"Nu, Pagadi!" ist die "russische Antwort" auf "Tom und Jerry", in der ein cleverer Hase einen Wolf zur Weißglut treibt.

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Um Meinungsfreiheit ist es in Russland nicht gut bestellt. Reporter ohne Grenzen listet das Land 2021 auf Platz 150 von 180 in puncto Meinungs- und Medienfreiheit. Der Demokratie-Index von Freedom House betrachtet es als "konsolidierte Autokratie", in der Demokratie-Matrix der Universität Würzburg scheint Russland als "moderate Autokratie" auf.

Bei der nächsten Aktualisierung dieser Listen wird der seit über 20 Jahren von Wladimir Putin gelenkte Staat wohl weiter absinken. Nach dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine wurde die ohnehin schon weitreichende Zensur noch einmal verschärft. Die Invasion darf nicht als solche bezeichnet werden. Wer auf der Straße demonstriert – und sei es mit einem leeren Schild – bringt sich besonders in größeren Städten in Gefahr, binnen weniger Momente von der Sicherheitspolizei abtransportiert zu werden. Für eine Darstellung des Krieges, die nicht der offiziellen russischen Position entspricht, drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Für Memes auf die "Extremistenliste"

Auch abseits des international bekannten Putin-Kritikers Alexej Nawalny gibt es in Russland eine lebendige Opposition, für die die Meinungsäußerung über die Jahre immer riskanter geworden ist. Auch online versucht der Staat durchzugreifen und geht mitunter hart gegen Kritiker vor. Zigfach wurden Geld- und Haftstrafen gegen Bloggerinnen und Blogger verhängt, selbst das Teilen von Memes kann die Sicherheitsbehörden auf den Plan rufen.

Neben einer Verurteilung droht auch die Eintragung in eine "Extremistenliste". Solange man auf dieser steht, muss man eine Reihe von Einschränkungen hinnehmen. Beispielsweise wird das Aufnehmen von Krediten erschwert, der wöchentlich vom eigenen Konto abhebbare Geldbetrag begrenzt und die Reisefreiheit beschränkt.

Somit bleiben nur bestimmte Online-Rückzugsorte, um wenigstens "unter sich" noch lachen zu können. Während beim "russischen Facebook", Vkontakte, längst der Geheimdienst mitliest, sind es vor allem das mittlerweile aus Russland nur noch per VPN erreichbare Facebook und Telegram, wo Menschen von liberaler Gesinnung und andere Regimekritikerinnen und -kritiker noch sagen können, was sie wollen.

Indirekte Anspielungen

Im öffentlichen Diskurs hat man aber gelernt, mit der Zensur umzugehen, was sich insbesondere in der Meme-Kultur zeigt. Statt direkter Kritik setzt man hier auf bildhafte Anspielungen, um den Behörden möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.

Ein etwas älteres Beispiel stammt aus der Zeit von 2018 bis 2020. Weil Telegram sich auch nach einem Urteil des Höchstgerichts weigerte, den Behörden eine Möglichkeit einzuräumen, bei verschlüsselten Chats mitzulesen, ordnete die russische Telekombehörde Roskomnadsor den Internetprovidern an, den Zugang zum Messenger zu sperren. Das sorgte für Proteste, bei denen Menschen Papierflieger – das Logo von Telegram – fliegen ließen.

Die Sperrmaßnahmen auf technischer Ebene zeigten aber aufgrund des dezentralisierten Aufbaus von Telegram kaum Wirkung auf dessen Erreichbarkeit. Dafür sorgten sie aber für eine Reihe von Problemen mit anderen Online-Diensten. Für die Unbeholfenheit im Umgang mit Telegram erntete die Behörde Spott und Hohn. Sehr beliebt war hier als Meme ein bearbeiteter Ausschnitt aus einer Folge der Zeichentrickserie "Nu, Pagadi!" ("Na, warte nur!"), die man an ehesten als das sowjetische Äquivalent zu "Tom and Jerry" beschreiben kann.

