Klaus Riedelberger mit einem Modell zur Übung der intramuskulären Injektion beim Pferd: Er fertigte einen Abdruck aus Kunststoff an, legte eine Decke darüber und markierte die korrekte Injektionsstelle durch zwei farbige Handabdrücke.

Foto: Regine Hendrich

Spezialisten für Reptilien und Vögel im Operationssaal: der Tierpfleger Bernhard Puhr und die Exotentierärztin Silvana Schmidt-Ukaj.

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Eine Schildkröte in der Station für Reptilien und Vögel.

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Katalina Staufer, Leiterin der Zentralen Notfallaufnahme in der neuen Kleintierklinik, die im April eröffnet werden soll.

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Für die "Absamung" wird für einen Hengst eine Stute zur Stimulierung hineingebracht, die Samenentnahme erfolgt auf einer Phantomstute und in einen Vaginanachbau hinein. Der gewonnene Samen kommt dann zur Qualitätskontrolle ins Labor.

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In der Pferdeklinik erhält ein Pferd eine Zahnkorrektur: Die Schneidezähne werden abgeschliffen, damit die Backenzähne besser sitzen.

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Ultraschall eines trächtigen Ponys.

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Tierarzt Lukas Schwarz mit einer Tierattrappe in der Schweineklinik.

Campus-Hunde.

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Fünf Millionen Haustiere kommen hierzulande auf knapp neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Allen voran sind es Katzen, gefolgt von Hunden, Hamstern und Hasen, Vögeln, Reptilien und Fischen. Mit dem steigenden Wohlstand der Menschen stieg auch die Anzahl der Haustiere. Heute lebt in nahezu jedem dritten Haushalt zumindest ein Tier. Es gilt vielen als treuer Mitbewohner und Familienmitglied. Die Anschaffung von Haustieren kann dabei ins Geld gehen, die Haltung ebenso: 1.000 Euro pro Jahr gibt man Studien zufolge für sie aus. Auch die Tiermedizin hat sich weiterentwickelt. Nirgendwo ist das veterinärmedizinische Angebot so umfassend wie an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. Sie war die erste ihrer Art im deutschsprachigen Raum, ist die drittälteste weltweit und bis heute auf vielen Gebieten federführend. Ein Einblick in ihren Alltag in sechs Stationen:

"Riesige Dimensionen"

In Raum eins der Pferdeklinik wird Nemo, einem weißen Vollblüter, ein Verband am rechten Vorderbein abgenommen. Zwei Klinikmitarbeiter legen dafür Hand an. "Für jeden Verbandswechsel brauchen wir mindestens zwei Leute, eher drei bis vier", erklärt Rhea Haralambus, Oberärztin in der Pferdechirurgie. "Die Dimensionen sind in allem riesig." Die Tiere sind so groß und schwer, dass sie nicht zu lange liegen dürfen, weil das Gewicht andernfalls auf Organe und Muskeln drückt. Zudem sind sie Fluchttiere: Kaum aus der Narkose erwacht, versuchen sie zu fliehen – wodurch erst recht Verletzungen drohen.

Deshalb sind die Wände im Aufwachraum mit Gummi ausgekleidet. Erhält ein Pferd eine Narkose, wird es an die Wand gedrückt, damit es sanft zu Boden gleitet. Ein Kran zieht es auf den gepolsterten Operationstisch. Und die Anästhesie selbst, sagt Haralambus, sei bei Pferden "eine besondere Kunst", denn: "Richten sich 600 Kilo nach einem Eingriff auf, kann viel schiefgehen, wenn bei der Behandlung etwas nicht perfekt gelaufen ist." Der Anteil von Komplikationen im Zuge von Anästhesien bei Pferdeoperationen liege international bei einem Prozent. Die Pferdeklinik schaffe eine Zehnerpotenz darunter, führt die Fachärztin für Großtierchirurgie aus.

Besamung und Embryotransfer

Die Geschichte der "Vetmed" begann mit den Pferden. Den Tieren kam in der Habsburgermonarchie eine immense Bedeutung zu, eine größere noch als heute vergleichsweise dem Auto. Denn das Pferd war zu k. u. k. Zeiten mehreres gleichzeitig: Transport- und Reisemittel, Handelsobjekt, Lebensmittel, zudem Nutztier. Doch die permanent wütenden Seuchen und die Kriege des 18. Jahrhunderts minimierten den Pferdebestand erheblich.

