Juristin Theresa Kamp berichtet im Gastblog über ein klassisches Streitthema bei getrennten Elternteilen.

Obsorge und Kontaktrecht – diese Begriffe sind umrankt von Mythen, Halbwissen und Missverständnissen. Immer wieder heißt es, als Mann habe man (rechtlich) bei den Kindern nichts zu melden, das Sorgerecht bekomme immer nur die Mutter. Die Praxis zeigt allerdings, dass das nicht richtig ist. Außerdem ist es so, dass die Obsorge nicht dafür entscheidend ist, wie oft die Kinder nach einer Trennung einen Elternteil sehen. Oftmals werden die Begriffe Obsorge und Kontaktrecht vermischt oder synonym verwendet. Das führt zu Verwirrung, weil das rechtlich betrachtet völlig unterschiedliche Dinge sind. In den erbittertsten Streitigkeiten geht es oftmals gar nicht wirklich um die Obsorge, sondern vielmehr darum, wer an welchen Tagen und wie oft die Kinder sehen kann.

Obsorge, eine rechtliche Bestandsaufnahme

Was bedeutet Obsorge eigentlich? Vereinfacht ausgedrückt meint der Begriff Obsorge die elterlichen Pflichten gegenüber den Kindern. Sie umfasst einerseits die Pflege und Erziehung des Kindes, aber auch die gesetzliche Vertretung und die Vermögensverwaltung. Sind die Eltern verheiratet, kommt die Obsorge automatisch beiden Elternteilen zu. Ist die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes ledig, ist sie grundsätzlich allein obsorgeberechtigt. Die Eltern können aber einvernehmlich und relativ unbürokratisch die gemeinsame Obsorge am Standesamt festlegen.

Gibt es keine Einigung zwischen den unverheirateten Eltern, kann der Vater beim zuständigen Bezirksgericht einen Antrag auf (gemeinsame) Obsorge stellen. Häufig ist nicht bekannt, dass seit 2013 die gemeinsame Obsorge den Regelfall darstellen soll und dass das Gericht auch gegen den Willen eines Elternteils eine Obsorgeentscheidung treffen kann. In den meisten Fällen wird ein Antrag des Vaters auf eine Beteiligung der Obsorge daher über kurz oder lang erfolgreich sein. Notwendig dafür ist zumindest ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft der Eltern. Es muss in irgendeiner Form ein Informationsaustausch stattfinden können. Haben Eltern gar keine Kommunikationsbasis oder gibt es zum Beispiel gewalttätiges Verhalten gegenüber dem anderen Elternteil oder den Kindern, kann das eine gemeinsame Obsorge im Hinblick auf das Kindeswohl verunmöglichen.

Manchmal wird befürchtet, bei gemeinsamer Obsorge allein quasi nichts mehr entscheiden zu dürfen oder allein nicht mehr handlungsfähig zu sein. Dem ist aber nicht so. Es gibt zwar bei gemeinsamer Obsorge das Einvernehmlichkeitsgebot, das bedeutet, dass sich die Eltern bei wichtigen Angelegenheiten im Leben der Kinder grundsätzlich absprechen sollten. Dennoch kann aber jeder Elternteil das Kind nach außen allein vertreten. Möchte man beispielsweise das Kind in einer Schule anmelden oder möchte man mit dem Kind zum Arzt, zur Ärztin gehen, muss man dort nicht die Zustimmung des anderen Elternteils nachweisen. Jeder Elternteil ist somit nach außen voll vertretungsbefugt. Nur besonders wichtige Themen, wie beispielsweise Namensänderung, Wechsel des Religionsbekenntnisses oder der Staatsangehörigkeit bedürfen der Zustimmung beider Elternteile.

Väter können auch ohne Zustimmung der Mutter die gemeinsame Obsorge bei Gericht beantragen.
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Was ist das Kontaktrecht?

