So schnell kann es gehen. Vor nicht einmal zwei Jahren war der Sprit billig. Ein Liter Diesel kostete weniger als einen Euro, jetzt ist es doppelt so viel.

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Für die vielgeplagten Autofahrer schien es wieder gute Nachrichten zu geben. Der Ölpreis fällt seit Tagen deutlich. Die in Europa wichtige Sorte Brent kostete pro Fass nach Kriegsausbruch in der Ukraine 135 Dollar, inzwischen sind es nur noch um die 100. Doch wer in den vergangenen Tagen eine Tankstelle aufsuchte, musste feststellen, dass sich bei den Preisen wenig tat. Sprit bleibt vorerst teuer.

Die Entwicklung hat auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf den Plan gerufen, der Dienstagabend ankündigte, die Bundeswettbewerbsbehörde einschalten zu wollen. Es dränge sich der Verdacht auf, dass "sich ein paar Ölkonzerne auf Kosten der Leute eine goldene Nase" verdienen, so Kogler auf Twitter. "Wenn Konzerne mit Krieg Geschäft machen, dann müssen wir einschreiten."

Grüner Ärger über hohe Spritpreise

Aber gibt es Hinweise darauf, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht? Oder will Kogler nur ausprobieren, ob er als Grünen-Politiker auch einmal mit dem Ärger über hohe Spritpreise punkten kann? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat DER STANDARD mit Wettbewerbshütern, Vertretern der Ölhändler und Marktanalysten gesprochen. Der Markt in Österreich ist nicht leicht zu überblicken, weshalb voreilige Schlüsse zu ziehen schwierig ist.

Aktuell gibt es etwa 2.700 kommerzielle Tankstellen im Land. Rund die Hälfte davon wird von sechs großen Mineralölkonzernen wie OMV, Shell oder BP betrieben. Die andere Hälfte von kleineren Unternehmen, die nur ein Tankstellennetz haben. Dazu gehören Unternehmen wie Avia oder A1.

In einem Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde von 2011, der laut Insidern weiter Gültigkeit hat, wird Österreich über elf Raffinieren versorgt. Die mit Abstand größte ist jene der OMV in Schwechat, dazu kommen noch Raffinerien in Deutschland, Italien, der Slowakei und Ungarn. Mehr als 70 Prozent des Marktbedarfs an Benzin und Diesel werden in der Nähe, im Umkreis von 200 Kilometern der Abgabestellen, raffiniert. Aber Österreich bezieht auch Diesel und Benzin aus Norddeutschland.

Über die Raffinerien versorgen die Minerölkonzerne zunächst ihre eigenen Tankstellennetze. Allen voran die OMV ist aber auch für die Versorgung anderer Unternehmen wichtig, weil sie die fertigen Kraftstoffe zum Beispiel an BP oder Shell verkauft. Über große Tanklager der Anbieter kommt der Sprit dann zu den Tankstellen.

Das zweite Vertriebsnetz läuft über Großhändler. Diese kaufen Benzin und Diesel von Raffinerien und verkaufen sie an Tankstellen, die nicht zu den Ölmultis gehören.

"Fiktiver Leitpreis"

Für die Preisfestsetzung an der Zapfsäule zentral ist weniger der Rohölpreis Brent. Wichtiger ist der Rotterdamer Produktenmarkt. Private Informationsdienstleister wie Argus oder Platts rufen täglich Händler durch, um zu erfahren, zu welchen Preisen sie Benzin, Diesel oder Heizöl am Markt in Rotterdam handeln. Hier geht es also nicht um den Preis für den Rohstoff, sondern schon um das verarbeitete Produkt. Aus diesen Rundrufen ergibt sich ein Tagesdurchschnittswert.

Dieser Wert ist jener, an dem sich Raffinerien orientieren, wenn sie ihre Produkte an Händler verkaufen, die dann Tankstellen in Österreich beliefern. Dieser Preis ist laut Experten auch jener, der die wichtigste Signalwirkung hat, wenn Mineralölunternehmen ihre eigenen Preise an der Tankstelle festsetzen.