Also beschloss Maria Theresia 1765 die Gründung der veterinärmedizinischen Hochschule. 1777 folgte das "k. k. Thierspital und Thierarzneyschule" in Wien-Landstraße. Über zwei Jahrhunderte und einen Umzug in den 21. Bezirk später betreute die Vetmed laut den aktuellsten Zahlen von 2020 fast 41.000 Tiere. 4.200 davon waren Pferde und Esel, am häufigsten kamen sie wegen Läsionen an Muskeln oder Gelenken, Zerrungen, Lahmheiten. Hinzu kommen Zahnbehandlungen. Pferde werden immer besser gehalten, im Alter ergeben sich Zahnprobleme.

Die Tiere reisen aber auch zur Plattform für Besamung und Embryotransfer: In ihren Räumen wird Samen entnommen, und Embryonen werden eingesetzt – und das nicht nur Pferden, sondern auch Hunden, Rindern und Schafen. In der Besamungsstation werden die männlichen Tiere "abgesamt", wie es im Medizinjargon heißt. Dann wird der Samen auf seine Qualität überprüft, ihm wird Samenverdünner hinzugefügt, er wird zentrifugiert, eingefroren und bei minus 196 Grad in mit flüssigem Stickstoff gefüllten Containern konserviert. Besamt wird aber auch mit Frisch- und Kühlsamen. Christine Aurich leitet die Plattform. Sie stammt aus Hannover, das als wissenschaftliches Zentrum dieser Materie gilt, ihr Vater war Gynäkologe, sie ist mit Tieren aufgewachsen und die international anerkannte Expertin auf dem Gebiet. Hier wird Samen importiert und exportiert, viel kommt aus den USA: das Tennesse Walking Horse etwa oder Schlittenhunde. "Hinter dem Spermaverkauf steckt eine regelrechte Industrie", sagt Aurich. Eine Besamung kommt mit Vorbereitung der Stute auf 800 Euro, mit Samen und Samentransport sind schnell einmal 3.000 Euro erreicht.

Neue Kleintierklinik

Im Fokus der Vetmed stand die längste Zeit ihres Bestehens das Pferd, Kleintiere begannen erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtigere Rolle zu spielen. Inzwischen machen Hunde und Katzen, Hamster und Hasen aber den bei weitem größten Teil der Patienten aus. In einem lichtdurchfluteten, aus viel Glas und Holz konstruierten Neubau soll im April die neue Universitätsklinik für Kleintiere eröffnet werden. Waren die Abteilungen der Kleintierklinik bisher auf mehrere Gebäude auf dem über 15 Hektar großen Campusareal aufgeteilt, soll sie dann unter einem Dach zusammengeführt sein.

Noch sind die Möbel mit Plastik überzogen, als Platzhalter für die zukünftigen Schilder dienen mit Tixo angeklebte Papierblätter. Einige sogenannten Stofftiertage wurden bereits durchgeführt: ein Probelauf der Geräte und Abläufe mit Plüsch- statt echten Tieren. Sie sollen darauf vorbereiten, was dann eine der modernsten Tierkliniken Europas sein soll – inklusive Notaufnahme mit Schockraum, einer Intensivstation, Tagesambulanzen.

"Hier ist viel Hirnschmalz hineingeflossen", sagt Katalina Staufer, die Leiterin der Zentralen Notaufnahme der Klinik. So wurde auf die strikte räumliche Trennung infektiöser und nichtinfektiöser Patienten geachtet, es gelten die Richtlinien für das Zertifikat einer "Cat Friendly Clinic": Hunde und Katzen werden getrennt untergebracht. Einer der häufigsten Gründe für die Einlieferung in die Notaufnahme: "Durchfall oder Erbrechen in allen Farben und Variationen", sagt Staufer, oder Atemnot.

Die Leiden der Schnecke

Ein Eck weiter dreht sich alles um Reptilien und Vögel. In jenem Raum, der für Vögel vorgesehen ist, die höhere Temperaturen benötigen, sitzt ein einjähriger Wellensittich mit verklebten Augen und buckeliger Haltung. Die Beläge am Schnabel deuteten auf Milben hin, sagt die Exotentierärztin Silvana Schmidt-Ukaj. Sie hat sich auf Schnecken spezialisiert, allen voran die Achatschnecke, die auf bis zu 30 Zentimeter heranwachsen kann. Das habe sich mehr aus Zufall ergeben, weil es immer wieder Anfragen zu Schnecken gegeben und sie bemerkt habe, dass die Informationslage über diese Tiere sehr dünn war. Also begann Schmidt-Ukaj, über sie zu forschen.

