm – oder aber gemeinsam mit tausenden anderen in den virtuellen Welten von "Watopia": Zwift gibt es längst auch für Läuferinnen und Läufer. Für mich wäre das nix – aber wenn ich dort auf dem Rad unterwegs bin, treffe ich immer wieder Avatare, deren Begleitmenschen ich auch in der Echtwelt kenne.

Ach ja: Sollten Sie sich die Anschaffung eines Laufbands überlegen, checken Sie sicherheitshalber ihren Fußboden. Nicht wegen der Statik, sondern der Nachbarn darunter. Altbaudecken sind oft "böse" Resonanzkörper.

Foto: Christoph B.

Früher, in den Zeiten vor Corona, lautete einer der zentralen Trimmwerkzeugbewerbungssätze im Teleshop oder sonst wo stets, dass man das hier beworbene Graffelwerk in Windeseile klein zusammenlegen und "unter dem Bett verstauen" könne.

Tatsächlich hatte ich irgendwann auch eine Statistik in den Händen, derzufolge die durchschnittlich Zeitspanne zwischen dem Kauf von Fitnessgeräten für daheim und deren Umfunktionieren zu Wäschetrocknern oder Kleiderständern selten mehr als drei Monate betrug.

Foto: Katharina P.

Heute ist das anders. Zumindest in meiner Welt werden die Teile tatsächlich für das verwendet, wofür sie gedacht sind – und die Frage, wohin sie verräumt werden können, stellt sich nicht. So wie das Training, wie Sport fixer Bestandteil des Alltages ist, sind sie fixe Bestandteile des Wohn- oder Lebensraums.

Es käme ja auch niemand auf die Idee, das Sofa nach dem Fernsehabend aus dem Wohnzimmer zu schieben oder den Esstisch nach dem Essen zu zerlegen und vor dem Aufdecken dann wieder zusammenzubauen: Wieso also sollten Trainingsutensilien, die eh ständig verwendet werden, verschwinden? Wer genug Platz hat, "pimpt" dann seinen oder ihren Trainingsbereich – und ist stolz darauf: Längst laden diverse Plattformen immer wieder dazu ein, Bilder des eigenen "Pain-Cave" ins Netz zu stellen.

Foto: Andi M.

Ja eh, "dings" ist das schon.

Zumindest aus der Sicht von Außenstehenden. Die findet man mitunter sogar im eigenen Haushalt.

Daran erinnerte mich ein Vereinskumpel, der mir – so wie einige andere – Bilder zur Illustration dieser Geschichte schickte. "Danke für eure Fotos", schrieb er, "jedes einzelne werde ich meiner Frau zeigen! Die glaubt nämlich, ich sei der einzige Freak, der das Klump in der Wohnung herumliegen hat."

Freilich: Sobald sie – hoffentlich symptomlos – einen Absonderungsbescheid hat, wird auch sie das "Klump" zu schätzen wissen.

Ja, auch wenn draußen schon Frühling ist. (Tom Rottenberg, 15.3.2022)


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