Die am Schluss im Fernsehen sichtbare Person ist Pavel Durow, der ursprünglich Vkontakte und später Telegram gegründet hat, dessen Betrieb er nun aus dem Exil leitet. Der Papierflieger ist das Symbol von Telegram, das Logo mit den eckigen Klammern gehört zur Telekombehörde Roskomnadsor.
Maksim Kazarnovskiy

2020 erfolgte dann ein Strategiewechsel, als die russische Regierung selbst damit begann, Telegram zu nutzen, um über Corona-Maßnahmen zu informieren. Kurz darauf – und nachdem man Telegram ein Versprechen zur Kooperation bei der Verfolgung von Verbrechen abgerungen hatte – wurde seitens Roskomnadsor die Netzsperre aufgehoben, obwohl die gerichtliche Anordnung nie widerrufen wurde.

"Spezial-Militäroperation und Frieden"

Im aktuellen Kontext des Ukraine-Krieges weiß man aber auch bissige Bildkommentare abzugeben. Eine der ersten Zensurmaßnahmen war es, die Bezeichnung "Krieg" für den Angriff auf die Ukraine zu verbieten. Im offiziellen russischen Regierungssprech handelt es sich um eine "militärische Sonderoperation".

Um ihre Meinung kundzutun, ohne sich den Behörden gegenüber angreifbar zu machen, reagierten Kritikerinnen und Kritiker mit einem Verweis auf einen Klassiker der russischen Literatur. Schnell kursierten bearbeitete Buchcover von Lew Tolstois "Krieg und Frieden", nun umbenannt zu "Spezial-Militäroperation und Frieden". Sie machen einerseits die Absurdität der staatlichen Meinungseinschränkungen deutlich und bezeichnen die Invasion implizit dennoch als das, was sie ist.

St. Petersburger Schneechaos

Auch in den regionalpolitischen Kontext mischen sich Anspielungen auf den Ukraine-Krieg. Belegen lässt sich das etwa am Beispiel der westrussischen Metropole St. Petersburg. Dort musste sich die Stadtverwaltung in den vergangenen Monaten viel Kritik gefallen lassen. Denn die Schneeräumungsarbeiten gerieten in diesem Winter zum Chaos.

Ungeräumte Straßen, von Schneepflügen auf Bürgersteige gedrückte Schneemassen und ähnliches Versagen sorgten für chaotische Szenen im Straßenverkehr und dementsprechend frustrierte Bürgerinnen und Bürger. Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass die Ordnungsdienste bei den Räumarbeiten versagten. Schon 2015 sorgten hochrangige Beamte für Unmut, die der Bevölkerung empfahlen, zur Beseitigung des Schnees selbst zur Schaufel zu greifen statt Geld für Fitnessstudios auszugeben.

Der Gouverneur der Stadt und Putin-Vertraute Alexander Beglow dürfte wohl ganz froh darüber sein, dass mit dem Krieg ein anderes Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, insinuiert man in einem Meme. In diesem werden dem Politiker die Worte "Endlich gehen sie mir nicht mehr mit dem Schnee auf die Nerven!" (sinngemäße Übersetzung) in den Mund gelegt.

Kaum kritische Medien übrig

Die Reichweite und Breitenwirkung solcher Memes in Russland ist freilich schwer einzuschätzen. Gerade ältere Generationen informieren sich noch in hohem Maße über das Fernsehen. Doch terrestrisch und per Kabel sind praktisch nur Sender empfangbar, die entweder direkt von der Regierung oder von ihrem Umfeld kontrolliert werden und in ihrer Berichterstattung gleichgeschaltet sind.

Unabhängige Medien sind seit Jahren in Bedrängnis. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der TV-Sender Doschd (international: TV Rain), der immer wieder kritisch über die Politik des Kremls berichtete und auch Proteste gegen die Regierung zeigte. 2014 wurde er aus dem Angebot der meisten Anbieter genommen und war seitdem fast nur noch online zu sehen. Nachdem man sich den neuen Auflagen in Bezug auf den Ukraine-Krieg widersetzt hatte, ordnete die Generalstaatsanwaltschaft eine vollständige Sperrung an.

Am 3. März kündete Doschd an, den Betrieb zumindest vorübergehend einzustellen. Auch zahlreiche internationale Medien zogen sich infolge der Zensurverschärfung aus Russland zurück. Die "Nowaja Gaseta", die nach Beginn der Invasion eine Ausgabe auch auf Ukrainisch veröffentlicht und zum Stopp des Krieges aufgerufen hatte, ordnet sich dem neuen Gesetz zwar unter, will ihre Berichterstattung nun aber auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges fokussieren. (gpi, 20.3.2022)