Bei Reptilien sei das Problem, dass es erstens nur eine Handvoll auf diese Tiere spezialisierte Ärztinnen und Ärzte gebe. Zweitens sei die Erkrankung meist schon weit fortgeschritten, "weil die Tiere im Vergleich zu Hund und Katze oft wenige für die Besitzer gut sichtbare Symptome zeigen". Reptilien leiden oft an Legenot, sie können ihre Eier aus unterschiedlichsten Gründen nicht ablegen, was Operationen erforderlich machen kann. Sehr viel lasse sich auf Fehler bei der Haltung zurückführen, sagt Bernhard Puhr, Tierpfleger auf der Station. "Reptilien werden oft falsch gehalten, auch weil viele Tierbesitzer falsche oder keine Informationen erhalten haben." Dabei seien die Fütterung und Halterung "das A und O". Wichtig sei es, die Natur nachzuahmen: die Feuchtigkeit richtig einzustellen, das passende Licht. Ein paar Grad Temperaturunterschied könnten bereits einen Unterschied ausmachen.

Hinaus zu den Schweinen

Die Klinik für Schweine zeichnet sich dadurch aus, dass hier keine Schweine sind – zumindest abseits von jenen auf Postkarten, Plakaten, Zeichnungen oder Stickern. "Vorwiegend kommen wir zu den Tieren und nicht die Tiere zu uns", sagt Lukas Schwarz, Tierarzt und Spezialist für Schweine. Bäuerinnen und Bauern aus ganz Österreich – vor allem aus Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark, wo die meisten Schweine gehalten werden – rufen die Nummer der Universitätsklinik für Schweine in Wien, wenn sie oder die Tierärztinnen und Tierärzte vor Ort nicht mehr weiter wissen. Dann reisen tierärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an und untersuchen die Tiere, entnehmen Proben und empfehlen Therapien oder Prophylaxemaßnahmen. Die Proben werden aber auch direkt für diverse diagnostische Untersuchungen an die Vetmed geschickt.

"Die Schweinemedizin ist sehr diagnostiklastig", erklärt Schwarz. Er ist auf einem Schweinebetrieb in Niederösterreich aufgewachsen und beforscht vorwiegend Themen rund um Parasiten des Schweins und antimikrobielle Resistenzen. Schwarz sagt, sehr oft seien virale Erreger ein Problem. Hierzulande plagt die Schweinebauern und -bäuerinnen vor allem das PRRS-Virus (porzines reproduktives und respiratorisches Syndrom). Die Erkrankung, die in Österreich seit über einem Vierteljahrhundert weit verbreitet ist, führt bei Sauen gegen Ende der Trächtigkeit zu Fehlgeburten. Bei den jüngeren Tieren hat sie Husten und weitere sekundäre Erkrankungen zur Folge. Und dann sind da noch die Hausbesuche in Wien und Umgebung, wenn es Anfragen gibt wegen Minipigs, kleinwüchsigen Hausschweinen, die als Haustiere zunehmend beliebter werden. "Oft sind wir rund um Wien die einzigen Ansprechpartner", sagt Schwarz.

Üben an Tierattrappen

Bis heute ist die Vetmed die einzige Einrichtung des Landes, die Lehre, klinische Dienstleistungen und Forschung vereint. Ein Vorzeigeprojekt liegt im Kellergeschoß des Areals: Das Skills-Lab "VetSim" erstreckt sich über 180 Quadratmeter und mehrere Praxisräume, in denen die Studierenden klinische Fähigkeiten an Modellen erlernen und selbstständig üben. 2012 wurde es errichtet, womit es die erste derartige Einrichtung im deutschsprachigen Raum war. Ihr wissenschaftlicher Leiter ist Klaus Riedelberger, der auch in der Pferdeklinik tätig ist. "Alles, was hier passiert, ist mit den Lehrinhalten der jeweiligen Fachrichtungen abgestimmt", sagt er. Aus eigener Erfahrung wisse er, wie wichtig das sei.

An den Tierattrappen werden Blutabnahmen, Punktionen, Operations- und Verbandstechniken oder das richtige Lagern der Tiere beim Röntgen geübt. Einige von ihnen hat Riedelberger selbst entwickelt und gebaut: ein Pferdemodell etwa, bei dem eine Nasenschlundsonde gesetzt wird, sowie ein Modell zur intramuskulären Injektion beim Pferd. "Das Üben an Dummies gibt Sicherheit und bereitet die Studierenden auf die Realität vor." Hinzu komme der Tierschutzaspekt: "Ein Teil der Übungen am lebenden Tier kann dadurch ersetzt werden." Letztlich sei es also in erster Linie für die Tiere selbst von Vorteil. (Anna Giulia Fink, 16.3.2022)