Covid-Station im Spital: Eine Überlastung der Intensivstationen zeichnet sich in der Omikron-Welle derzeit nicht ab, doch der Trend gibt Anlass zur Sorge.

Foto: Steffen Arora

FÜR: Das Notwendige zulassen

60.000 Neuinfektionen an einem Tag – na und? Mittlerweile sollte es sich herumgesprochen haben, dass Zahlen wie diese allein wenig aussagen. Die dominante Omikron-Variante ist zwar ansteckender als der Vorgänger Delta, sorgt aber für deutlich mildere Krankheitsverläufe und trifft auf eine umfassender immunisierte Bevölkerung.

Deshalb sind Inzidenzen, die im Herbst eine Katastrophe dargestellt hätten, heute verkraftbar. Die dritte Welle reichte selbst am Höhepunkt im November kaum über 16.000 Infektionen am Tag hinaus, dennoch waren die Intensivstationen übervoll mit schwer an Covid erkrankten Menschen. Heute liegt die Ansteckungsrate mehr als doppelt so hoch, doch die Zahl der Intensivpatienten macht mit aktuell 218 (Stand Mittwoch) nicht einmal ein Drittel der 700 zu den damaligen Spitzenzeiten aus.

Bremsen wäre da nicht nur überflüssig, sondern sogar kontraproduktiv. Damit die Bevölkerung eine breite Immunisierung aufbaue, müsse sich jeder – Impfung als Basisschutz vorausgesetzt – infizieren, sagen Kapazunder wie der deutsche Paradevirologe Christian Drosten, der die Omikron-Variante angesichts der geringeren Gefährlichkeit als Chance erkannt hat. Wer jetzt neue Restriktionen verhängt, schiebt das Notwendige lediglich unnötig nach hinten.

Das Gesundheitssystem hält

Gerechtfertigt wären Verschärfungen nur dann, wenn dem Gesundheitssystem wegen zu vieler Covid-Kranker die Überlastung drohte. Doch eine derart bedrohliche Situation wie im Herbst, als die Intensivstationen kaum noch zurande kamen, zeichnet sich in den Prognosen nicht ab.

Ja, es gibt Menschen, die Covid nach wie vor fürchten müssen: Für ältere und/oder gesundheitlich angeschlagene Bürgerinnen und Bürger ist auch Omikron gefährlich. Doch die Impfung bietet in der Regel guten Schutz vor schwerer Krankheit. Bei allen Verweisen auf die Corona-Toten gilt es, die Kirche im Dorf zu lassen: In den ersten Wochen des Jahres lag die Zahl der Sterbefälle in der für normale Zeiten erwarteten Bandbreite.

Jeder Todesfall ist einer zu viel, doch letztlich hat der neue Minister Johannes Rauch (Grüne) recht: Gesundheitspolitik kann sich nicht allein an der am meisten gefährdeten Gruppe ausrichten. Denn wann ließen sich Restriktionen sonst jemals beenden? Auch eine Grippewelle ist für vulnerable Personen gefährlich, wie tausende Verstorbene in starken Jahren beweisen. Trotzdem wird der Alltag aus diesem Anlass nicht heruntergefahren. Die Kollateralschäden sind stets mitzubedenken – vom wirtschaftlichen Niedergang bis zu den psychischen Problemen vereinsamter Menschen.

Außerdem: Was kann die Regierung jetzt noch groß tun? Ein Revival der Maskenpflicht allein wird nicht die große Wende einleiten. Und dass Lockdowns und ähnliche Einschränkungen immer weniger bringen, zeigen diverse Analysen.

Ohnehin ist Österreichs Spitzenplatz bei den Infektionen ein Stück weit mit dem landeseigenen Testfanatismus zu erklären, deshalb ruhig Blut: Der Frühlingsbeginn wird alles entspannen. (Gerald John, 17.3.2022)

WIDER: Mit den Toten nicht abfinden

Nach der desaströs verlaufenen Herbstwelle haben wir es mit vereinten Kräften wieder geschafft: Österreich ist zurück im Spitzenfeld der Corona-Hotspots. Abermals droht die Politik die Zügel so lange schleifen zu lassen, bis die Lage außer Kontrolle gerät. Denn die Zeichen sind beunruhigend.

Das beginnt bei den Todeszahlen. Noch bildet sich seit Omikron keine Übersterblichkeit ab, doch in den jüngsten Daten der Statistik Austria weist der Trend nach oben. Und abgesehen von statistischen Relativierungen: Mit über hundert Corona-Verstorbenen in einer Woche darf sich ein mit einem teuren Gesundheitssystem ausgestattetes Land nicht abfinden, zumal ein Teil der Todesfälle zu verhindern gewesen wäre. Die Rücknahme allzu übermütiger Lockerungsschritte könnte durchaus manches Menschenleben retten. Ein Comeback der umfassenden Maskenpflicht etwa wäre ein verkraftbarer Preis.

Außerdem geht es nicht nur um den Extremfall. Die Spätfolgen einer Corona-Infektion sind naturgemäß noch wenig erforscht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht in einer Schätzung davon aus, dass zehn Prozent der Infizierten Covid-Symptome noch lange Zeit mitschleppen.

An die Kranken denken

Harte Zeiten beschert das Experiment des Durchrauschenlassens vor allem Menschen, die sich wegen Vorerkrankungen nicht voll auf den Impfschutz verlassen können. Je stärker das Virus zirkuliert, desto größer ist auch für sie die Gefahr der Ansteckung – und das mit potenziell bedrohlichen Folgen. Bei strengeren Vorsichtsmaßnahmen und einem niedrigeren Infektionsniveau müssten gesundheitlich angeschlagene Bürgerinnen und Bürger weniger Angst haben, unter Mitmenschen zu gehen – und könnten ihre Kinder besseren Gewissens in die Schule schicken.

Grund für Sorge liefert auch die Entwicklung an den Spitälern. Es stimmt, die Intensivstationen stehen nicht vor dem Kollaps, doch die Belagszahlen steigen. Vor allem die Normalbetten füllen sich mit Corona-Patienten. Das Personal ist nicht nur von der zweijährigen Pandemie erschöpft, sondern seinerseits durch Covid-Erkrankungen dezimiert. Laut Berichten aus den Krankenhäusern werden längst wieder Operationen verschoben. Unmittelbar lebensnotwendige Eingriffe fallen zwar nicht aus, doch die Gesundheit der betroffenen Patienten leidet allemal.

Anderen Einrichtungen und Unternehmen brechen die Belegschaften ebenso weg. Das liegt auch an den vielen Quarantänefällen als Folge der Massenansteckung. Eine (weitere) Aufweichung der Absonderungsregeln als Reaktion verspricht zwar, die Personalnot kurzfristig zu lindern, droht die Corona-Welle aber weiter anzutreiben. Denn dann sprudeln die Infektionsquellen umso fröhlicher, mit noch mehr Spitalspatienten und Toten als Konsequenz.

Bereits jetzt allein auf den Effekt der Saisonalität – den nahenden Frühling – zu bauen erscheint verfrüht: Die Wettervorschau verheißt nicht gerade Temperaturen, die auf eine breite Verlagerung des Lebens ins virenfeindliche Freie schließen lassen. (Gerald John, 17.3.2022)