Screenshot aus einem Präsentationsfilm von Ingas. Die Anlagen des Unternehmens befinden sich im Osten der unter starkem russischem Beschuss stehenden Stadt Mariupol.

Foto: Ingas

Der russische Angriff auf die Ukraine ist zwar territorial begrenzt, hat aber spürbare wirtschaftliche Folgen weltweit. Nicht nur spielen russisches Öl und Gas in einigen europäischen Staaten eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung, Russland und die Ukraine sind auch wichtige Exporteure landwirtschaftlicher Produkte wie Weizen.

Aber auch die seit über einem Jahr andauernde Chipkrise könnte durch den Krieg verschärft werden. Denn in der Ukraine sitzen zwei Unternehmen, die eine sehr bedeutende Rolle bei der Produktion von Edelgasen einnehmen, die für die Fertigung von Halbleitern benötigt werden. Es sind dies Cryoin aus dem südwestukrainischen Odessa und Ingas aus dem südöstlich gelegenen Mariupol. Diese haben nun vorübergehend den Betrieb eingestellt. Beide Städte sind von schweren Angriffe der russischen Armee bedroht. Insbesondere die dramatische humanitäre Lage in Mariupol ist dieser Tage immer wieder in den Schlagzeilen.

Gas für die Hightech-Industrie

Bei den Ausfällen geht es vor allem um Neon. Ingas und Cryoin liefern gemeinsam rund die Hälfte des weltweiten Kontingents an industrietauglichem Neon. Größere Mengen kommen auch von chinesischen Erzeugern, die allerdings preislich im Hintertreffen sind. Infolge des steigenden Bedarfs schnellte auch der Preis von Neon in den vergangenen Monaten in die Höhe – zwischen Dezember und Februar vervierfachte er sich teilweise.

Neon ist ein Edelgas, das in geringer Konzentration (etwa 0,0018 Prozent) in der Luft vorkommt. Es ist ein inertes Gas, zeichnet sich also durch sehr geringe chemische Reaktionsfreudigkeit aus. Zum Einsatz kommt es in verschiedensten Bereichen – von Leuchtreklame über die Kühlung von Infrarot-Bildsensoren im Weltall bis hin zur Produktion von Gütern wie OLED-Panels und Halbleitern.

Hergestellt wird es durch die Verwertung gasförmiger "Nebenprodukte", bestehend vorwiegend aus Helium und Neon, die bei der Gewinnung von Sauerstoff aus der Luft gefiltert werden. Im Fall der ukrainischen Neonproduktion stammen diese Nebenprodukte meist von Unternehmen, die Sauerstoff an russische Stahlwerke liefern. In den Anlagen von Ingas und Cryoin werden sie aufgetrennt und gereinigt. Für den industriellen Einsatz muss der Reinheitsgrad von etwa 40 auf nahezu 100 Prozent angehoben werden. Das Entfernen beinahe aller Fremdstoffe ist allerdings ein sehr energieaufwendiger und teurer Prozess.

Oft verwendet wird Neon für den Einsatz von Hochpräzisionslasern, unter anderem bei Augenoperationsverfahren wie Lasik, bei denen die Oberfläche der Hornhaut verformt wird, um Kurz- oder Weitsichtigkeit zu therapieren. Rund 70 Prozent des weltweit erzeugten hochreinen Neons fließen allerdings in die Herstellung von Halbleitern für Computerchips. Dort finden die sogenannten Excimer-Laser im Rahmen der Fotolithografie Verwendung. Es handelt sich um einen Prozess, bei dem mithilfe einer lichtempfindlichen Lackschicht eine "Maske" für die zu realisierenden Schaltkreise auf das Substratmaterial (Wafer) – in der Regel Silizium – aufgebracht wird.

Ein englischsprachiges Erklärvideo zur Herstellung und Bedeutung von hochreinem Neon für die Chipindustrie.
Asianometry

Bei der Halbleiterherstellung kommen Laser zum Einsatz, die ein Gasgemisch aus Argon, Fluorid und Neon nutzen, wobei Neon mit mehr als 95 Prozent den Großteil ausmacht. Das Gemisch sitzt in einer Kammer, in der mittels Ionisierung Argon und Fluorid vorübergehend miteinander zu Argonfluorid verbunden werden.

Wenn sich die beiden Gase wieder trennen, entsteht starke Strahlung im ultravioletten Bereich, die mithilfe von Spiegeln gebündelt und auf den Wafer geleitet wird. Das inerte Neongas dient dazu, die Reaktion zwischen Argon und Fluorid zu optimieren. Mit der Zeit reichert es sich dabei mit Unreinheiten an, die seine Eigenschaften beeinträchtigen. Daher muss es regelmäßig ersetzt werden.

Schon nach der russischen Annexion der Krim und der Besetzung des Donbass durch prorussische Separatisten 2014 reagierten Laserhersteller und Halbleiterproduzenten auf die resultierende Unsicherheit und Preissteigerungen. Sie optimierten das bestehende Verfahren, um weniger Gas zu nutzen, oder stiegen auf ältere Methoden um, die ebenfalls geringere Gasmengen verwenden. Zudem wird zunehmend auf Recycling gesetzt, bei dem das "verbrauchte" Gasgemisch aus den Kammern der Lasergeräte vor Ort extrahiert und gereinigt wird, um den den größten Teil des Neons zurückzugewinnen.

Trüber Ausblick

Der Wegfall des ukrainischen Neons wird den Preisdruck noch einmal erhöhen, mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Halbleiterhersteller. Taiwanische Fertiger wie TSMC haben laut dem taiwanischen Wirtschaftsministerium gut gefüllte Vorräte. Angaben darüber, wie lange diese reichen, wurden aber nicht gemacht. Intel, Global Foundries und Micron verwiesen auf Anfrage von Reuters darauf, dass sie sich mit einer Diversifizierung der Neonzulieferer abgesichert hätten. Schwierig wird es also zuerst für kleinere Fertiger, die keine umfangreichen Vorräte anlegen können und häufig auf einen Lieferanten angewiesen sind.

Spätestens wenn auch die Branchengrößen nicht mehr mit ihren Neonvorräten operieren können, ist mit einer weiteren Verknappung der Chipherstellungskapazitäten zu rechnen. Das, sowie gleichzeitig steigende Kosten für Energie und andere relevante Materialien wie Nickel, wird die Preise wieder nach oben drücken, nachdem die Lage sich durch den Ausbau von Fertigungskapazitäten zuletzt etwas entspannt hatte.

Wie lange der Krieg in der Ukraine andauern wird, ist ungewiss. Ob andere Edelgashersteller angesichts der volatilen Wirtschaftslage bereit sind, schnell in den Ausbau ihrer Produktion zu investieren, wird sich zeigen. Doch selbst das hätte keinen unmittelbaren Effekt, weil der Aufbau und die Inbetriebnahme entsprechender Anlagen und der notwendigen Logistik ein bis zwei Jahre dauern. (Georg Pichler, 16.3.22)