Die größte Menge des Sprits, der bei Kunden in Österreich landet, wird dabei gar nicht über die Rotterdamer Börse gehandelt. Der Großteil kommt direkt aus den erwähnten Raffinerien. Wieso ist dieser Preis dann so wichtig? Dazu ein Beispiel: Will ein Großhändler Tankstellen versorgen, kann er zum Beispiel bei OMV oder einer anderen Raffinerie direkt Diesel kaufen – oder er besorgt es sich über Rotterdam. Geht der Produktpreis in Rotterdam hoch, können auch Raffinerien mitziehen.

Die Wettbewerbskommission in Österreich, ein eigenes Gremium, hat diese Preisbildung an der Rotterdamer Produktbörse schon einmal untersucht. Fazit des Berichtes: Der ganze Prozess sei nicht transparent. Öffentlich einsehbar sind die Tagespreise für Diesel und Benzin nicht. Und: Weil über diesen Rotterdamer Produktenmarkt nur wenig wirklich physisch gekauft wird, gerade fünf Prozent des Marktes werden über diesen abgedeckt, sei dieser ein "fiktiver Leitpreis". Und: Er unterliege starken Schwankungen und Spekulationen.

Der regionale Markt

Warum ist dieser "fiktive" Preis zuletzt so stark gestiegen? Analysten erzählen, dass die Preise in Rotterdam stärker angezogen haben als der Preis für Brent, weil Angst vor Lieferengpässen herrschte und weniger fertige Produkte via Rotterdam zu haben waren. Davon profitieren auch Raffinerien: Sie können ihre Preise hoch setzen, obwohl sich ihre Produktionskosten zunächst gar nicht geändert haben. Raffinerien decken sich für einen Monat im Voraus mit Öl ein, manche Kontrakte sind noch längerfristiger.

Wie kommt der Spritpreis also zustande? Zu dem erwähnten "fiktiven" Leitpreis gibt es Zu- und Abschläge. Etwa für Transportkosten. Regionale Unterschiede sind wichtig: Tankstellen konkurrenzieren sich im Umfeld. Zwischen einzelnen Regionen gibt es also Differenzen von 20 oder 30 Cent je Liter. Tankstellen an Autobahnen sagen, die Asfinag verlange so hohe Gebühren, weshalb sie meist teurer sind.

Kein Hinweis auf Kartell in der Vergangenheit

Aber Hinweise auf Preisabsprachen oder Kartelle haben Wettbewerbshüter schon in der Vergangenheit nicht gefunden. Wo eine rechtliche Handhabe sein könnte, ist auch aktuell schwer auszumachen. Es gibt nämlich viele Argumente, warum die Kritik an der Praxis der Erdölkonzerne überzogen erscheint. Kein Händler muss bei einer bestimmten Raffinerie kaufen. Dass Leitpreise genutzt werden, ist nicht außergewöhnlich. Das geschieht auch bei anderen Produkten. Der Markt ist bei einigen Playern konzentriert, aber es gibt Mittbewerber, auch unter den Raffinerien. Hohe Gewinne lassen sich besteuern, sind aber per se nicht verwerflich in einer Marktwirtschaft.

Es mag zudem eher psychologischen Faktoren geschuldet sein, dass die Preise hochschießen. Das macht aber die Entwicklung nicht automatisch zwielichtig, wie Kogler andeutet. Offenbar gibt es zunächst keinen Druck auf Unternehmen, die Preise sofort zu senken. Das heißt nicht, dass der Wettbewerb gestört ist. Autofahrern könnte schon reichen, wenn Preise nicht weiter steigen oder leicht sinken. Tankstellen werden Preise nur senken, wenn sie dann erhoffen können, zum Ausgleich mehr Kunden anzulocken. Offenbar tun sie das derzeit nicht.

Die Bundeswettbewerbsbehörde, die selbst weisungsfrei ist, beobachtet die Marktlage sowieso, heißt es. Ob sie eine Untersuchung der Branche einleitet, will sie in den kommenden Tagen entscheiden. (András Szigetvari, 17.3.2022)