Blättert man Bücher mit Cocktailrezepten durch, gibt es eine Zutat, die fast immer dabei ist: Zitrusfrüchte, die entweder als Saft oder zumindest als Garnitur im Glas landen. Für Isabella Lombardo, vom Falstaff als "Barfrau des Jahres 2021" ausgezeichnet, sind Zitrusfrüchte neben qualitativ gutem Eis überhaupt die wichtigste Zutat im Barbetrieb.

Lombardo ist Barchefin der Lvdwig Bar im Hotel Beethoven beim Wiener Naschmarkt – dort werden vier bis fünf Liter Zitronensaft und ebenso viel Limettensaft pro Woche verbraucht. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, dass die Mengen für Cocktails in Zentilitern abgemessen werden.

Für vielen Cocktails braucht es Zitrussaft.
Foto: Lvdwig Bar

Im professionellen Betrieb in der Lvdwig Bar werden frisch gepresste Säfte vom Spezialanbieter zugekauft, und das Fruchtfleisch wird – zwecks besserer Haltbarkeit – abgesiebt. "Wenn wir nicht zukaufen würden, müssten wir eine Person abstellen, die viel Zeit mit dem Pressen von Säften verbringt", sagt Lombardo, die sich aber gleichzeitig gegen die Verwendung lange haltbarer Fertigprodukte ausspricht: "Die Qualität der Säfte ist sehr wichtig." Für spezielle Drinks werden zusätzlich besondere Zitrusfrüchte wie Amalfizitronen, Bergamotten oder Kumquats gekauft.

Schiffsversorgung

Alkohol mit Zitronensaft zu trinken hat auch einen medizinischen Hintergrund. Denn auf den Schiffen der britischen Marine wurde Ende des 18. Jahrhunderts Zitronensaft ausgegeben, um die Mannschaft vor Skorbut zu schützen. Rum war ebenfalls an Bord, daher lag es nahe, die beiden Flüssigkeiten zu vermischen – manchmal kam auch noch Zucker dazu.

Im Prinzip war dies eine Art Vorläuferversion der Cocktails mit dem Überbegriff "Sours". Als ideales Verhältnis für einen Sour gibt Isabella Lombardo fünf Anteile einer Basisspirituose, drei Anteile Säure (meist Zitronen- oder Limettensaft) und zwei Anteile Zucker an.

Der wohl bekannteste, der das Sour schon im Namen trägt, ist der Whiskey Sour. Rezepte tauchten erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Kanada und den USA auf. Traditionell werden dafür Bourbon, Zitronensaft und Zuckersirup gemixt. Das Hinzufügen von Eiweiß, das den Drink runder, cremiger macht, ergibt einen "Boston Sour". Bitters gehören eigentlich nicht hinein, man könne aber beim Boston oder Pisco Sour durchaus etwas Bitter obendrauf geben – denn das mache sich auch optisch gut, erklärt Lombardo. Aber auch eine klassische Margarita auf der Basis von Tequila sei von der Grundstruktur her ein Sour.

Isabella Lombardo, Barchefin der Lvdwig Bar.
Foto: Lvdwig Bar

"Eigentlich schmeckt Sour allen" sagt die Barchefin. In ihren Workshops lässt sie die Teilnehmenden ebenfalls hauptsächlich Sours mixen. "Selbst wenn man eine Spirituose nicht mag: Durch die Mischung wird ein Drink daraus, der immer gut schmecken wird." Auch deshalb würden Sours niemals out sein. Wobei der Kreativität kaum Grenzen gesetzt sind: Marmelade, Agavensirup oder Beeren bringen andere Aromen. Einer der Signature-Drinks der Lvdwig-Bar ist die Abwandlung eines Rum Sour, für den ein Tonkabohnen-Tamarinden-Sirup verwendet wird.

Experimente

Doch zurück zu den sauren Zitrusfrüchten. Ihnen widmete Jeffrey Morgenthaler, ein mehrfach ausgezeichneter Barkeeper aus Portland, in seinem Buch The Bar Book: Elements of Cocktail Technique nicht ganz zufällig das erste Kapitel – und das mit einer beeindruckenden Gründlichkeit. Er beschreibt die unterschiedlichen Sorten, richtiges Aufschneiden – unbedingt quer und nicht längs –, erläutert die Vor- und Nachteile diverser Pressen.

Und er versuchte herauszufinden, ob die Empfehlung, dass man Zitronen vor dem Auspressen nicht kühlen und sie mit der flachen Hand auf dem Tresen andrücken sollte, um mehr Saft aus ihnen zu gewinnen, denn stimme. Für sein Experiment kaufte er 60 Zitronen und teilte sie in vier Gruppen zu 15 Stück (gekühlt / ungekühlt / gekühlt und gerollt / ungekühlt und gerollt). Er presste sie aus und maß die erzielte Saftmenge. Das Ergebnis überraschte nicht nur ihn: Die Unterschiede sind marginal. (Petra Eder, RONDO exklusiv, 2.4.2022)