Die Verhandlungen zwischen ukrainischen und russischen Delegationen fanden zunächst in Belarus, mittlerweile per Videokonferenz statt.

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Auch am 20. Tag der russischen Invasion bleibt die militärische Lage für die Ukraine kompliziert. Vor allem im Süden des Landes sieht es für die ukrainische Armee schwierig aus. So behauptete das russische Verteidigungsministerium am Dienstag, den gesamten südlichen Regierungsbezirk Cherson unter Kontrolle gebracht zu haben. Unabhängige Bestätigungen dessen gibt es nicht. Im Donbass deutet aber allein die unklare Kommunikationspolitik Kiews darauf hin, dass die Situation nicht erfreulich ist.

In anderen strategisch wichtigen Regionen kommt die russische Armee dagegen kaum voran – und konzentriert sich auf oft scheinbar zufällige Beschüsse. In Kiew und Umgebung wird zwischen 20 Uhr am 15. März und 7 Uhr am 17. März eine lange Ausgangssperre gelten, dabei ist aber unklar, ob diese mit einem geplanten russischen Angriff auf die Hauptstadt oder mit einem Einkreisungsversuch zu tun haben könnte. Bei einer ähnlichen Ausgangssperre zuvor spielte die Angst vor Saboteurgruppen die wichtigste Rolle. Für die unmittelbare Einkreisung scheint die Ausgangslage selbst in den umkämpften westlichen und östlichen Vororten von Kiew nicht ausreichend zu sein.

Insgesamt mehren sich die vorsichtig optimistischen Stimmen aus der Ukraine mit Blick auf den Verhandlungsprozess mit Russland, der am Mittwoch via Videokonferenz weitergehen sollte. Als vorübergehendes Ziel dieser komplizierten Verhandlungen formuliert Kiew ein direktes Treffen von Präsident Wolodymyr Selenskyj, der zuletzt von Fortschritten sprach, mit Kreml-Chef Wladimir Putin. Laut Mychajlo Podoljak, dem prominenten Mitglied der ukrainischen Verhandlungsdelegation, sind die Forderungen der russischen Seite nicht mehr ultimativ – sie habe gar begonnen, "konstruktiv zu verhandeln". Er sprach nach der Gesprächsrunde am Dienstag von "grundlegenden Widersprüchen", aber auch von "Raum für Kompromisse". Olexij Arestowytsch, einer der wichtigsten Militärsprecher der Ukraine, hofft auf einen Friedensvertrag spätestens Anfang Mai.

Offenbar wenige Reserven

Ob diese Aussagen ernst gemeint oder lediglich Taktik sind, ist im Moment schwer einzuschätzen. Klar ist, dass die Verhandlungen noch lange dauern dürften. Gleichzeitig war von westlichen Militärexperten zuletzt öfter zu hören, dass Russland nur noch wenige Reserven hat, auf die der Kreml sich in der Ukraine verlassen könnte. Ob das so ist oder nicht: Unter den aktuellen Umständen sieht die gesamte Ausgangslage für Kiew jedenfalls nicht so schlecht aus. Zwar bleibt der militärische Sieg über die russische Armee unwahrscheinlich. Je länger die Ukraine durchhält und den Gegner eventuell mit der Zeit sogar an einigen Orten zurückdrängt, desto besser ist aber die Verhandlungsgrundlage für Kiew.

Die von Russland angesprochenen Forderungen einer sogenannten Entmilitarisierung und Entnazifizierung dürften in der Form nicht ganz ernst gemeint sein. Zudem könnte Moskau theoretisch immer behaupten, mit seinen militärischen Aktivitäten, etwa der Zerstörung der militärischen Infrastruktur, diese Ziele schon erreicht zu haben. Auch wird die Ukraine niemals der Anerkennung der annektierten Krim als russisch oder der sogenannten Separatistenrepubliken im Donbass als unabhängig zustimmen.

Alles andere, vor allem die militärische Neutralität der Ukraine, die von Anfang des Krieges an im Spiel war, könnte zumindest diskutiert werden. So bezeichnete der präsidentennahe ukrainische Politologe Wolodymyr Fessenko die Nato zuletzt sogar als "schwache Garantie der Sicherheit". Die Ukraine bräuchte allerdings auch vom unzuverlässigen Partner Russland viel bessere Sicherheitsgarantien als den russisch-ukrainischen Freundschaftsvertrag von 1997 oder das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland eigentlich die Souveränität bzw. das Respektieren der bestehenden Grenzen der Ukraine anerkannte.

Suche nach Kompromissen

Die für die Ukraine weniger akzeptablen, schmerzhaften Forderungen nach einem Stationierungsverbot für einige Waffentypen sowie dem faktischen Verlassen der gesamten Regierungsbezirke Donezk und Luhansk ohne Anerkennung wären je nach militärischer Lage auf dem Tisch. Klar ist aber, dass die Maximalforderungen Russlands nicht durchsetzbar sind – und sie werden es auch künftig nicht sein.

Daher müsste Moskau bei einem andauernden Krieg auch selbst nach Kompromissen suchen – eigentlich. Denn Russlands Präsident heißt Wladimir Putin – und genau seine mangelnde Rationalität macht das Endszenario des Krieges so unberechenbar. (Denis Trubetskoy aus dem Oblast Schytomyr, 15.3.2022)