Sara Qaed ist eine international erfolgreiche Karikaturistin.

Foto: Sara Qaed

Es ist ein sonniger Morgen im Nordosten Englands, als Sara Qaed in einem bodenlangen schwarzen Kleid und mit grünem Hidschab den virtuellen Raum des Videotelefonats betritt. Hinter der Zeichnerin sind durch das Computerfenster nur die weiße Zimmerwand und ein paar Buntstifte in einer Dose zu erkennen. Schon auf den ersten Blick erinnern das dunkle Outfit der in Newcastle upon Tyne lebenden Frau und der hell erleuchtete Raum an ihre Cartoons: Die Klarheit von Nichtfarben dominiert die Illustrationen, ohne dass alles nur schwarz-weiß zu sehen wäre.

Illustration: Sara Qaed

Für das RONDO Exklusiv haben wir die vielfach ausgezeichnete Karikaturistin gebeten, einen kontrastreichen Blick auf unseren Alltag in Europa zu werfen. In ihrer gewohnt kritisch-humorvollen Art sollte sie illustrieren, was diese seltsamen Tage ihrer Meinung nach ausmacht, und uns im Anschluss davon erzählen.

Bitterböser Humor

Den oft bitterbösen Humor in Qaeds Karikaturen erkennt man beim Plaudern mit ihr nicht wieder. Sie ist wohl viel öfter subtil und ganz sanft. Manchmal in ihren Zeichnungen, vermutlich immer im persönlichen Gespräch. Zunächst einmal entschuldigt sich Qaed dafür, dass die Unterhaltung nicht wie geplant am Vortag stattfinden konnte. Ihr hätten schlicht die Worte dafür gefehlt, merkt sie an. "Wegen der aktuellen Ereignisse in der Ukraine?", fragen wir nach. "Nein, wegen Halsweh. Obwohl ich – oh, so british – ausreichend Tee trinke", entgegnet die 1990 in Bahrain Geborene.

Illustration: Sara Qaed

Qaeds Themen, ihre Gedanken dazu und infolge auch die Zeichnungen haben oft etwas Universelles. Wenn sie den Krieg zeichnet, ist daran nicht gleich abzulesen, ob er aktuell in der Ukraine wütet oder immer wieder in Palästina oder noch weiter weg.

Wenn ihr die politische Kaste stinkt, bedruckt Qaed schon mal T-Shirts mit Trump-Konterfei in der Achselhöhle; oder sie bastelt aus rot-weißen Palästinensertüchern eine Verschleierung, die dem Ku-Klux-Klan ebenso stehen würde. Muster und wiederkehrende Elemente tauchen in ihren Karikaturen ständig auf – was uns auch zum Thema dueser Bildstrecke bringt.

Eine Ausflucht

Qaed litt wie viele andere Menschen unter der Eintönigkeit der Lockdowns. "Ich saß in meinen vier Wänden und blickte immer und immer wieder auf dieselben Tapetenmuster. Ausflüchte konnten wir uns nur in den Köpfen zusammenzimmern", sagt sie. Doch schließlich fand Qaed auch in der Wirklichkeit eine Ausflucht: "Normalerweise gebe ich in der Stadt Zeichenunterricht. Face-to-face war das aber lange Zeit nicht möglich, bis ich eine Idee hatte": Qaed und ihr fünfjähriger Sohn unterhielten sich eines Tages durch das geschlossene Fenster ihrer Erdgeschoßwohnung.

Illustration: Sara Qaed

In einem nächsten Schritt bemalten sie einander gegenseitig die Gesichter – also in Wirklichkeit das Fensterglas. Mutter und Sohn fanden diese abstandswahrende und dennoch haptische Tätigkeit so beglückend, dass Qaed der Stadtverwaltung vorschlug, auf dieselbe Weise in betreuten Wohnheimen wieder Malunterricht zu geben.

"So musste ich diese Einrichtungen zwar nicht betreten, konnte aber trotzdem durch das geschlossene Fenster in die Gesichter der Bewohner blicken. Einmal war es das lachende Gesicht eines Kindes, ein andermal der gütige Blick einer älteren Frau", erinnert sich Qaed und hilft damit ein Stück weit bei der Interpretation der hier erzählten Bildgeschichte.

Zweierlei Maß

Zwei Tage vor unserem Gespräch hat Qaed eine viel konkretere Karikatur auf Instagram gepostet. Schon deshalb sind wir neugierig. Links im Bild ist eine graue Masse aus flüchtenden Frauen zu sehen, rechts eine gespiegelte Szene mit identischen Figuren. Bloß sind die Frauen rechts gelb eingefärbt, und alle weinen blaue Tränen. Davor hat Qaed eine Waage mit zwei Schalen und noch mehr Tränen drauf gezeichnet. Die blauen Tränen vor den gelben Frauen wiegen schwerer. Eine Anspielung auf das Leid in der Ukraine, das offensichtlich stärker wahrgenommen wird als anderes Unrecht?

"Die Geflüchteten im Niemandsland zwischen Belarus und Polen nur wenige Wochen zuvor haben jedenfalls nicht diese Aufmerksamkeit bekommen", sagt Qaed ganz ohne Polemik. Sie ist bemüht, das Leid in der Ukraine nicht zu relativieren, macht aber darauf aufmerksam, dass der Westen die Not von Geflüchteten eben immer wieder mit zweierlei Maß misst. Stichwort "Syrien" oder "Afghanistan". Ihre Erinnerungen an das erste zeichnerische Aufarbeiten eines Krieges beginnen jedenfalls auch an einem Ort, den Europa gerne vergisst.

