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Das Zusammenstellen eines Güterzugs soll künftig durch die Digitale Automatische Kupplung maßgeblich erleichtert werden. Modellierungen zur Interaktion von Fahrzeug und Fahrweg sollen Instandhaltung und Betrieb der Züge optimieren.

Foto: Getty Images / xijian

Einen Güterzug zusammenzustellen ist ein langer, arbeitsintensiver Prozess. Er besteht aus dem Rangieren von dutzenden Wagonen, die heute noch meist via Schraubenkupplungen per Hand verbunden werden müssen, gefolgt von einer rigorosen Kontrolle der Abfahrtsbereitschaft. Bei den bis zu 740 Meter langen Zügen gegen jedes Rad zu klopfen, um zu überprüfen, ob alle Bremsen gelöst sind, kann schon einige Stunden dauern. Dazu kommen Verwaltungstätigkeiten – die reale, überprüfte Wagonfolge muss natürlich in Aufzeichnungen entsprechend abgebildet sein.

Hat man diese Prozedur vor Augen, werden die Erleichterungen, die die sogenannte Digitale Automatische Kupplung (DAK) für den Bahngüterverkehr bringen wird, klar. Bei der Technologie, die bis 2030 auch in Österreich implementiert sein soll, werden die Güterwagone samt ihren Elektrizitäts-, Daten- und Druckluftleitungen automatisch und weitgehend ohne manuelle Tätigkeiten verbunden.

Die Züge werden dank des neuen Standards, an dessen Entwicklung und europäischer Vereinheitlichung bereits seit Jahren gearbeitet wird, nicht nur schneller zusammengestellt. Die Fähigkeit zum Datenaustausch lässt einen breiten Einsatz von Sensorik zur Überwachung von Wagonen und Fracht zu. Der Bahngüterverkehr kann digital optimiert, beschleunigt und konkurrenzfähiger gemacht werden. Der fertig gekoppelte Zug wird dann wohl nur noch am Laptop kontrolliert und abfahrtsbereit gemacht.

Neues Kupplungssystem

Doch das neue Kupplungssystem ist nicht der einzige Schauplatz, an dem bei der Digitalisierung des Bahngüterverkehrs gearbeitet wird. Am Forschungszentrum Virtual Vehicle in Graz, wo man sich bereits seit etwa 15 Jahren mit Digitalisierungskonzepten rund um den Bahntransport beschäftigt, betonen Forschende die Wichtigkeit eines ganzheitlichen und umfassenden Ansatzes eines datengetriebenen Managements der Bahninfrastrukturen. Für Peter Perstel und Filip Kitanoski vom Department Rail Systems des Forschungsunternehmens beginnt die Optimierung bei den "Wechselwirkungen zwischen Wagonen, Schienen und der Umwelt".

Demzufolge gilt es nicht nur, die Züge selbst sukzessive mit smarter Technik auszustatten, sondern auch Zustand und Verhalten der – zum Teil sehr altgedienten – Infrastrukturkomponenten mit den Mitteln der Digitalisierung zu untersuchen und zu überwachen. "Unsere Modellierungen der physikalischen Gegebenheiten in diesem Bereich werden zur Grundlage einer vorausschauenden Instandhaltung sowie einer nachhaltigeren Nutzung der Anlagen", betont Department-Leiter Kitanoski.

Simulationen

Für die Entwicklung ihrer Modelle sammeln die Forschenden Daten aus dem laufenden Betrieb der Güterzüge. Sie werden durch Telematik-Einheiten und Sensoren am Drehgestell, Rahmen oder Wagenkasten der Fahrzeuge oder anhand von Lasermesssystemen entlang von Bahnstrecken erhoben.

Bei Virtual Vehicle wurde ein eigenes modulares Sensorsystem entwickelt, das sich an verschiedene Anwendungsfälle anpassen lässt. Die Daten werden zudem mit Nutzungsdaten der vermessenen Wagone – etwa Informationen über befahrene Strecken oder transportierte Tonnagen – in Verbindung gebracht.

Die Datensätze werden zu Eingangsdaten für Simulationen, die mithilfe von physikalischen Modellen und weiteren Methoden versuchen, Fragestellungen über den Zustand von Fahrzeugs- und Fahrwegskomponenten über zigtausende gefahrene Kilometer hinweg abzubilden. "Unzählige Aspekte, die im Zusammenhang mit der Fahrzeug-Fahrweg-Interaktion oder einzelnen Komponenten stehen, spielen hier eine Rolle. Sie lassen die Simulationsaufgabe extrem komplex werden", betont Perstel, der die Geschäftsentwicklung im Bereich Rail Systems bei Virtual Vehicle leitet.

Betriebsoptimierungen

"Anhand der Simulationen können dann etwa Fragen beantwortet werden, die den Verschleiß unter bestimmten Nutzungsbedingungen betreffen – beispielsweise Spurkranzveränderungen, Abflachungen oder Rissbildungen an den Rädern." Nicht nur Instandhaltungsmaßnahmen, sondern auch Betriebsoptimierungen lassen sich ableiten.

"Wir konzentrieren uns auf die virtuelle Bewertung von Schienenfahrzeugen und Infrastrukturkomponenten im Kontext des Gesamtsystems", resümiert Perstel. "Kennt man den Zustand der Wagone, kann man sie gezielter einsetzen. Strecken, Tonnage und Einsatzhäufigkeit können bewusst gewählt werden, um etwa die Einsatzdauer zu erhöhen."

Die Forschungen sollen letztendlich zu einem Bahnsystem beitragen, das den eigenen Zustand "mitdenkt". Diese virtuelle Verdoppelung des Betriebsablaufs, die oft mit dem Schlagwort eines "digitalen Zwillings" veranschaulicht wird, ist ein Kernkonzept der Digitalisierung.

Anders als bei der Automatisierung von Produktionsanlagen im Rahmen der Industrie 4.0 muss man beim Bahnverkehr aber mit der enormen Größe und weitläufigen Verteilung der Anlagen zurechtkommen – eine Mammutaufgabe, für die auch die Grazer Modellierungen oder selbst Technologiestandards wie die Digitale Automatische Kupplung nur Puzzlesteine sind. Letztendlich sorgt der hohe Automatisierungsgrad der Bahn aber für jene Flexibilität und Konkurrenzfähigkeit, die für den nachhaltigen Güterverkehr der Zukunft notwendig sind. (Alois Pumhösel, 16.3.2022)