Früher auch Besuchsrecht genannt, ist das Kontaktrecht das Recht des Elternteils, der mit dem Kind nicht zusammenlebt, auf persönlichen Umgang mit dem Kind. Es ist auch ein Recht des Kindes. Der Begriff "Besuchsrecht" hat unter anderem deshalb ausgedient, weil man den Elternteil, der eben nicht mit dem Kind zusammenwohnt, auch sprachlich nicht in die Rolle eines gelegentlichen Besuchers drängen wollte. Das Kontaktrecht soll nicht nur in der Freizeit des Kindes stattfinden. Im besten Fall gibt es also nicht einen Elternteil, der immer nur am Samstagnachmittag Eis essen geht und lediglich vergnügliche Aktivitäten mit den Kindern erlebt und den anderen Elternteil, der immer die Schulaufgaben kontrolliert. Es sollte, wenn möglich, sowohl dem Kind als auch dem Elternteil ermöglichen, einen Alltag zusammen zu erleben. Was häufig nicht bekannt ist: Die Eltern müssen Kontakt zum anderen Elternteil nicht nur zulassen. Vielmehr haben sie sogar die Pflicht, die Kinder positiv auf Kontakte zum anderen Elternteil einzustimmen und müssen alles unterlassen, was die Eltern-Kind-Beziehung stören kann.

Um das Kontaktrecht gibt es leider immer wieder erbitterte und im schlimmsten Fall jahrelange Streitigkeiten. Im besten Fall gelingt es, dass die Eltern einvernehmlich absprechen können, wer das Kind oder die Kinder wann und in welchem Umfang betreut. Im Streitfall wird von Gerichten das Kindeswohl in den Mittelpunkt gerückt. Neben dem Alter des Kindes und dessen Bedürfnissen kommt es vor Gericht auch darauf an, wer sich bisher in welchem Ausmaß um die Kinder gekümmert hat. Die Debatte und der Streit ums Kind wird häufig durch diese Faustregel befeuert: Je mehr Kontakt zum Kind, desto weniger Unterhalt muss bezahlt werden. Teilweise werfen die Eltern einander daher vor, nur mehr Kontakt zu wollen, um weniger Unterhalt zahlen zu müssen. Oder umgekehrt – man würde nur mehr Kontakt verhindern wollen, um weiter Unterhalt lukrieren zu können.

Ausblick

Im Sinne einer Elternschaft auf Augenhöhe ist es im Normalfall von Vorteil, wenn beide Eltern an der Obsorge beteiligt sind. Auch wenn die Obsorge und die Beteiligung daran im Alltag in Wahrheit nicht oft spürbar sind, ist es allein stimmungsmäßig ein Unterschied, ob man obsorgeberechtigt ist oder nicht. Rechte und Pflichten gehen allerdings Hand in Hand und eine Beteiligung an der Obsorge sollte auch in einer Übernahme von tatsächlicher Verantwortung und Betreuungs- und Sorgeleistung resultieren. Wenn die Kommunikationsbasis allerdings schwerwiegend und nachhaltig zerstört ist und ein Elternteil den anderen aus Prinzip torpediert, wo es nur geht, kann die gemeinsame Obsorge zum Problem werden und auf Kosten der Kinder und aller Beteiligten gehen.

Aktuell arbeitet das Bundesministerium für Justiz an einer Reform im Bereich des Kindschaftsrechts. Ziel soll ein neues Konzept zur elterlichen Verantwortung sein, bei dem jeder Elternteil einen substanziellen Beitrag leistet. Angedacht ist es beispielsweise, die Möglichkeit einer Doppelresidenz auch gesetzlich vorzusehen. Details sind allerdings noch keine bekannt. Frauenrechtsorganisationen stehen der Reform kritisch gegenüber und befürchten sinngemäß eine automatische gemeinsame Obsorge, die Frauen benachteiligen würde. Gemeinsame elterliche Verantwortung klingt in einem ersten Schritt gut. Wie diese Verantwortung dann auch eingefordert werden kann, bleibt abzuwarten. (Theresa Kamp, 17.3.2022)