Autor Christian Kreil geht im Gastblog der Sache auf den Grund, warum Rechte in Russland ein Vorbild sehen.

Jahn J. Kassl ist Autor und als "Schreiber Gottes" hält er regelmäßig "Lichtlesungen" im Wiener Palais Strudelhof ab: Er verkauft in seinem Webshop neben seinen Büchern "Schungit-Kugeln" um 119 Euro, die "Gedankenkontrolle" verhindern und "Angriffe durch 2G, 3G, 4G, 5G und darüberhinaus" abwehren. Sein Gesprächspartner, Meister Sananda, hält viel von Putin. Im Büchlein "Du bist behütet" tauschten sich Kassl und Meister Sananda 2019 zu Putin aus. Sananda antwortet so zum Thema: Putin sei "der Fels in der Brandung und das Licht für Europa! Diese Wesenheit ist berufen, die Dinge im Lot zu halten und Deutschland dann, wenn es sich selbst besinnt, beizustehen. Russland weiß um die Bedeutung des deutschen Volkes und der deutschen Nation – und deren Präsident ist sich seiner Verantwortung, um mit Deutschland eine lichtvolle Zukunft auf Erden einzuläuten und einzuleuchten, voll bewusst."

Wenn Gott mit den Wimpern zuckt, dann kracht es

Im Jahr 2017 hat sich Kassl mit einem gewissen Herrn Babaji unterhalten, und auch dieser Meister sparte nicht mit Lob für den starken Mann im Kreml und sein Land: "Von Russland geht die Veränderung aus und von Russland aus wird der Wandel und wird die Erneuerung die ganze Welt erreichen. Noch benötigt es etwas Zeit, kaum mehr als einen Wimpernschlag Gottes, jedoch diese Zeit muss erwartet werden." Diese Aussagen stammen zwar noch vor dem Ukrainekrieg, klingen heute aber umso zynischer. Müssen etwa die Kinder Kiews in den Keller flüchten, weil Gott seit drei Wochen mit den Wimpfern zuckt? Im Blog von Kassls esoterischem Lichtweltverlag finden wir jede Menge Beiträge, die vorn RT (Russia Today) und von Pravda TV übernommen wurden. 

Putin, ein starker Mann für Rechte und Esoteriker.
Foto: AP Photo/Alexander Zemlianichenko

Demo-Chronist schwärmt: "Bis Putin kommt"

Nicht nur Esoteriker mit guten Kontakten zu Engeln haben in den Jahren ihre Hochachtung vor Putin und seinem Russland entdeckt. Bei einer Corona-Demonstration in Wien machte ein Oberösterreicher, der so gut wie jede Demonstration der Maßnahmengegner live streamt, keinen Hehl aus seiner Sympathie für den Kriegsherren: Man gehe auf die Straße, "bis diese elende Politikbagage ihren Platz geräumt hat und Putin kommt." Bei der Wiener Demo am 12. März verkündete ein Sprecher, während am Hauptbahnhof Wien Frauen und Kinder strandeten, die vor den Bomben Putins fliehen: "Diese Maßnahmen Russlands sind ein Befreiungsschlag". 

Die rechtsextreme Illustrierte "Info-Direkt" aus Oberösterreich coverte in der ersten Ausgabe 2015 Putin mit cooler Sonnenbrille, juvenilem Aussehen und textete dazu: "Wir wollen einen wie Putin".

Putin und Russland sind eine Projektion für Rechte und Esoteriker

Warum haben Esoteriker an einem nüchternen und eiskalt-rationalen Machtpolitiker wie Putin ebenso einen Narren gefressen wie Rechtsextreme, die vor kurzem noch glasige Augen bekommen haben, wenn der Opa von Stalingrad und dem Kampf gegen die "slawischen Untermenschen" im Osten erzählt hat? 

Russland und Putin, das slawische Land und der starke Mann betören den esoterischen und den rechten Narrensaum aus gar nicht so unterschiedlichen Gründen. Für die Rechten ist Russland die vermeintlich letzte Bastion eines "weißen Europas". Paris, London und Berlin, diese Metropolen sind - glaubt man dem rechten Narrativ - längst verloren an "Globohomo" und Multikulti. Russland und das dort von allerlei nationalistischen Agitatoren, allen voran Alexander Dugin, propagierte "Eurasien", ist für die neuen und alten Rechten attraktiv. Putin ist das Role-Model des auch für den hiesigen Schmalspurfaschisten attraktiven "starken Mannes", der sich nicht zu sehr um Demokratie und Minderheitenrechte kümmern muss.

"Anastasia" als Kultfigur: Attraktiv für Rechte und für Esoteriker

Für die Esoteriker ist Russland eine Metapher für Weisheit und erdverbundene Spiritualität. Maßgeblich dazu beigetragen haben die "Anastasia"-Bücher des russischen Autors Wladimir Megre. Die Fantasiefigur Anastasia in Megres Romanen ist blond, jung, hübsch, sie spielt nicht mit dem Handy rum, geht nicht zu McDonald's und weist den Weg zu allem Natürlichen und bodenständig Spirituellem.

Die "Anastasia"-Romane strotzen vor verklärter Landleben-Romantik und vor Antisemitismus. Über die Juden schreibt Megre: "Da das schon mehr als ein Jahrtausend geschieht, kann man den Schluss ziehen, dass das jüdische Volk vor den Menschen Schuld hat. Aber worin besteht die Schuld? Die Historiker, die alten wie die neuen, sprechen davon, dass sie Verschwörungen gegen die Macht anzetteln. Sie versuchten alle zu betrügen, vom jungen bis zum alten." Sagen wir es so: Wenn es Putin ernst meint mit der Entnazifizierung, dann hat er im eigenen Land und bei den Esoterikern im Westen noch einiges zu tun. (Christian Kreil, 18.3.2022)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. 2021 erschien sein Buch "Fakemedizin".

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