Anfangs zurückhaltend

Vor mehr als zehn Jahren saß die Familie Qaed in Bahrain vor dem Fernseher und verfolgte die Berichterstattung über Bombardements in Gaza. Es waren schreckliche Bilder, und dennoch wagte es niemand, den Fernseher abzudrehen. Sara Qaeds Mutter begann irgendwann verzweifelt für die ausgebombten Familien zu beten, sie selbst fand eine andere Sprache: "Das Zeichnen ist für mich schon als Jugendliche in vielen Situationen eine hilfreiche Ausdrucksform gewesen. Nach den Szenen aus Gaza habe ich wohl damit begonnen, diese Sprache bewusster einzusetzen", erinnert sie sich.

Illustration: Sara Qaed
Illustration: Sara Qaed

Qaed arbeitete zu dieser Zeit als Lehrerin. 2013 publizierte sie erste politische Karikaturen bei einer lokalen Zeitung in Bahrain. Die Reaktionen auf ihre Cartoons waren verhalten, aber nicht von vornherein ablehnend. "Das mag daran liegen, dass ich mich mit meinen Themen damals noch auf sicherem Terrain bewegt habe und insgesamt viel sanfter im Ausdruck war", sagt sie.

Illustration: Sara Qaed

Innerhalb weniger Monate fand sie jedenfalls so sehr Gefallen an dieser Arbeit, dass sie nach Großbritannien übersiedelte, um ein Kunststudium zu beginnen. Die Zurückhaltung bei ihren Zeichnungen, die nunmehr konsequent um die Themen Migration, Konflikte und Frauen kreisen, schwand spätestens 2015.

Nach dem Attentat von Islamisten auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo, das die "Mohammed-Karikaturen" gedruckt hat, publiziert Qaed im selben Jahr einen Cartoon mit dem Titel Im Namen Gottes. Darauf zu sehen sind ein US-Soldat, der in Abu Ghraib foltert, ein Jude, der auf einen Palästinenser schießt und ein Islamist, der einen "Ungläubigen" köpft.

Sie als Muslimin sei damals entsetzt gewesen über den Anschlag auf Mitarbeiter des Satiremagazins, sagt sie, und fand klare Worte: "Karikaturisten müssen nicht verstehen, was ein Prophet für andere Menschen bedeutet. Diese Menschen aber müssen tolerieren, dass das ihre Art ist, Witze zu machen. Wenn sie etwas dagegen haben, müssen sie friedliche Mittel finden, um ihr Missfallen zu äußern", sagte Sara Qaed anlässlich der Verleihung des Ibn-Rushd-Preises 2019 in Berlin. Damit werden Menschen oder Organisationen ausgezeichnet, die sich in der arabischen Welt für freies Denken einsetzen.

Ausstellungswand

Seit der Pandemie nutzt Qaed öfter auch Instagram als leicht zu aktualisierende Ausstellungswand. Vor wenigen Tagen lud sie dort ein Bewegtbild hoch, auf dem eine Frau im Brautkleid von einem Mann mit rotem Boxhandschuh geschlagen wird. Die beiden Figuren bleiben starr, nur der Handschuh bewegt sich in Dauerschleife. Ein wenig erinnert die Ästhetik an frühe Cartoons der britischen Komikertruppe Monty Python – bloß ist der Inhalt nicht komisch.

Qaed sah in vielen arabischsprachigen Sendern immer wieder denselben Beitragt: Ein Mann verprügelt in Ägypten seine Noch-nicht-einmal-Ehefrau im Brautkleid. Grundlos. Danach tritt er mehrfach in TV-Shows auf und betont ungestraft, dass sein Handeln doch völlig "normal" sei. "Mit jeder unwidersprochenen Ausstrahlung wird es tatsächlich normaler", empört sich Qaed, "und bleibt in vielen Ländern Realität."

Feministische Kritik

Ebenso Realität bleibt: International erfolgreiche Karikaturistinnen sind selten. Doch Sara Qaed betont immer wieder, dass sie am Anfang ihrer zeichnerischen Karriere gar nicht auf diesen Aspekt geachtet hätte. "Ich habe mir nie gesagt: Oh, es gibt so wenige Frauen, die politische Cartoons machen, also muss ich damit beginnen!"

Dennoch enthalten viele ihrer Zeichnungen klar feministische Kritik. Da gibt es etwa diesen Cartoon von Qaed, auf dem eine Frau zu sehen ist, die auf einem Brett angeschnallt wurde, und mehrere Hände bearbeiten sie. Die eine bindet ihr ein Tuch um den Kopf, die andere lackiert ihre Fingernägel, eine dritte misst nach, ob ihre Beine lang genug sind.

Ist das nicht Feminismus in Reinkultur, Frau Qaed? "Ich kann wenig anfangen mit Labels, die meine Person betreffen", antwortet sie. "Weil mir Gütesiegel wie Aktivistin oder Feministin nie wichtig waren. Ja, in letzter Zeit frag ich mich sogar, ob der Ausdruck Karikaturistin für mich passend ist. Ich sage viel lieber: Ich zeichne. Immer öfter übrigens auch Figuren, die geschlechtslos sind, einfach nur Menschen, die interagieren." Stimmt schon. Aber Qaed schaut sehr genau hin, wie diese Menschen agieren. (Sascha Aumüller, RONDO exklusiv, 11.4.2022)