Als erste ausländische Regierungschefs seit Kriegsbeginn vor fast drei Wochen haben sich die Ministerpräsidenten Tschechiens, Polens und Sloweniens auf die riskante Reise in die von russischen Truppen bedrohte ukrainische Hauptstadt Kiew begeben. Petr Fiala und seine Amtskollegen aus Polen, Mateusz Morawiecki, und Slowenien, Janez Janša, wollten dort "die einmütige Unterstützung der Europäischen Union für die Ukraine und ihre Freiheit und Unabhängigkeit äußern" und ein "Paket umfassender Unterstützung" für die Ukraine und ihre Bevölkerung vorstellen, wie Fiala vor der – unter strengster Geheimhaltung geplanten – Zugreise erklärte.

Regierungsspitzen im Zug nach Kiew: Janez Janša (Slowenien, links), Mateusz Morawiecki und Jarosław Kaczyński (Polen, Mitte) und Petr Fiala (Tschechien, rechts).
Foto: EPA/TWITTER/@MorawieckiM / HANDOUT POLAND

Ein Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel bestätigte, dass er und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Rande des EU-Gipfels in Versailles am Wochenende über den Besuch informiert worden seien. Detail am Rande: Neben den drei Regierungschefs reiste auch Polens starker Mann, PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński, mit nach Kiew.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlichte am späten Dienstagabend auf Telegram jedenfalls ein Video vom Treffen in einem fensterlosen Raum. "Ihr Besuch in Kiew in dieser für die Ukraine schwierigen Zeit ist ein starkes Zeichen der Unterstützung", sagte Selenskyj. "Wir wissen das wirklich zu schätzen". Zu sehen waren auf dem Video auch viele Journalisten, die vor dem Verhandlungsraum warten.

Kaczynski, der auch mit dabei ist, forderte spätnachts bei einem Pressestatement, das im polnischen TV übertragen wurde, eine internationale Friedensmission: "Ich glaube es ist notwendig eine Friedensmission zu haben – von der Nato oder noch größerem internationalen Format, aber auf jeden Fall eine, die sich selber verteidigen kann und auf ukrainischem Territorium operiert", so der Vize-Premier.

Wohnblocks angegriffen

Aufgrund der höchst angespannten Sicherheitslage in Kiew habe man auch die USA sowie die Nato vorab über die Reise informiert. Erst Dienstagfrüh waren in der Hauptstadt insgesamt vier Wohnblocks angegriffen worden. Dabei seien mindestens vier Menschen getötet worden, hieß es vom Zivilschutz.

Ein unscharfes erstes Foto des Treffens.
Foto: TELEGRAM/V_Zelenskiy_official / HANDOUT

Der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko hat wegen der fortwährenden Raketenangriffe eine 35-stündige Ausgangssperre über die Hauptstadt verhängt. Von Dienstag, 20 Uhr (Ortszeit) bis Donnerstag, 7 Uhr darf sein oder ihr Wohnhaus nur verlassen, wer Schutz in Bunkern suchen muss. "Deshalb rufe ich alle Kiewer auf, sich darauf vorzubereiten, dass sie zwei Tage lang zu Hause oder im Falle eines Alarms im Schutzraum bleiben müssen", schrieb der Ex-Boxchampion auf Telegram. Er sprach von einem "schwierigen und gefährlichen Moment". Aus einem Kiewer Vorort wurde am Dienstag der Tod eines Kameramanns und einer Journalistin des US-Senders Fox News gemeldet.

Seit Tagen rechnen ukrainische Behörden mit einem Sturm der russischen Truppen auf Kiew, die Raketenangriffe wurden zuletzt intensiver. Auch in anderen Teilen des Landes warnten Sirenen am Dienstag vor Luftangriffen, so in Odessa im Süden und Tschernihiw im Norden. Die Region Cherson nahe der Krim befindet sich laut russischen Angaben vollständig unter der Kontrolle der Invasoren. In der strategisch wichtigen Stadt Mykolajiw zwischen Odessa und Cherson wurden nach Angaben des Gouverneurs die russischen Truppen hingegen zurückgedrängt.

Aus der belagerten Hafenstadt Mariupol im Südosten des Landes dringen derweil apokalyptische Berichte und Bilder durch. Die Menschen, die dort seit zwei Wochen ohne Strom, Wasser und Heizung unter russischem Beschuss ausharren, würden "im Grunde genommen erstickt", wie es ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz am Dienstag ausdrückte.

Keine Hilfslieferungen

Während ukrainischen Angaben zufolge seit Kriegsbeginn mindestens 2500 Menschen in Mariupol getötet wurden und mehr als 200.000 noch in den zunehmend zu Ruinen geschossenen Wohnhäusern ausharren, konnten am Dienstag 20.000 Menschen, die nach langem Warten errichteten Rettungskorridore nutzten. Insgesamt konnten 2.000 Autos die Stadt am Dienstag verlassen, hieß es von der stellvertretenden Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. In die andere Richtung gab es hingegen weiter kein Durchkommen: Ein Konvoi mit humanitärer Hilfe für die belagerte Stadt steckte Wereschtschuk zufolge im nahe gelegenen und von russischen Truppen kontrollierten Berdjansk fest.

Der mächtige Sekretär des russischen Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew, behauptete indes, Russlands Krieg laufe "nach Plan" – und dass die USA der Ukraine dabei helfen würden, an nukleare und biologische Waffen zu gelangen.

Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration sind bis Dienstag mehr als drei Millionen Menschen vor den Kämpfen in der Ukraine geflohen. (Florian Niederndorfer, faso, 15.3.2022)