
Kinder und Jugendliche sind von der Pandemie besonders betroffen. Psychische Probleme haben sich durch Corona verstärkt.
Auch wenn Schulpsychologen, Psychiater und Jugendarbeiter froh sind, dass nun 7500 Kinder und Jugendliche mit Therapiestunden versorgt werden, die Initiative "Gesund aus der Krise" der Bundesregierung stößt bei Experten auf wenig Begeisterung. Die Probleme im System würden nicht gelöst, das Projekt sei zu klein und zu kurzfristig gedacht und trage höchstens dazu bei, ein paar Löcher zu stopfen.
Kinder und Jugendliche sind von der Covid-Krise stark betroffen. Studien zeigen, dass Ängste, Depressionen und Essstörungen in den vergangenen beiden Jahren stark zugenommen haben. Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hat im Juli 2021 daher 13 Millionen Euro an Unterstützung zugesagt: 12,2 Millionen Euro bekommt die neu gegründete Initiative Gesund aus der Krise, die vom Bundesverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) in Abstimmung mit dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) geleitet wird, die restlichen 800.000 Euro gehen an die Arbeitsgemeinschaft Frauengesundheitszentrum.
Insgesamt 7.500 Burschen und Mädchen bis 22 Jahren sollen in Einzel- und Gruppentherapien in einem Ausmaß von rund 15 Stunden von Psychologen und Psychotherapeuten behandelt werden. Den Bedarf an einem Platz können etwa Schulpsychologen, Jugendeinrichtungen und Kinderpsychiater melden; auch die Eltern oder Jugendliche selbst können bei einer Hotline anrufen.
Von einem "Tropfen auf den heißen Stein" sprachen Bundesjugendvertretung und SOS Mitmensch. Mehr als 70.000 Kinder und Jugendliche hätten Bedarf an einem kassenfinanzierten Therapieplatz.
"Es wurden hohe Erwartungen geschürt, und jetzt werden viele enttäuscht sein, weil sie nichts von dem Geld sehen werden", sagt eine Expertin für Jugendgesundheit, die das Projekt gut kennt, namentlich aber nicht genannt werden will. Daran, ob sich der BÖP in so kurzer Zeit für das breit angekündigte Aufgabenportfolio rüsten kann, hat die Vertreterin ihre Zweifel. "Es ist noch so viel unklar." Etwa: Was passiert, wenn jemand anruft, der älter als 22 Jahre ist? Zudem würden diejenigen, "wo der Hut am stärksten brennt", gar nichts bekommen.
Gemeint ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Kathrin Sevecke ist Abteilungsleiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck und Hall und berichtet von 80 Patienten, die derzeit auf einen Behandlungsplatz warten. Sevecke findet es zwar "wunderbar, dass es eine Unterstützung für Kinder und Jugendliche geben wird", versteht aber nicht, warum nur auf Beratung und Psychotherapie gesetzt wird, nicht aber auf klinische Betreuung und Prävention.
Wenig Ressourcen
"Wir haben Mädchen, die bei uns 25 Kilogramm zunehmen, ich weiß nicht, wie das ein Psychotherapeut in der Praxis schaffen will." Dasselbe gelte für Jugendliche mit Suizidgedanken. "Wir brauchen mehr Personal", sagt Sevecke, die auch Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist. Zwar wurde durch die gesetzliche Erleichterung ermöglicht, dass mehr Kinder- und Jugendpsychiater ausgebildet werden können, "aber bis die einsatzbereit sind, das wird dauern".
Sevecke sieht in der neuen Initiative eine "österreichische Lösung". Es werde zwar etwas getan, aber viel zu wenig –und strukturelle Probleme gar nicht angefasst. "Wenn wir Psychotherapie auf Krankenschein hätten, bräuchten wir keine Gutscheine und keine Hotlines. Dann hätten wir diese Probleme gar nicht."
Ähnlich sieht das Josef Zollneritsch, Leiter der Schulpsychologie in der Bildungsdirektion Steiermark: "Es ist sinnvoll, dass es zusätzliche Therapiestunden gibt, aber das ändert nichts an den strukturellen Mängeln", sagt er. Es gebe zu wenige Therapeuten, zu wenige Kassenstellen, vor allem auf dem Land. "Meine Sorge ist, dass auch bei diesem Projekt wieder die meisten Ressourcen nach Wien fließen", sagt er.
Das Gesundheitsministerium versichert in einer Stellungnahme, dass die Gelder flächendeckend aufgeteilt werden sollen. "Der BÖP wird auf eine faire Verteilung über die Bundesländer achten, um das gesamte Bundesgebiet, auch den ländlichen Raum, abdecken zu können."
Zollneritsch und Sevecke verweisen beide darauf, dass die psychologischen und psychiatrischen Probleme der Kinder und Jugendlichen die Gesellschaft noch über lange Zeit beschäftigen werden. Das Projekt Gesund aus der Krise läuft bis zum 30. Juni 2023. (Lisa Kogelnik, 17.3.2022)