Am Mittwochabend nahm Karl-Markus Gauß in Leipzig die Auszeichnung entgegen.

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Leipzig – Dieser Tage würde in Leipzig die Buchmesse stattfinden, wäre sie nicht wegen Corona zum dritten Mal in Folge abgesagt worden. Vom ursprünglichen Programm sind nur die Verleihungen der traditionell vergebenen Buchpreise übrig. Jenen der Europäischen Verständigung nahm am Mittwochabend der Salzburger Autor und Essayist Karl-Markus Gauß entgegen. Wenig überraschend nahm er in seiner Rede auf die Ereignisse in der Ukraine Bezug.

"Was sind das für Zeiten, in denen es nicht möglich ist, eine Dankesrede auch nur zwei Wochen im Voraus zu verfassen! Kaum hat man sie schriftlich mit gebührendem Ernst und angemessener Freude verfertigt und zu Ende gebracht, wäre es schon ruchlos, sie vorzutragen, hieße es doch zu schweigen über so vieles, das seither geschehen ist", hebt Gauß (67) in seiner Klage an. Die aber bald konkreter wird.

So sei es "unbestreitbar", dass "dieser Krieg selbst ein einziges Kriegsverbrechen darstellt". Dass er in Russland nicht mehr Krieg genannt werden dürfe, sondern als "militärische Sonderoperation" bezeichnet werden müsse, sei auch ein Angriffskrieg "gegen die Sprache". Einen solchen sieht er aber nicht nur in Russland im Gange. "Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie skrupellos Wörter in unseren Ländern umgedeutet wurden, indem sich Gegner von Impfungen zu tapferen Dissidenten, wagemutigen Rebellen, gar zu Widerstandskämpfern erklärten oder sich des Judensterns bemächtigten, um sich den Status von Opfern anzueignen", spannte Gauß den Bogen.

Verrat an der Literatur

Mehrfach musste Gauß seine Dankesrede im Vorfeld umschreiben. Erst hätte es um seine Reisen gehen sollen, dann fand er sich durch die Absage der Leipziger Buchmesse, "nicht etwa weil es die Pandemie erforderte, sondern manche aus der Verlagsbranche selbst allzu zögerlich waren, vor allem aber ausgerechnet die mächtigsten Verlagskonzerne ihre Teilnahme stornierten", empört. Ihm sei das "als Verrat" an der Literatur und den mit ihr Befassten erschienen.

Eine Art Verrat sind für Gauß auch jüngste Diskussionen zum Krieg, russische Künstler zu boykottieren. Sie "nützen der ukrainischen Sache keineswegs" und würden zudem "nicht den geringsten Respekt vor jenen Russinnen und Russen, die heute in ihrem Land auf die Straße gehen, ihr Wort erheben", zeigen.

Laudatorin Daniela Strigl lobte, Gauß habe "keine ehernen Wahrheiten, kein Pathos, kein Denkverbot, keine Vorurteile". (wurm, 16.3.2022)